Cover der Ausgabe 20/2003 des German Rock Magazins

2003

Heinz Rudolf Kunze – Der rebellische Poet

Ob man ihn nun mag oder nicht, Heinz Rudolf Kunze ist nach wie vor wohl einer der vielseitigsten und gleichzeitig umstrittensten Figuren der deutschen Musikszene. Einer der wenigen, der nicht durch Skandale auf sich aufmerksam macht, sondern einzig und allein durch sein Schaffen. Er ist der Alchimist, der die Elemente Sprache und Musik auf immer neue Art und Weise miteinander verbindet. Und gewagte Experimente gehören für ihn durchaus dazu. Seine frühen Werke wurden noch in die Kategorie Liedermacher einsortiert, doch sein Stil ist so überzeugend literarisch geprägt, dass man ihm ein ganz eigenes Genre widmen müsste. Heinz Rudolf Kunze sagt, was er denkt und fühlt und kleidet es in Worte, oft doppeldeutig, den Hörer stutzig machend. Ein wahrhaft "vielsagender" Künstler!

1956 als Flüchtlingskind eines Lehrerehepaares auf dem Weg von einem Deutschland ins andere geboren, hatte er es auch im weiteren Leben zunächst nicht leicht. Der berufliche Werdegang des Vaters hatte einen häufigen Wechsel des Wohnortes zur Folge. Nach dem Umzug Ende 1963 nach Osnabrück nahm seine Mutter eine Tätigkeit als Grundschul-Lehrerin an und sein Vater eine Assistententätigkeit bei Prof. Elisabeth Siegel an der PH.

Heinz Rudolf Kunze wuchs in einem auch tagsüber künstlich beleuchteten Kellerraum auf. Als Kind durch eine damals akute Knochenkrankheit am intensiven Sporttreiben gehindert, suchte er neue Interessen und fand sie im Lesen von Büchern und dem Hören von Musik. Erste eigene Textentwürfe entstanden und beim CVJM erlernte er die ersten Gitarrengriffe. Dazu Kunze über Kunze: "Beide Neigungen sind ungefähr gleich alt. Meine Eltern haben dies sehr früh erkannt und auch im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten immer gefördert und unterstützt. Ich musste eigentlich nie nach Büchern besonders fragen oder betteln. Als ich so 14/15 war, hatte ich auch mal den Wunsch Autor zu werden, Schriftsteller und nicht Musiker ... Das hat sich dann so ein bisschen verschoben".

Der Einfluss zeitgenössischer Rockmusik (Lou Reed, Neil Young, Elvis Costello, The Who, Led Zeppelin, u.v.m.) und die kreativen 70er Jahre (Roxy Music, Kraftwerk und Can) begannen ihn zu prägen.

Der Besuch seines ersten Konzertes der Who in Münster wurde schließlich für ihn zu einem Schlüsselerlebnis und weckte die Sehnsucht nach einer eigenen Karriere als Rockmusiker. The Wall von Pink Floyd gehörte ebenfalls zu seinen Konzerterlebnissen.

Als Keyboarder fand man den Teenager Heinz Rudolf Kunze kurz darauf in einer Studentenband namens 'Tim Sah = Krokodil' wieder, dessen Mitglieder alle zehn Jahre älter waren. Als man seine Songs bei einer geplanten LP-Aufnahme nicht berücksichtigte, zog Kunze sich aus dieser Band zurück.

Kurze Zeit später arbeitete er mit Matthias Westing an für diese Zeit ungewöhnlichen deutschen Songs. Es entstand "Stockhausenmäßige" Musik, die bis zur Bühnenreife erarbeitet wurde.

Dann zog ihn die Literatur wieder in ihren Bann und der erst 18-Jährige wurde bei einem Wettbewerb ("Wer schreibt die besten Gedichte und Kurzgeschichten") sofort als Mitglied in der Literarischen Gruppe Osnabrück aufgenommen. Bei jedem Treffen bewies er seine dichterischen Qualitäten aufs neue.

Bereits 1975 stellte er ein frühes literarisches Programm auf einem Wurlitzer E-Piano in der Lagerhalle Osnabrück vor, deren Texte sogar in Buchform veröffentlicht werden. Dazu gehörten erste Texte wie "Es gehört schärfer Gedacht", "Wir Pflanzen uns Wort", "Meine Generation", "Ich:Du", "Jeans", "Morgens Müde", "Antagonie", "Schärfe Deine Sprache". Der 1981 auf LP erschienene Titel Romanze stammte aus dieser frühen Zeit.

Nach einer literaturwissenschaftlichen Tutorentätigung und unzähligen Veröffentlichungen in Tageszeitungen, Rundfunk und Fachzeitschriften sowie Auftritten mit eigenen Liedern studierte er als "untauglich" gemustert von der Bundeswehr Germanistik und Philosophie in Münster und Osnabrück mit einem Lehramtsabschluss und dem Wunsch, Professor für neue deutsche Literatur zu werden. Die Abschlussarbeit machte Heinz Rudolf Kunze über den niederländischen Philosophen Spinoza. An einer Schule in Hannover folgte der Ausbildungsabschluss.

1978 erhielt Heinz Rudolf Kunze eine erste Würdigung als Literat. Beim zweiten Wettbewerb (ausgeschrieben für das Land Niedersachsen) errang er den ersten Preis in der Kategorie Kurzprosa sowie den Förderpreis seiner Wohn- und damaligen Heimatstadt Osnabrück für die Texte Zu Karla übers Wochenende und Romanze.

Im Jahr darauf folgten wieder Lesungen, sogar auf offener Straße. Auf eine faszinierende und eigenartige Weise verband er Sprache und Musik und bot den Zuhörern eine ganz besondere Art der Darbietung, indem er z. B. rhythmisch mit Tonbandbegleitung sprach.

Bei Lesungen in Osnabrück und dem Osnabrücker Land unter dem Titel Heiter-Satirisch-Absurd (was ja schon alles sagte) baute Heinz Rudolf Kunze seine chansonähnlichen Betrachtungen mittels Spieluhr und Tonband zu kleinen sentimental bewegenden, teils grotesken Szenen aus. Unterstützt durch eine Studien-Stiftung reiste er nach Oberitalien und lernte dort Robert Jaroslawski kennen. Dem gebürtigen Polen spielte er sein Programm vor, und dieser ermunterte ihn, die künstlerische Laufbahn mit allen "Risiken und Nebenwirkungen" einzuschlagen.

Zu Kunzes Bedauern wird dieser Musikfürsprecher jedoch kein Bandmitglied, sondern Physiker. Aber die folgenden Konzerte in Osnabrück, Regensburg und Berlin brachten Heinz Rudolf erste größere Anerkennung. Wieder wurden Texte von ihm in einem Buch mit dem Titel Schreibfreiheit veröffentlicht.

Auf dem deutschen Pop-Nachwuchs-Festival In Würzburg 1980 stellte er zum ersten Mal seine Singer/Song-Writer Fähigkeiten unter Beweis. Auf einem Barhocker, nur von Klavier und akustischer Gitarre begleitet von seinem Freund Mick Franke. Dort bekam der Germanist Heinz Rudolf Kunze vom Plattenkonzern WEA sofort einen ersten Fünfjahresvertrag. Ein Journalist gab dem jungen Heinz Rudolf damals die wenig schmeichelhafte Bezeichnung "Niedermacher", während er heutzutage als der "Mister Deutschrock" gilt. In den 80er Jahren zählten Talking Heads, R.E.M. und Pixies zu seinen musikalischen Favoriten. Mit der Wahl seiner Bands sowie der eigenen Musik verrät er seine Liebe zur Rockgitarre mit all ihren faszinierenden Möglichkeiten, Atmosphäre und Effekte zu schaffen. Irgendwann in dieser Zeit muss es auch gewesen sein, als er mit dem Zigarillorauchen begann (Lieblingsmarke Dannemann Spezial Sumatra). Doch daran kann sich nicht mal Ehefrau Gila erinnern.

Fest steht aber, dass im gleichen Jahr seine Kapelle Die Verstärkung unter der Leitung des aus dem Folkbereich kommenden Gitarristen Mick Franke (gestorben 2001) entstand.

Von da an ging es rasant bergauf. 1981 das erste Debütalbum Reine Nervensache und die erste Deutschlandtour, 1982 Verleihung des Willy-Dehmel-Preises und des von Konstantin Wecker gestifteten Berliner-Wecker-Kunstpreises, außerdem ging es wieder auf Tour mit Verstärkung.

1983 Verleihung des Deutschen Schallplattenpreises der Phono-Akademie für sein zweites Album Eine Form von Gewalt, gleichzeitig erschien das dritte Album Der schwere Mut. Damit nicht genug: Kunze verfasste für den Spiegel ein Randy Newmann-Essay und moderierte im NDR und SFB eigene Newmann-Sendungen.

1984 erschienen sein Live-Doppelalbum Die Städte sehen aus wie schlafende Hunde und wieder eine Sammlung von Heinz Rudolf Kunze-Texten 1980 1982 in Buchform mit dem Titel Deutsche Wertarbeit (Verlag Zweitausendeins, Frankfurt). Dann im Herbst des gleichen Jahres noch das fünfte Album Ausnahmezustand, gefolgt von einer erfolgreichen Deutschland-Tour. Der breiten Masse bekannt wurde der wortgewandte Musiker, als er mit Lola einen alten Kinks-Klassiker ins Deutsche übertrug. Leider kam es bei einem Konzert in Saarbrücken zur Trennung von seinem Freund und langjährigen Leadgitarristen Mick Franke.

1985 dann die erste Teamarbeit: Conny Plank und Heiner Lürig griffen Heinz Rudolf Kunze bei den Aufnahmen zu Dein ist mein ganzes Herz unter die Arme. Der Text entstand ganz spontan bei einer Konzertrückfahrt im Auto. Da wurde ein Charttitel geboren und das Gespann Kunze/Lürig hatte endlich den ganz großen Durchbruch. Das Album errang Goldstatus!

Was für ein Jahr: Privates Glück neben dem beruflichen Erfolg: Sohn Paul wurde geboren.

Trotzdem ließ sich Heinz Rudolf Kunze nicht in eine Schublade pressen, auch wenn die Melodien eingängiger und die Liedstrophen kürzer wurden, blieb er seinem ureigensten Stil treu und seine Fans auch ihm. Mit dem Album schuf man erstmalig ein Kunze-Logo: der "Springende Gitarrist" (in Anlehnung an sein Idol Pete Townsend) wurde sein Markenzeichen.

1986 begann mit einer Tour durch 33 deutsche Städte. Im September folgte das Album Wunderkinder, produziert von Heinz Rudolf Kunze, Heiner Lürig und Peter Miklis. Wieder Goldstatus nicht nur für die LP, sondern auch Verleihung der Goldene Stimmgabel für ihren Schöpfer im ZDF.

Das folgende Jahr 1987 brachte außer einer Tour von 70 Konzerten (davon allein drei in der damaligen DDR mit ca. 40.000 Besuchern) ein Openair in Berlin-Weißensee mit 120.000 Zuhörern zusammen mit Big Country und Bryan Adams. Es erschien das zweite Live-Album Deutsche singen bei der Arbeit und Heinz Rudolf errang den RTL-Sonderlöwen in der Sparte Neues Deutsches Lied.

In diesem Jahr kam Heinz Rudolf Kunze zum ersten Mal in Berührung mit der Welt des Musicals, als er den Auftrag erhielt, das deutsche Libretto für das Musical Les Misérables von Victor Hugo zu schreiben (Premiere 1988 im Raimund-Theater, Wien).

Doch Heinz Rudolf schien wahrhaft arbeitswütig zu sein, denn 1988 kamen mehrere seiner Essays in Buch- und Radioform heraus, zudem gründete er den Weltverbesserer-Verlag. Dieser Name entstand, als ein Gastwirt eines Tourhotels Kunze und seiner Verstärkung eben jenes Wort (Weltverbesserer!) an den Kopf warf, um sich Luft zu machen über die Zerstörung einigen Mobiliars, das angeblich eine Roadcrew in der Nacht zuvor auf dem Gewissen hatte.

Im Mai folgte das neue Parteilied der SPD Das weiche Wasser bricht den Stein, eine Überarbeitung der Hymne der Friedensbewegung. Nicht nur dabei, sondern auch bei anderen weltbekannten Künstlern hatte Heinz Rudolf Kunze seine Hand und seinen Kopf im Spiel. Auf dem Milva-Album "Unterwegs nach Morgen" waren zwei seiner Titel zu finden und für eine ZDF Sendung über AIDS co-textete er den Titel Liebe ist Zärtlichkeit. Im August schließlich erschien das neue Album Einer für Alle und er übersetzte Karel Gotts tschechische Weihnachtslieder ins Deutsche.

Privat zog Heinz Rudolf Kunze nunmehr von Osnabrück nach Hannover, wo er die meiste Zeit im Madagaskar-Studio verbrachte, das er zusammen mit Heiner Lürig betrieb. Sein zweites Kind, Töchterchen Marlene, erblickte das Licht der Welt.

1989 schrieb Heinz Rudolf Kunze sechs Texte und den Titelsong zu Herman van Veens Album "Blaue Flecken". Hunderttausende von Besuchern strömten zu seinen vier DDR-Konzerten und er veröffentlichte das Album Gute Unterhaltung. Obwohl er selbst über das hektische Musikerleben klagte (oder schmunzelte?) stand er bereits 1990 wieder nahezu ununterbrochen auf seiner großen Deutschlandtour auf der Bühne.

Seine kritische Betrachtung der Popmusik in den 80er Jahren geriet in die Medienkritik. Doch Kritik machte ihn nur stärker, fachte die Leidenschaft noch mehr an.

1991 kam sein neues, fast autobiographisches Album Brille heraus, begleitet von einer zweimonatigen Tournee und im Oktober legt er ein musikalisches Resümee über sein literarisches Schaffen vor mit dem Live-Album Sternzeichen Sündenbock.

Ein Jahr später kamen ein neues Buch Mücken und Elefanten mit Texten aus den Jahren 1986-1991 und Ende August 1992 das wieder musikalisch wesentlich aggressivere Album Draufgänger auf den Markt, auf dem man auch zum ersten Mal das neue Logo, die "Mistgabel" findet, entworfen von dem Grafiker Johann Zambryski. Draufgänger, eine kämpferische Herausforderung mit Titeln wie Held der Arbeit oder Lebend kriegt ihr mich nicht insgesamt 13 Songs voll der Kunze-eigenen hintergründigen Kreativität. "Nach der Brille-Tournee habe ich erst mal eine ganze Zeit rumgedruckst, ohne recht zu wissen, wie es weitergeht", sagt Kunze, "aber plötzlich platzte bei mir der kreative Knoten, was auch dazu führte, dass ich viel mehr Musik schrieb als früher, mehr Gitarre bei den neuen Songs spielte und Heiner Lürig diesmal eine Menge kompletter musikalischer Ideen servierte. Doch er reagierte auf diese konkreten Vorgaben sehr kollegial und positiv. Und spielte anschließend beinahe befreit …"

Trotz eines Fußbruchs und Gipsbein bewies Heinz Rudolf Kunze seine Professionalität auf dem Konzert im Tempodrom Berlin, wo er auf einem Stuhl sitzend mit wirbelnden Krücken ein Rockkonzert vom Feinsten ablieferte. Er war in Köln in die Zuschauer gesprungen, hängen geblieben und wurde damit selbst zum Draufgänger. Außerdem bekam er endlich die Gelegenheit Kontakt zu seinem großen Vorbild Neil Young aufzunehmen, mit dem er ein Interview für die Zeitschrift Musik Express machte.

1993 arbeitete Heinz Rudolf Kunze wieder mit und für Musikerkollegen. Für das deutsche Album Offensichtlich Goldfisch von Peter Hammill übersetzte er die Texte und einen Song von Mario Adorfs Album "Al Dente" stammten ebenfalls aus seiner Feder ebenso wie das Titelstück Ja auf Herman van Veens jüngstem Werk.

In Österreich wird die deutsche Version von Les Misérables mit einer Goldenen Schallplatte ausgezeichnet. Außerdem veröffentlichte Heinz Rudolf Kunze das Album Ich brauch dich jetzt mit einer Sammlung von 13 Balladen aus den Jahren 1981 bis 1993.

Ein neuer Musical-Auftrag folgte 1994 mit Miss Saigon, für das Heinz Rudolf Kunze den deutschen Text schrieb. Doch dieses Jahr hatte es in sich. Sein Album Macht Musik, (mit 56 Minuten Spieldauer bislang Kunzes umfangreichste aber auch überzeugendste Arbeit) wurde abgemischt in den Londoner Air-Studios von Ronald Prent (Elvis Costello, Elton John) und gemastert bei Bob Ludwig in den USA, geriet in die Kritik. Der Song Sex mit Hitler kam auf den Index. Kunze scheute sich nicht, in diesem Album menschliche Abgründe aufzuzeigen, doch die Interpretation seiner musikalischen Bilder überlässt er nach wie vor dem Zuhörer. Die provinziell-konservative Haltung der Medien dagegen erinnerte doch stark an The Wall. Trotzdem umfasste die dazugehörige Tour insgesamt 36 Konzerte.

Kunzes große Liebe galt und gilt übrigens auch den Filmen von Wim Wenders sowie dem literarischen Werk von Peter Handke. Zitat: "Eine große Schuld ist es die Macht zu haben den Leuten die Angst zu nehmen und es doch nicht zu tun". Dieses Zitat scheint heute mehr denn je Geltung zu haben!

Weitere seiner Vorbilder sind neben Peter Handke auch Rolf Dieter Brinkmann, Karl Kraus, Botho Strauß, Eckart Henscheid und Hans Henny Jahnn.

Im November 1994 erschien das zweite literarische Album Der Golem aus Lemgo und im Anschluss an die Veröffentlichung stellte Heinz Rudolf Kunze seine Text und Musik-Performance live auf der Deutschlandtournee vor. Diese wurde 1995 im Frühjahr und Herbst mit über 50 Shows fortgesetzt.

Der Kabaretteinfluss zeigt eine weitere Facette von Heinz Rudolf Kunze, obwohl er von sich selbst sagt, er sei kein politischer Kabarettist. Er selbst sagt dazu: "Ich gehöre mehr zur Hüsch- und weniger zur Hildebrand-Schule."

Doch nach wie vor berührt er die Menschen, durchschaut, regt zum Nachdenken an, ohne anzuklagen. "Ich fange wirklich ganz unten bei sinnlichen Wahrnehmungen an und versuche, mir da den Alltag zusammenzusetzen und komme da manchmal auch sehr nahe an das heran, was für Menschen wirklich und existentiell bedrohlich und schön und sinnlich ist."

Kunze-Texte 1992 bis 1995 erschienen unter dem Titel Nicht dass ich wüsste (Ch. Links-Verlag, Berlin) zur damaligen Frankfurter Buchmesse. Wieder beteiligte er sich an einem Album von Herman van Veen und steuerte das Titelstück Zwei Reisende bei. Im Frühjahr löste er seine Band Die Verstärkung auf.

Ein neues Tätigkeitsfeld erschloss sich ihm mit einer Moderatorentätigkeit des "Musikalischen Quintett" im VH-1 Fernsehen. Trotzdem fand er die Zeit, am neuen Album Richter-Skala zu arbeiten, und unter der Leitung von Heiner Lürig entstand seine neue Verstärkung.

Die Verstärkung seit 1995: Raoul Walton (Bass), Mathias Ulmer (Keyboards), CC Behrens (Schlagzeug), Heiner Lürig (Gitarre). Als musikalische Gäste fanden sich ein: Jean-Jacques Kravetz (Hammond, Piano) und Stuart Gordon (Violine, Keyboards).

Das Jahr 1996 begann direkt mit einer Deutschland-Premiere: Les Misérables in der Heinz Rudolf Kunze-Version wurde in Duisburg aufgeführt. Gleichzeitig arbeitete er an seiner dritten Musicalübersetzung von Andrew Lloyd Webbers Joseph. Im Januar erschien außerdem die erste Single aus dem neuen Album Richter-Skala mit dem Titel Halts Maul (soundmäßig beeinflusst von den Troggs, Equals und Beatles) wieder ein Song, der auf dem Index landete und vom BR nicht gespielt wurde. Im Text geht es um einen miesen deutschen Michel. Dabei liegt es Heinz Rudolf fern, sein Publikum mundtot zu machen. Würde er nicht viel lieber ein mundtot gemachtes Deutschland aus seinem Dornröschenschlaf erwecken? Doch die gut erzogenen Deutschen hören lieber weg und schweigen.

Im Februar kam endlich das Album heraus, eine gelungene Hommage an die 70er-Jahre, welche dennoch im Stil der 90er produziert wurde. Richter-Skala verursachte ein kleines Erdbeben in der Musikszene schräge Rhythmen zu Rocksongs verarbeitet. "Ein sehr buntes Album", so Heinz Rudolf Kunze, "das durch den Einfluss neuer Mitspieler viele Varianten und Möglichkeiten ausprobiert. Die in Großbritannien wurzelnde Rehabilitierung der Siebziger kommt mir dabei entgegen, man soll seine Herkunft schließlich nicht verleugnen. Außerdem klingt Richter-Skala aber nach den Neunzigern, die neuen Leute spielen ihre Stärken voll aus und die Bandbreite reicht von einer komplexen Funk-Metal-Nummer bis zur Klavier-Ballade." Ein internes Erdbeben gab es auch bei der Bandformation: Mathias Ulmer ersetzte Stuart Gordon an den Keyboards. Im Frühjahr gab es dann 22 Konzerte.

Den ihm verpassten Beinamen "Oberlehrer der Nation" nahm Kunze mit Humor und so tourte er "pflichtgemäß" ebenfalls durch deutsche Oberschulen. Nach jedem Auftritt gab es ein anschließendes Gespräch mit seinen Zuhörern.

Auch Soundtracks für Fernsehserien lieferte Kunze, so z. B. für Sat1 Ich steh dir bei für die Serie Max Wolkenstein.

Im Juni 1996 geriet Heinz Rudolf Kunze wieder in das Kreuzfeuer der deutschen Medien, als er sich während eines Interviews im Spiegel unter dem Titel Austritt aus der Nato für eine Quote für die Deutsche Rockmusik stark machte.

Aber Kunze schwamm und schwimmt nun mal nicht mit dem Strom, er ist nicht gefällig, nicht "bequem", und gerade dadurch prägt er nach wie vor wie kaum ein anderer deutscher Künstler die nationale Kulturszene mit.

Trotzdem brachte dieses Jahr ihm neue Erfolge wie die Premiere des Joseph Musicals in Essen. Im Oktober las Heinz Rudolf Kunze in Berlin auf Drängen des Verlegers Herrn Links vom gleichnamigen Buchverlag zum ersten Mal aus seinen literarischen Werken ohne musikalische Begleitung. Unermüdlich arbeitete er auch wieder mal an einem Album, das Ende November von Ronald Prent im Wisseloord Studio B.V. (NL) abgemischt wurde.

Noch im gleichen Jahr erschien bei der WEA Serie "Kiosk" ein so genanntes kleines Best of ... unter dem Titel Mit Leib & Seele (13 Hitsingles auf einer CD).

1997 war Kunze endlich wieder Liebling der Musikpresse. Sein 18. Album alter ego, eingespielt und produziert im Madagaskar-Studio, wurde allseits hochgelobt. Hier schien er wieder seine sanfte Seite auszuspielen. Popballaden, die es in sich hatten. Kunze experimentierte wieder und textete zu bereits komponierter Musik. Eine für ihn ungewöhnliche Arbeitsweise, die zu den interessantesten Ergebnissen führte. Vier Lieder entstanden so: Du bist nicht allein, Gib den Ring wieder her, Scharlatan und der Titelsong.

Das Online Magazin Crossover-AGM dazu: "Als wohlgesonnener Heinz Rudolf Kunze-Verfolger hätte man meinen können, es geht alles weiter wie bisher, und es würden sich die schlimmsten Vermutungen nach den letzten Platten erfüllen. Und dann kommt der Titelsong in schöner alter Kunzetradition daher. Ich gebe zu, ich hätte nicht erwartet, dass Heinz Rudolf Kunze wieder zu seinen Leisten findet, sich einen Oberlippenlehrerbart stehen lässt und wieder wunderschöne, nicht immer hirnverbiegende Texte anbietet. Hat Kunze noch stolz verkündet, mit Richter-Skala zu den Urwüchsen der Rockmusik zurückgekehrt zu sein (was ihm wenige recht glauben konnten), so ist dieser Scheibe wirkliche Spielfreude anzuhören. Die Band um Heiner Lürig ist besser denn je, und Kunze traut sich wieder öffentlich Töne zu. Natürlich fehlt keine der obligaten Balladen, für die man ihn hassen oder lieben kann. Und selbstverständlich gibt es wieder Musik aus'm Bauch mit Texten aus Lust." (Kirchberg)

Es folgten Konzerte, auch mit ganzer Big Band im Rücken, wie bei "Rock meets Big Band" am 26. Juni auf dem Hessentag in Korbach, Fernsehauftritte und die erste Internetpräsenz. Interessantes und Wissenswertes über Heinz Rudolf Kunze gibt es nach wie vor zu lesen auf der Fanclub-Seite www.wunderkinder.de !

Im Herbst 1997 dann wieder Buch: Heimatfront, gefolgt von einer Lesereise mit fast 50 Auftritten. Man verglich ihn mit Rilke, Morgenstern, Ringelnatz und anderen Größen. Seine Texte haben Seele, die Seele des Alltäglichen wie auch des Übergeordneten, kleine Puzzlestücke, die sich zu einem Universum zusammensetzen lassen.

Kunze selbst hat bei sich eine Verwandtschaft zum Kabarettisten Wolfgang Neuss ausgemacht: "Mich fasziniert seine Technik, Worte zu knacken, ihnen durch andere Zusammensetzungen neuen Sinn zu geben". Kunze liebt den direkten Kontakt zum Publikum, mit "nichts als einem Buch zwischen mir und dem Zuhörer." Besonderheit des neuen Buches: Zitat: "Es überwiegen das erste mal nicht die musikalisch ausgewerteten Texte."

Der German Rock fragte ihn einmal nach seinem Empfinden für die Heimat und er antwortete: "... Heimat ist für mich der deutsche Sprachraum."

1998 zog es Heinz Rudolf Kunze in die USA, einer Einladung des Goetheinstituts nach Boston folgend, wo er mit Heiner Lürig einen Unplugged-Auftritt hinlegte, der die amerikanischen Zuhörer zu Begeisterungsstürmen hinriss. Im Herbst des gleichen Jahres wurde er ausgezeichnet mit dem Image, dem Preis der Deutschen Musicalindustrie, für seine Übersetzung des Joseph.

Danach begann Heinz Rudolf Kunze sein 19. Album Korrekt, abgemischt im legendären Londoner Air-Studio, welches er erst 1999 veröffentlichen ließ. Ganz bewusst, denn Korrekt sollte sein Abschied vom 20. Jahrhundert sein. Musikalisch zog er darin Bilanz von den 50er bis zu den 90er Jahren.

Die WAZ meinte dazu: "... Korrekt, heißt sein Werk und das bietet abwechslungsreiche Songs mit klugen, feinsinnigen Texten, ohne jedoch auf die gewohnte Scharfzüngigkeit des selbsternannten Oberlehrers zu verzichten. Sei es bei den Liedern Pech und Schwefel oder Nicht mal das; Kunze kritisiert, speit und zelebriert die deutsche Sprache, dass es eine wahre Pracht ist. Insgesamt ist das Album ein wenig ruhiger geworden; die harten Gitarren-Riffs der letzten Alben sind zum Teil durch Keyboards & Synthies ersetzt worden, was der CD ein harmonischeres Klangbild verleiht und ein wenig an frühere erfolgreiche Produktionen wie Dein ist mein ganzes Herz und Einer für Alle erinnert. Letztlich ist es ein typisches Kunze-Album, aber eines mit Hit-Potential, wie z. B. der Song Aller Herren Länder beweist."

Das folgende Jahr begann wieder mit einer Premiere, und zwar des Musicals Rent von Jonathan Larson, ebenfalls übersetzt von Kunze. Sein Album Korrekt schoss von 0 auf 12 in die Charts und auch die Single Aller Herren Länder erhielt einen Chartentry. Sie wurde zu einem der meistgespielten Songs im deutschen Rundfunk. Die folgende Tour, die sich fast über das ganze Jahr 1999 hinzog, begeisterte seine Fans.

Kein Wunder, dass Peter Badge diesem großen Künstler einen Bildband widmete mit dem Titel Agent Provocateur, mit einer limitierten Auflage von 2000 Exemplaren, erschienen im Salzwerk-Verlag, Göttingen.

Dieses dokumentierte Lebenswerk enthielt eine Extra-CD mit bislang unveröffentlichten Live-Aufnahmen der alter ego-Tour, einen Mitschnitt des Boston-Konzertes und Sprechtexten. Und als ob ein neuer Lebensabschnitt für ihn beginnen würde, änderten Kunze und sein Grafiker bLUE (ab 1997) wiederum sein Logo unter Verwendung eines von Peter Badge gemachten Fotos (Scharlatan, live 1998) als Vorlage.

Der Herbst 1999 wurde wieder mal wahrhaft golden für Heinz Rudolf Kunze: erneut erhielt er die Goldene Stimmgabel, diesmal in der Sparte Deutsch/Rock Progressiv, ebenfalls Gold (goldene CD) für die Übersetzungsarbeit an Miss Saigon. Am 23.Oktober erlebte die traditionsreiche Lagerhalle Osnabrück ein ebenso denkwürdiges wie ausverkauftes Heinz Rudolf Kunze Event der besonderen Art. Deutschland Radio Berlin zeichnete dieses auf und sendete zeitversetzt Fettnaphia 1999, Die Weltgrößte Fachmesse für Einheitsbrei. Dieser Auftritt und dieses Programm blieb bis heute "einmalig".

Unermüdlich lieh er seinen kreativen Geist wieder aus: Auf Hildegard Knefs Album "17 Millimeter" steuerte er eine Übersetzung ("Wer war froh, dass es dich gab") und eine Textneudichtung ("Der Mann für dich", Melodie George Gershwin) bei. Und nicht zuletzt brachte dieses Jahr endlich das erste richtige "Greatest Hits" Album mit dem Titel Nonstop – Das bisher Beste von HRK hervor. Darauf unter anderem den vollkommen neuen Titel Nonstop sowie eine à capella Live-Version des Heinz Rudolf Kunze Hits dein ist mein ganzes Herz.

Erst zur Jahrtausendwende wurde es etwas ruhiger um Heinz Rudolf Kunze. Einige Konzerte und Festivals ziehen 100.000 Menschen an. Eine Fotoausstellung des Künstlers Peter Badge am Checkpoint Charlie im Rahmen einer Unicef-Veranstaltung sorgte für Aufsehen. Unter den fotografierten Größen auch Heinz Rudolf Kunze. Fünfmal zeigte Heinz Rudolf Kunze sein Können anlässlich der im heimischen Hannover statt-findenden EXPO-Weltausstellung und begeisterte hierbei mehr als 15.000 Zuschauer. Bei der Abschlussveranstaltung des EXPO-Schülerwettbewerbes Meine Welt 2020 Reportagen aus der Zukunft hielt er am 13. September eine unvergessene Rede zu eben diesem Thema.

Es folgte ein Jahr der Lesungen und der Hintergrundarbeit am 21. Album Halt sowie an seinem sechsten Lyrikband Klärwerk.

Unterbrochen wurde diese Ruhe eigentlich nur von den zahlreichen Auszeichnungen: RSH Gold als "Erfolgreichster nationaler Künstler im Norden des Jahres 1999" im Februar, dann im März die Verleihung des Fred Jay-Preises, dem seltenen und begehrten Texterpreis der GEMA und nicht zu vergessen den Kunstpreis 2000 des Landschaftsverbandes Osnabrück Land für sein Gesamtschaffen.

2001 erschien dann Halt, diesmal mit vier Titeln produziert von Chris von Rautenkrantz, und stieg auf Platz Zehn in die Verkaufscharts ein. Die erste Single-Auskopplung Pegasus erhielt ebenfalls zahlreiche Airplays. Mit diesem Album feierte Heinz Rudolf Kunze seine 20-jährige Präsenz als Rockpoet der deutschen Musikbranche. In einem Zeitungs-Interview bezeichnete er diese 20 Jahre als "zwiespältige Erfahrung". Er habe nie den Schritt bereut, dem Schuldienst den Rücken gekehrt zu haben und sich auf diesen bizarren Beruf einzulassen, so Kunze. Immer wieder habe ihn das Verlangen getrieben, etwas zu schreiben und zu vertonen. Zitat: "Ob ich das auf Dauer durchgehalten hätte, wenn ich als Lehrer irgendwo versandet wäre, weiß ich nicht aber versucht hätte ich es auf jeden Fall".

Außerdem unterstützte Kunze die von Udo Lindenberg ins Leben gerufene Aktion Rock gegen Rechts. In einem Chat stand er zu dieser Aktion Rede und Antwort. Online ist dieser Chat noch zu lesen unter http://www.rockgegenrechtegewalt.de/chat/kunze/php.

Gerade mit seinem Album Halt prangerte er die fremdenfeindlichen und antisemitischen Umtriebe an. "Ich bemühe mich wirklich darum, die Motive dieser jungen Leute nachzuvollziehen, ich versuche zu verstehen, warum sie dahin geraten und frage mich allerdings ohne mehr Antworten zu wissen als die meisten anderen Menschen auch, wie man sie da wieder rausholen kann", so Kunze im oben genannten Interview. "Die meisten jungen Leute der rechten Szene seien wohl noch 'rückholbar'", so ist seine Meinung.

Sein neuer Gedichtband Klärwerk erschien ebenfalls in diesem Jahr und wurde in 13 Lesungen vorgestellt. Die zweite Auflage ist gerade in Vorbereitung.

Die Frage des German Rock nach seiner Meinung zum digitalen Buch beantwortete Kunze: "... mich lässt das kalt. Mir macht es keine Freude. Ich halte mich doch gerne an ein Buch als Objekt, als Gegenstand, als Medium, dass man in die Hand nehmen und umblättern kann."

Im Februar 2002 veröffentlichte Heinz Rudolf Kunze das dritte literarische Album Wasser bis zum Hals steht mir, ein ungewöhnliches Werk, genau wie der Künstler selbst. Dieses Programm wurde zum ersten Mal im Studio aufgenommen und erst danach vor Publikum präsentiert.

Zitat Kunze: "Das Letzte, was ich möchte ist, dass mein Publikum glaubt, es handele sich bei Wasser bis zum Hals steht mir um ein reines Textalbum. Ganz im Gegenteil. Es ist ein lang gehegter Wunsch von mir, den Leuten etwas Klanglich-Sinnlich-Akustisch-Musikalisches anzubieten. Man soll das Gefühl haben, dass sich auch gesprochene Sprache sehr musikalisch in einen Ablauf einpassen kann!"

Das Online Magazin laut.de schrieb dazu folgendes: "... Er ist wieder da, und wie zu erwarten ist nichts so, wie wir es erwartet hätten. Poetolyrischemusicalambientinszenografie, er schafft es, uns wieder mal keine Worte finden zu lassen. Worte bringt er genug mit, auf seinem neuen Album Wasser bis zum Hals steht mir. Es sind nicht direkt Songs, keine Dichterlesung, kein Musical, Kunze setzt sich mal wieder über alle Genres und Grenzen hinweg. Worte. Spiele, Wortspiele, Bedeutungscluster, sinnentleertes und -gefülltes, Kunze serviert hier kein Lightmenü. Wer das Album nebenbei hören will, riskiert ernsthafte Gedankenknoten, seine Stücke möchten, dass sich der Konsument damit auseinandersetzt."

Haben wir es nun mit einem neuen, einem anderer Kunze zu tun? Oder einer Fortentwicklung des alten? Oder ist es letzendlich der Kunze, der er schon immer war, der immer wieder neue Wege beschreitet und sein Publikum zu verblüffen und anzuregen weiß?

Das Schlusswort hat der Künstler selbst: "Es gibt immer einen Blickwinkel, von dem aus betrachtet es um niemanden schade ist."

Ludger Koch vom OMM (Online Musik Magazin) : "... Diese CD ist garantiert nicht besonders gut zum Nebenbeihören geeignet. Ganz sicher reicht auch ein Durchgang nicht aus, um mit Wasser bis zum Hals steht mir vertraut zu werden. Aber wer eine erfrischend unkommerzielle Fusion von Popmusik und Kunst erleben möchte, ist mit Kunzes neuem anderen Album gut beraten."

Heinz Rudolf hat es wieder mal geschafft, Kunst zu schaffen! Wasser bis zum Hals steht mir wurde komplett von Heinz Rudolf Kunze, Heiner Lürig und Matthias Ulmer eingespielt und produziert. Die Texte sind neu oder stammen aus Kunzes sechstem Textband Klärwerk.

"Ich war immer ein großer Fan von Ambient-Musik und von verrückten Klängen, die beim Hören Geduld brauchen. Besonders schön ist es, wenn man das mit einigermaßen sinnvollen Worten verbinden kann, und das erlebe ich gerade," so Kunze. "Es würde mir nicht reichen, Texte zu lesen und dann irgendwelche Spielchen mit Echos zu machen", erklärt er seine spitzbübische Freude am Wechselbad der Musikstile. "Entscheidend sind für mich die musikalischen Texturen, in die die Texte eingewoben sind." Heiner Lürig Meinung dazu: "Auf Wasser bis zum Hals steht mir kommt Heinz Rudolf Kunzes unendliche Vielseitigkeit zum Tragen, und das ist ja gerade das, was Kunze ausmacht."

Deutschland und seine Geschichte sind gerade bei diesem Album ein Thema, doch Heinz Rudolf Kunze selbst ist eigentlich kein so "typischer" Deutscher, wenn man von seiner Liebe zum Fußball (Lieblingsclub SV Werder Bremen) einmal absieht.

Wieder einmal ging Heinz Rudolf bewusst das Risiko ein, dass man nicht versteht oder verstehen will: "Durch die Montagetechnik, die Arbeit am Wort, kann ich etwas entdecken, was in der üblichen Sprache nicht gesagt werden kann. Die Alltagssprache reicht oft nicht, um das abzubilden, was wir manchmal genauer empfinden. Da versuche ich hinzukommen. Aber vielleicht ist das mit Sprache gar nicht möglich."

Umso treffender stellen sich die klanglichen Muster des Albums dar, denn sie gehen mit den bloßen Worten eine Verbindung ein, die sie letztlich auch auf emotionaler Ebene wirken lässt. Ein Patchwork aus musikalischen und textlichen Grooves. "Wenn man auf diese Art arbeitet," bestätigte Heinz Rudolf Kunze, "dann komponiert man eigentlich nicht, man malt. Man legt Schicht auf Schicht, bis das Endergebnis vollständig ist".

Bahn frei für die neue Medien: exklusiv im Internet veröffentlichte die WEA zum ersten mal einen Song von Heinz Rudolf Kunze: Nach mir die Flut. Diesen Titel gibt es auf keinem Album und keiner Single, sondern ausschließlich auf der Künstler-Homepage als RealAudioStream in voller Länge verfügbar. Übrigens Nach mir die Flut ist der 200. Song, den Heinz Rudolf Kunze unter seinem Namen veröffentlichte!

Und es stimmt: Heinz Rudolf Kunze verinnerlicht die Musik und schafft es immer wieder, seine Zuhörer dieses "innere Bild" zu vermitteln, ohne es ihnen aufzudrängen. Kaum ein anderer könnte diese Werke herüberbringen, die untrennbar auch mit der Person Heinz Rudolf Kunze verbunden sind.

Wie geht er selbst mit seiner vielseitigen Tätigkeit als Sänger, Poet, Texter, Dichter, Musikjournalist (er ist im Besitz von über 50.000 Platten) und Musical-Übersetzer um? Zitat: "Ich finde es sehr irritierend, dass viele Menschen glauben, das würde alles getrennt voneinander laufen. Warum sollte das nicht alles zusammen gehen? Kunze ist eine Gesamtperson, alles gehört zueinander."

An diesen Künstler kann man sich einfach nicht "gewöhnen", denn er ist der Garant für "Ungewöhnliches". Schelm und Philosoph in einer Person. Auf die Frage des German Rock nach Kunzes wichtigster Lebensphilosophie antwortete er damals: "Da habe ich ein ziemlich skeptisches Motto (Manche würden auch pessimistisch dazu sagen, aber ich glaube, ich bin trotzdem noch im Stande zu grinsen ...) Meine Lebensphilosophie ist: Rechne immer mit dem Schlimmsten und freue Dich wenn Du Dich irrst." Welch ein treffendes Zitat angesichts der heutigen globalen Situation.

Mag man ihn auch fälschlicherweise als "Oberlehrer" bezeichnen das Volk der "Dichter und Denker" kann wirklich etwas von ihm lernen: Er setzt sich selbst keine Grenzen! Und genau das macht den Begriff "Kunst" aus.

Kunze ist Pazifist, seine Waffen sind Worte, seine Rebellion geschieht im Stillen und verursacht eigentlich das "Schlimmste"(?), was man einem Menschen antun kann sie setzt Denkprozesse in Gang!

Erst als man ihn als Quotenreiter für die deutsche Rockmusik zitierte, wurde der sonst so gelassene Heinz Rudolf Kunze wirklich rebellisch. Doch er fand schnell Befürworter wie Wolfgang Niedecken, Peter Maffay, Die Fantastischen Vier und den Deutschen Rockmusikerverband. Im Stillen werden ihm auch viele kleine Labels im Recht gegeben haben, dem deutschsprachig singenden Rock- und Popnachwuchs einen fairen Platz in den Medien einzuräumen.

Fragt man Kunze nach seinem persönlichen Musikgeschmack, mag er sich nicht festlegen: "Ich habe eine sehr große Abteilung von sowohl Klassik als auch Jazz, Rockmusik, Elektronika und Avantgarde. Es ist sehr gemischt. Ich bin eigentlich sehr empfänglich für jede Art von Musik, die ich als gut und konsequent gemacht empfinde. Das kann Hank Williams als Country- und Westernsänger sein, Peter Brötzmann als atonaler Freejazz-Saxophonist und alles dazwischen."

Aber schauen wir jetzt mal in die Zukunft: Was wird uns das "Kunze-Jahr 2003" bringen? Die Autorenarbeit am Shakespeare-Musical Ein Sommernachtstraum ist abgeschlossen. Die Premiere wird am 31. Juli 2003 in Hannover stattfinden. Die Übersetzung und Songtexte stammen wieder einmal aus der Feder von Heinz Rudolf Kunze und die Musik von Heiner Lürig.

Auf der Leipziger Buchmesse im März wird Heinz Rudolf Kunze sein neues Buch Vorschuss statt Lorbeeren (Lieder und Texte 2000-2002) vorstellen.

Außerdem wird im März ebenfalls das neue Album Rückenwind erscheinen! Kunze hat die neuen Songs mit dem Produzenten Franz Plasa eingespielt, der u. a. schon für Selig, Echt und Fury in the Slaughterhouse gearbeitet hat.

Die Arbeit an diesem Album wurde durch eine traurige Nachricht unterbrochen: Paul White, seit 1989 Bühnentechniker von Heinz Rudolf Kunze und zuletzt bei seinen Live-Auftritten verantwortlich für die Gitarren von Heiner Lürig und die Keyboards von Matthias Ulmer, verstarb in der Nacht vom 18. auf den 19. Juli 2002. Heinz Rudolf war sehr traurig über den Verlust eines wertvollen Menschen und wünschte ihm "alles Gute, du alter Pirat".

Heinz Rudolf Kunze ein zeitloser Künstler und begnadeter Geist, der immer wieder gern und Gottseidank für "Unruhe" sorgt. Wünschen wir ihm weiterhin viel Erfolg und den Mut weiterzumachen. Wie sagte er damals doch so schön: "... Mut macht mir dieser Glaube von dem ich nicht lassen will, dass der Weltuntergang schon sehr oft vorausgesagt wurde und bisher noch nicht eingetroffen ist und dass die Menschen immer wieder auf kreative Lösungen gekommen sind, die das Weiterbestehen ihrer Art (bisher jedenfalls) gesichert haben. Unsere Fantasie und Kreativität ist das einzige Kapital, das wir haben: dass Probleme, die uns heute noch hoch wie ein Berg erscheinen, eines Tages doch vielleicht von unseren Kindern und Kindeskindern lösbar sein könnten ...".

Gerda Kickers, German RockNews, Mai 2003

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