Schäme dich nicht deiner Tränen
Denk an die Türen für immer geschlossen
An die Leitern an Wänden mit verrosteten Sprossen
Denk an die Spiegel die dich niemals mehr zeigen
An die Drachen der Kindheit die nie wieder steigen
Denk an die Haut und den Duft mancher Frauen
Denk an den Abschied und sein schweigsames Grauen
Denk an die Kerze ins Fenster gestellt
Die ganz plötzlich verlischt und mit ihr eine Welt
Denk an die Küsse
Die du vergaßt zu erwähnen
Und dann schäme dich nicht
Schäme dich nicht deiner Tränen
Denk an Figuren die keineswegs wussten
Dass sie dein Schicksal vorausspielen mussten
Denk an den Hamlet mit schwankendem Schritt
Der erst wenn du fort bist die Bühne betritt
Denk an die göttlich ausschließliche Liebe
Und ihr Verschwinden im Alltagsgetriebe
An die Gefühle von Schuld und Versagen
Bei dem Bemühen sein Päckchen zu tragen
Denk an dein Zögern
Bei den gescheiterten Plänen
Und dann schäme dich nicht
Schäme dich nicht deiner Tränen
Schäme dich nicht deiner Tränen
Schäme dich nicht deiner Wut
Immerhin willst du noch atmen
Bläst du noch Luft in die Glut
Noch ist der Stab über dir nicht gebrochen
Noch ist das letzte Wort hier nicht gesprochen
Schäme dich nicht deiner Tränen
Sie sind salzig und bitter und gut
Denk an die Bilder die niemals verblassen
Menschen die alles verachten und hassen
Wünsch ihnen Kraft um auch dir zu verzeihen
Denk an die Wünsche die nachts in dir schreien
Reiß dich zusammen
Knirsch nicht im Schlaf mit den Zähnen
Aber schäme dich nicht
Schäme dich nicht deiner Tränen
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