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1998

It's not only Rock'n'Roll: Heinz Rudolf Kunze – einfach nicht zu fassen

Markenzeichen Brille. Der Blick eine Mischung aus Schelm und Skeptiker. So darf einer, der Dichter und Denker ist, als Rockmusiker aussehen. Heinz Rudolf Kunze steht seit 18 Jahren auf der Bühne des deutschen Rock'n'Roll. Zeit für eine Gesamtaufnahme mit Lust auf eine Bestandsaufnahme. Denn Heinz Rudolf Kunze ist nicht nur der wortgewaltige Deutsch-Rocker.

Leise Töne auf Papier

Heinz Rudolf Kunze ist ein deutscher Pop-Rockstar. Stimmt. Gemessen an den bis heute veröffentlichten 18 Alben. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Besser gesagt, ein Bruchteil des ganzen, wahren Heinz Rudolf. Das Multitalent Kunze, der am 30. November 1998 seinen 42. Geburtstag feierte, ist mit Leib und Seele mehr als ein Vollblut-Rockmusiker. Der Musikjournalist Kunze lebt die Sprache nicht nur in seinen Songtexten, sondern liebt sie darüber hinaus auch in gebundener Form. Der Musiker als Literat? Ja! Bereits 1978 erhielt Heinz Rudolf Kunze den Literatur Förderpreis seiner Heimatstadt Osnabrück. Seitdem hat er fünf Bücher veröffentlicht. Deutsche Wertarbeit (1984, Zweitausendeins), Papierkrieg (1986, Rowohlt), Mücken und Elefanten (1992, Bouvier), Nicht daß ich wüßte (1995, Ch. Links) und Heimatfront (1997, Ch. Links). Hinzu kommt das literarische Programm auf CD, mit leise instrumentalisierten Texten und Gedichten, Sternzeichen Sündenbock (1991) und Der Golem aus Lemgo (1994). Und nun erscheint zu Beginn des Jahres 1999 noch ein ganzer Bildband KUNZE, ein 'Kunstbuch', wie er mit Augenzwinkern zu Protokoll gibt, mit dem Titel heinz rudolf kunze: agent provocateur (Satzwerk Verlag), das Heinz Rudolf Kunze & Band in voller Aktion zeigt. Besonderes Bonmot ist die limitierte Auflage mit einer Sonder-CD, die unveröffentlichte Live-Titel enthält, unter anderem auch eine Aufnahme der Heinz Rudolf Kunze-Version von Neil Youngs After The Goldrush.

Die Vielseitigkeit eines realistischen Träumers

Seine Reime und Prosatexte lassen sich mit Rilke, Tucholsky, Schwitters, Ringelnatz, Morgenstern, Benn oder Benjamin und vielen anderen messen. Der Anhänger von Botho Strauss und Peter Handke ist ein sprachgeliebter sinnphonetisch Suchender und ein feinfühlig philosophisch Findiger. Hier dadaistisch anarchisch, dort lyrisch schwelgend, da stilblütentreibend ironisch. Hier Kabale und Liebe, dort Banales und Hiebe. In seinen Büchern wie in seinen Songs entdeckt Kunze in der Normalität des alltäglichen Krams den Wahnsinn als Methode. Er spießt die Spießer auf und ist sich nicht zu fein, über sich selbst zu schmunzeln und aus dem Kakao zu trinken, durch den er sich auch selbst zieht. Dabei tut Kunze ebensowenig keiner leid wie er niemanden weh tut. Der ehrliche Zorn gegen Dumpfbacken, Tumbe, Gefühlstaube, Komfort- und Konformisten sowie selbstgerechte Rechte bleibt die in der Tasche geballte Faust. Das nähere Hinsehen zwischen den Zeilen zeigt: Kunze hat Mut. Und den zeigt er lesenswert mit Humor. Seine Bücher sind nicht zum überfliegen. So wie schon seine Musik, die nicht zu(m) überhören ist. Sprache ist seine Waffe, die mit soviel Sensibilität und Hintersinn gewählt ist, daß man ihm den Pazifisten abnimmt.

Wenn er nicht an seinen Songs und Büchern schreibt, arbeitet Kunze an Reportagen über zeitgenössische Musiker oder wirkt als Songtexter. So "legte" er schon Milva, Herman van Veen und Mario Adorf "die Worte in den Mund".

Vom Broadway nach Deutschland: der Musical-Übersetzer

Und dann ist da noch ein Kunze. Der Mann im Hintergrund bei den großen Musical-Erfolgen. Wie keiner weiß und viele hören, sind die deutschen Texte der Musicals Les Miserables und Miss Saigon aus der feinfühligen Feder des Übersetzers Heinz Rudolf Kunze. Bereits 1987 hat er das Libretto der Wiener Produktion von Les Miserables ins Deutsche übersetzt. 1993 erhielt Kunze dafür in Österreich eine Goldene Schallplatte. Seine Textversion zu Boublil Schönbergs Miss Saigon entstand ein Jahr später und bescherte ihm jüngst eine weitere Goldauszeichnung. Und als sich am Abend des 13. Dezembers 1996 der Vorhang zur Deutschland-Premiere vom Broadway-Erfolg von Andrew Lloyd Webbers Werk Joseph hob, hieß der tonangebende Übersetzer wieder so wie ein bekannter Rockmusiker: Heinz Rudolf Kunze, dem dafür mittlerweile die begehrte Musical-Auszeichnung Image überreicht wurde. Gute Voraussetzung für die vierte Übersetzung aus der Feder des wortgewandten Übersetzers, die er in Form des US-Erfolgsstücks Rent von Jonathan Larson im letzten Jahr fertiggestellt hat.

Wieviele sind KUNZE?

42 Jahre, 18 Alben, drei Musical-Übersetzungen, fünf Bücher, verschiedene Essays und Reportagen ... das Gesamt-Kunze-Werk wächst. Und mit ihm der Mensch und der Künstler dahinter. Kunze ist Poet, Lyriker, Rocker, Chansonnier, Musikwissenschaftler, Literat, Autor, Kabarettist, Komponist, Philosph, Germanist, Journalist, Sprachbewahrer, Sozialkritiker, Deutschrock-Nachwuchs-Chancengeber, Musicalist, Song-Ghostwriter, Wortakrobat, Dichter und Denker, Bekenner und Meinungsbilder ... Kunze ist Nach-, Vor- und Querdenker. So quer, daß er in keine Schublade paßt.

Der Ordnung halber zum Schluß doch der Versuch einer ebenso kurzen wie vollständigen Bio- und Diskographie des Künstlers:

Der 1956 in einem Flüchtlingslager in Espelkamp/Ost-Westfalen geborene Heinz Rudolf Kunze beginnt nach dem Philosophie- und Germanistikstudium 1980 beim deutschen "Pop-Nachwuchs-Festival" in Würzburg seine schnelle Karriere als Rockmusiker. Bereits ein Jahr später startet er mit seinem Debut-Album Reine Nervensache die erste Deutschland-Tournee. Bisher hat der Musiker 18 Alben veröffentlicht, unter anderem Reine Nervensache, Eine Form von Gewalt, Dein ist mein ganzes Herz, Brille, Kunze: Macht Musik, Richter-Skala und alter ego.

Die Nummer 19 in der Reihe der Kunze-Alben (von denen jedes so frisch wirkt, als sei es das erste) keißt Korrekt. Und – wie sollte es anders sein – natürlich läßt Kunze ihm eine Tour folgen: die Korrektour, die ihn vom 14. April bis zum 07. Mai 1999 durch das Land führen wird. Im Anschluß daran werden einige Festivals mit weiteren Größen der deutschen Pop/Rockwelt folgen.

Zu den zahllosen Auszeichnungen Heinz Rudolf Kunzes zählen der "Berliner Wecker Kleinkunstpreis" (1982), der "Willy-Dehmel-Preis"(1982), der im Rahmen des SWF-Liederfestivals vergeben wird, der "Deutsche Schallplattenpreis" (1983) und der "RTL Sonderlöwe" (1987), in der Sparte Neues Deutsches Lied.

WEA, Dezember 1998

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