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2001

Geschliffene Worte und ein mächtiger Beat aus dem Bauch heraus: Heinz Rudolf Kunze.

«Fühlst du das?»

Der Abend vor dem Morgen danach: Rock-Poet Heinz Rudolf Kunze & Verstärkung

Er hat es nicht nötig, mit seinen Hits um Publikumsgunst zu buhlen. Er muß nicht mit einem konfektionierten Nummer-Sicher-Programm durch die Lande reisen. Klar, die Songs seines mittlerweile 21. Albums Halt sind das prägende Element der Frühjahrs-Tournee des Heinz Rudolf Kunze. Die Frage «Fühlst Du das, was ich nicht sagen will?», die seine CD eröffnet, stellt er auch am Anfang des Gastspiels in der bestens gefüllten Columbiahalle. Doch die paar Zugnummern, die ihm eine gar nicht immer so willkommene Breitenwirkung verschafft haben, fehlen. Sein Publikum feiert ihn trotzdem.

Keine Lola, kein Dein ist mein ganzes Herz, kein Finden Sie Mabel. Dafür servieren Kunze und Verstärkung, wie er seine Band nennt, eine fein abgestimmte, durchinszenierte Show voll poetischer Wortkraft und musikalischer Wucht. Sie schlagen einen klugen Bogen von Midtempo-Stücken über Balladen bis zu kräftigen Rockbrechern, die den Abend dem Siedepunkt nahe bringen. Von Brille, dem Klassiker von 1991, schlägt er einen Haken zu Jesus Tomahawk vom neuen Album. Nachts um halb drei von 1982 gibts und immer wieder Songs vom Brille-Album, wie Der Abend vor dem Morgen danach und Wenn Du nicht wieder kommst. Immer wieder Schweiß abwischen, immer wieder Baden im Applaus.

Klar, er kann aus dem Vollen schöpfen. Seit er 1980 beim Pop-Nachwuchs-Festival in Würzburg den Fuß in die Tür steckte, hat Heinz Rudolf Kunze mehr als 200 Songs geschrieben und dreimal so viele Texte und Gedichte in mehreren Büchern veröffentlicht. Er hat ein großes Herz für die Rockmusik, mit der er groß geworden ist, von der Who bis Wire, von Neil Young bis zu King Crimson. Schon bevor das Konzert beginnt, klärt ein Discjockey eine Stunde lang über die musikalischen Vorlieben des Heinz Rudolf Kunze auf.

Man versteht fast überall in der weitläufigen Columbiahalle jedes Wort. Der Sound ist bestens, das Licht einfühlsam und mysteriös, im Hintergrund quillt beständig Bühnennebel. Weniger Sprechtexte hat Kunze – mit schwarzem Schlapphut und ebenso schwarzen Schlabberklamotten – diesmal im Programm, dafür mehr Balladen. Die bewegendste ist der neue Song Abschied muß man üben, den er erst ganz allein am Klavier singt und in dieser Live-Version durch die Band zu hymnischen Höhen aufwirbeln läßt.

Eine Band, auf die er sich verlassen kann. Seit fünf Jahren sind sie in dieser Besetzung zusammen. Neben seinem musikalischen Gitarren-Kompagnon Heiner Lürig gehören der stilsichere Drummer C. C. Behrens, der versierte Bassist Raoul Walton und der vielseitige Keyboarder Matthias Ulmer, der ganze Streicher- und Bläsersätze aufzuwiegen hat, dazu. Bei Balladen wie Finderlohn oder Pegasus wogen die Emotionen, bei Rockbrechern wie Talk Show Schmutz oder Ich will es wissen wird mächtig Dampf abgelassen.

Dabei stehen die Texte durchaus im Vordergrund. Doch einmal mehr untermauert Heinz Rudolf Kunze, daß sich Philosophen und Proleten bestens verstehen können, daß sich durchdachte Worte und ein mächtiger Beat aus dem Bauch heraus prächtig vereinen lassen. Kunze erzählt Geschichten von deutschem Alltag und zwischenmenschlichem Zwist, er fügt Splitter des Lebens zusammen zu einem wortreichen und oft wortwitzigen Mosaik, mal bissig-böse, mal nüchtern beobachtend, mal hemmungslos romantisch.

Nachdem er sich mit der furiosen Mörderballade vom Korrekt-Album mit dem nicht enden wollenden Refrain «Schade, wirklich schade» verabschiedet hat, ruft es nicht etwa Zugabe aus dem Saal. Nein, die ganze Columbiahalle singt ein unaufhörliches Wenn du nicht wiederkommst Richtung Bühne. Natürlich kommt er wieder, um samt Verstärkung noch einmal kräftig aufzutrumpfen, bevor er als letzte Zugabe am Klavier, nur begleitet von Keyboarder Ulmer, Romanze singt, jene 20 Jahre alte stimmige Ballade von einem One-Night-Stand mit sich selbst. Nach zwei Stunden ein geradezu intimer Abschluß eines großartigen Abends.

Peter E. Müller, Berliner Morgenpost, 10. Mai 2001

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