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Wollen Sie einen Blick ins Studio werfen?
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Das Madagaskar-Studio in der Wedemark im April 2000: "Fühlst du das, was ich nicht sagen will, fühlst du das?" – mit seiner ganzen Intensität schlägt uns der Refrain eines neuen Songs entgegen, als wir das Studio betreten. Heiner Lürig kontrolliert das Mischpult, Matthias Ulmer streut noch ein paar Tupfer am Flügel ein, Heinz Rudolf Kunze beobachtet gespannt, wie das neue Werk wächst. Vor zwei Tagen erst hat er den musikalisch anspruchsvollen Titel noch mal neu gesungen. HRK und Verstärkung sind bei der Arbeit.
Was hier entsteht, ist das 21. Album aus dem Hause Kunze/Lürig. Arbeitstitel zu diesem Zeitpunkt: Jesus Tomahawk. "Manche erwarten vielleicht, daß wir jetzt eine noch radikalere Version von Korrekt liefern", meint Kunze in Anspielung auf das Erfolgsalbum des Jahres '99. "Aber Korrekt gibt's ja schon. Also haben wir etwas vollkommen Neues eingespielt."
Das neue Album wird ruhiger, melodischer, wärmer als der Vorgänger. Aber nicht einfach netter. Musikalisch und textlich hat es den Tiefgang, den Kunze-Kenner erwarten. Nur gestattet sich der Musiker Kunze viele eingängige Melodien. "Diesmal gibt's weniger Velvet Underground und mehr Eagles" – so beschreibt HRK die musikalische Tendenz des Ganzen. Und er hat Recht: Wer die geeignete Single unter den zur Zeit 15 Titeln sucht, ist zunächst etwas ratlos. Es gibt zu viele Kandidaten. Daneben stehen ausdrucksstarke Mid-Tempo-Rock-Nummern, ein paar eigenwillige Kreationen und natürlich auch gradliniger Rock'n'Roll.
Aus über 80 Songtexten haben Heinz Rudolf Kunze und Heiner Lürig diese Titel ausgewählt und musikalisch umgesetzt. Allein die Zeilen von Gehen sind schon in Kunzes letztem Buch Heimatfront veröffentlicht. Mit dem übrigen Material betreten auch die aufmerksamen Begleiter des Lyrikers Kunze unbekanntes Land. Musikalisch gut die Hälfte der Songs aus der kreativen Feder von Heiner Lürig.
Textlich geht es wieder um die ganze Welt. Kunze starrt gebannt auf das Leben und sucht verzweifelt nach der Fernbedienung. Er seziert den deutschen Alltag, genießt das Erlebnis des Raums und hört nicht auf zu träumen. Ein begnadeter Poet und Erzähler ist hier am Werk, mal als Weiser, mal als Prophet, mal als Voyeur. "Ich bin Schaulustiger", hat er mal gesagt. Das gilt wohl immer noch. Vielleicht ist er auch Andersdenkender. Oder Lebenskünstler. Wer weiß.
Matthias Ulmer sitzt inzwischen an diesem alten, kleinen Wurlitzer-E-Piano, das irgendwie die 70er Jahre überlebt hat. Pegasus ist jetzt dran. Diese wunderbare Ballade braucht noch ein paar rhythmische Ergänzungen vom Keyboard. Heiner Lürig korrigiert letzte Einstellungen, die Aufnahme läuft, und Ulmer greift in die Tasten. Der Rest hört, schweigt und genießt.
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