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1994

Neue Lieder von Strichern, Monstren und fetten Hippies: Heinz Rudolf Kunze "Macht Musik".

Der "alte Grantler" schlägt wieder zu

Heinz Rudolf Kunze im Gespräch: "Sollten wir da gar was richtig gemacht haben?"

Er hat die philosophischen Welterklärer im Kopf und die notorischen Weltverbesserer des Rock 'n' Roll im Herzen. Er fordert heraus zum Mitdenken und haut mit durchdachten Gitarrenbreitseiten in die Hüfte. Er ist der lautere Literat im lauten Rockbusineß. Heinz Rudolf Kunze, der grantelnde Germanist und professionelle Entertainer, hat der Rockmusik aus Deutschland ihre kopierselige Beliebigkeit weggenommen – und ihr die Macht der Musik eingetrichtert. Macht Musik hat er seine neue, mittlerweile 14. Songkollektion getauft, formal wie inhaltlich eine runde Sache und Kunzes bisher reifste Arbeit.

Der Osnabrücker mit Hannoveraner Heimstatt macht Musik und nutzt ihre Macht nicht nur zum Transport seiner poetisch pulsierenden Polemik, nein, er hat etwas geschafft, was den wenigsten bisher gelang: er hat Text und Musik zu einer neuen, knisternden Einheit verwoben. Das regt einerseits die grauen Zellen an, macht andererseits schlichtweg Spaß. Gerade ist die neue Platte mit einem großen Satz in der vorderen Hälfte der Hitlisten gelandet. "Sollten wir da gar etwas richtig gemacht haben?" fragt er mit ironischem Lächeln beim Interview.

Macht Musik ist eine abwechslungsreiche Kreuzfahrt durch die bald 14jährige Musikgeschichte von Heinz Rudolf Kunze. "Klar habe ich mich musikalisch über die Jahre ziemlich gewandelt", meint er. "Aber ich glaube schon, daß es textlich so etwas wie einen roten Faden gibt von der Bestandsaufnahme bis heute."

Kunze erzählt Geschichten von mitunter boshafter Hintergründigkeit, er kann aber genauso gut in wohlig harmonischen Liebesliedern schwelgen. Leg nicht auf, die erste Single, ist der beste Beweis dafür. Doch auch hier wiederholt er nicht einfach die tumben Mitteilungsmanierismen deutscher Schlagerschergen. Wenn du nicht bald anfängst mir Antwort zu geben, fängt es ohne dich an, das richtige Leben, singt er der Begehrten entgegen.

Kunze ist keiner, der sich ein Thema überlegt und dann anfängt, zu schreiben. "Ich kann meine Songs meist erst erklären, wenn sie fertig sind. Wenn Leute von mir verlangen, mach doch mal was über Ausländerfeindlichkeit, ist das Ergebnis gleich null. Da fällt mir nichts ein." Es sind Bilder, Eindrücke, Assoziationen, die sich in einem neuen Song entladen.

Einer der kontroversesten Titel der Platte beispielsweise ist Sex mit Hitler. Kunze: "Das fing eigentlich nur mit der Überschrift an. Ich habe mir eine rot unterstrichene Schlagzeile vorgestellt: Sex mit Hitler. Da steckt natürlich auch meine Allergie gegen dumpfgeistige Protestlieder dahinter. Im dem Song geht es um einen kleinen Stricher, der Verkehr mit einem Monstrum hat. Es geht aber auch um eine verlorene Generation, die mit Hitler flirtet und nicht weiß, worauf sie sich da einläßt."

In Fetter alter Hippie geht er – angestachelt von einem treibenden Funk-Gitarren-Riffs in bester Sly-Stone-Tradition – der Woodstock-Generation der Endsechziger an den Kragen. "Das sollte eher ein mitleidvolles Lied werden, aber dann ist doch meine Wut mit mir durchgegangen", erzählt Kunze, "1969 war ich gerade in dem Alter, in dem man anfängt, richtig Musik zu hören. Da habe ich meine ersten Platten gekauft, 'Tommy', 'Electric Ladyland', 'Blind Faith'. Es ist eigentlich ein Lied für meine älteren Brüder, die ich nicht habe."

Er geht hart mit den einstigen Hippies ins Gericht. Kunze: "Klar werden sich da viele betroffen fühlen, aber es ist dennoch wahr und nur gerecht, wenn man den 68ern vorhält, was ist. Jedenfalls erwarte ich schon so eine Art grimmigen Selbsthumors. Das müssen die alten Hippies ertragen."

In Einfacher Mann wiederum widmet er sich den sogenannten einfachen Leuten. "Es gibt ja so diese Sehnsucht, alles los zu sein, was einem so die Birne bläht", meint er. "Randy Newman hat mir mal gesagt, manchmal wäre er gern ein einfacher Tischler. Aber das vergeht dann schnell wieder."

Goethes Banjo, eine musikalische Verbeugung vor King Crimson und Pink Floyd, ist eines der stärksten und derbsten Stücke der Platte. "Das ist ein Lied über einen Berliner Perversen, der nur nach einem Sonnenstich in der Sahara einen hochkriegt. Es ist sicherlich eines der fürchterlichsten Stücke die ich je gemacht habe – aber ich liebe es über alle Maßen."

Entstanden ist die neue Platte in schwieriger Zeit und Kunze selbst ist glücklich, daß man es den Songs nicht anmerkt. "Meine Musiker haben mir da großen Halt gegeben." Im vergangenen Jahr hatte Kunzes Dogge in seinem Garten das Kind der Reinemachefrau totgebissen. "Es war ein schrecklicher Vorfall, der uns bis heute begleitet", sagt Kunze. "An jenem Tag sind wir morgens nach Hamburg gefahren, wo ich den Vertrag für die deutsche Übersetzung des Musicals Miss Saigon unterschrieben habe. Als wir abends wieder nach Hause gekommen sind, standen die Nachbarn vor der Tür und erzählten uns, was geschehen war."

"Die Frau hatte zuvor noch nie ihr Kind mitgebracht", so Kunze weiter. "Sie hat es allein im Garten gelassen, dabei ist es dann passiert. Die Zeit danach war ein echtes Spießrutenlaufen. Detektive, Spitzel, Reporter haben uns belagert, haben mich, meine Frau und meine beiden Kinder verfolgt bis ins Wohnzimmer, sie haben versucht, unsere beiden Familien gegeneinander aufzuhetzen, sie haben unsere Nachbarn unter Druck gesetzt, aber die konnten alle auch nur bestätigen, daß der Hund keineswegs aggressiv war. Und inzwischen, nachdem ich das Tier auf den Rat von Fachleuten hin habe einschläfern lassen, habe ich die Tierschützer am Hals."

Musikalisch toben sich Kunze und seine konstante Musikerverstärkung quer durch die Rockgeschichte aus. Selbst ein Mellotron kommt zum Einsatz. Aber zwischen aller Bissigkeit und allen scharfzüngigen Hieben des "alten Grandlers", wie er sich selbst gern charakterisiert, hat Kunze mit Keine Umkehr mehr ein sehr poetisches, sanftes Lied eingebettet. "Ja", lacht er, "das ist ein sehr positives Stück. Es war Frühling, ich lag auf dem Teppich und hatte, früher hätte man gesagt, ein mystisches Erlebnis. Für eine halbe Stunde war ich im Einklang mit allem, verdächtigt erleuchtet, habe mich einfach wohlgefühlt. Und was mach ich danach? Ich setz mich und schreib eine Text. Das ist so ein Privatgospel geworden, musikalisch eine tiefe Verbeugung von dem dritten Yes-Album und Cat Stevens."

Macht Musik ist eine Art Bestandsaufnahme im Werk des Heinz Rudolf Kunze. Am 15. April beginnt in der Stadthalle von Osterode die Macht Musik-Tournee, die Kunze & Band am 30. Mai traditionsgemäß ins Tempodrom im Tiergarten führt.

Peter E. Müller, Berliner Morgenpost, März 1994

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