Immerzu fehlt was
Die Sehnsucht des Babys sprechen zu können
Und Menschen und Dinge beim Namen zu nennen
Die Sehnsucht des Kleinkinds laufen zu lernen
Um sich weiter und weiter von der Brust zu entfernen
Die Sehnsucht des Kindes die Welt zu begreifen
Um die Angst vor den Märchen abzustreifen
Und die Sehnsucht dass sich ganz schnell klärt
Was als Pubertät in den Adern gärt
Die Sehnsucht des Jungen den Drang zu verstehen
Bei den Mädchen bis ganz auf den Grund zu gehen
Die Sehnsucht des Mädchens begehrt zu werden
Entführt von Prinzen auf schneeweißen Pferden
Die Sehnsucht des Burschen den Held zu markieren
In den Augen der Jungfrau Bereitschaft zu spüren
Die Sehnsucht der Jungfrau zu blühen wie Mohn
Nach Lust und nach Liebe ohne Absolution
Immerzu fehlt was immerzu quält was
Man weiß nicht was es ist
Nur dass man’s wenn nicht alles täuscht
So lang man lebt vermisst
Die Sehnsucht des Mannes nach Geld und Bedeutung
Und nachts immer öfter nach heimlicher Häutung
Die Sehnsucht der Frau nach Freiheit und Kind
Und dass die Dinge vereinbar sind
Und langsam kann man einander nicht leiden
Man lässt sich verbittern zuweilen auch scheiden
Die Sehnsucht von beiden nach neuerlei Bindung
Nach dem Selbst und nach dessen schlussendlicher Findung
Die Sehnsucht der Alten nach der Rückkehr der Jugend
Und die Einsicht: Die Sehnsucht ist gar keine Tugend
Ist einprogrammiert als ein lästiges Laster
Denn es gibt keinen Trost und nur selten ein Pflaster
Die Sehnsucht der Greise kommt leise geschlichen
ie Geschlechtsunterschiede sind längst verblichen
Die Sehnsucht nach Schlaf und nach seliger Ruhe
Und wenig bleibt übrig höchstens einzelne Schuhe
Immerzu fehlt was immerzu quält was
Man weiß nicht was es ist
Nur dass man’s wenn nicht alles täuscht
So lang man lebt vermisst
Immerzu fehlt was immerzu quält was
man hat es nie gewusst
man trägt es dumm mit sich herum
als Klopfen in der Brust
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