Kunze zur Blauen Stunde in der Semperoper Dresden
Ein wolkenloser Frühlingsabend in Dresden. Heinz Rudolf Kunze bereitet sich im 'wohl schönsten Veranstaltungsort Deutschlands' (so seine Worte) auf das Abschlußkonzert seiner Tournee 2002 vor. Das Blau des Himmels beim Blick von den Brühlschen Terrassen hinunter auf die Elbe, hier 'Blaue Stunde' genannt, erinnert an das Cover des dritten 'Anderen Albums' von HRK Wasser bis zum Hals steht mir. Die Tour, welche durch kleinere, aber feinere Locations geht, findet am 21. April 2002 ihren Abschluss in der Dresdner Semperoper.
Das Publikum im feinen Zwirn, aber auch im Alltagsdenim, erwartet nach der im Herbst 2001 eingespielten literarischen Platte mit viel Musik (daher auch "Anderes Album") den anderen Kunze: den Dichter, Poeten und Wortverdreher im anregenden, geistvollen Sinne. Elemente, die er auch immer bei seinen Rocktourneen in Sprechtexten und Balladen am Klavier durchblitzen lässt, werden bei Wasser bis zum Hals steht mir zum Programm.
Applaus rauscht durch die ehrwürdige Semperoper, als Matthias Ulmer, Heiner Lürig und HRK die Bühne im blauen Scheinwerferlicht, begleitet von der Intro-Melodie Eichenlaub betreten. Respektvoll blickt Heinz die Ränge hinauf, bringt auch damit zum Ausdruck, daß er beinahe ehrfürchtig dieser historischen Oper gegenübersteht, in der er mit seinen beiden Kollegen auftreten darf.
Hallo Deutschland, so grüßt er dann auch. Die gespannte besondere Atmosphäre hier, wie in manch anderem kleinen Theater auf dieser Tour, verlangt große Aufmerksamkeit; insbesondere derer, die bislang dachten, daß es nur den Rock-Kunze gäbe. Nicht nur Die Verteidigung der Stammtische belehrt alle eines Besseren. Während der Begrüßung preist Heinz noch einmal ausdrücklich diesen einzigartigen Auftrittsort. "Wasser bis zum Hals steht mir – gut?" fragt er. Dieses aber soll nach dem Abend das Publikum beantworten.
In seinem ersten Sprechtext gibt er sich als "Ein Mann des vorigen Jahrhunderts" und intoniert Lisa am Klavier. Heinz und Heiner sitzen mal am Bühnenrand, spielen Gitarre, und im Hintergrund zaubert Matthias Ulmer die besonderen Effekte, die auch auf dem Studioalbum Wasser bis zum Hals steht mir hörbar sind. Manchmal steht auch Heiner an einem Minikeyboard oder nimmt am Klavier Platz. Der endgültige Ozean und Die chinesische Wasserfolter verlangen nach den sphärischen Klängen aus Matthias Ulmer Tastenmaschinerie. Die rhythmische Nummer Ein einfacher Mann lockert anschließend auf und animiert zum Mitklatschen.
Aus dem Wasseralbum folgen So lala und Auszeiten. Immer wieder, und mehr als üblich, unterhalten Texteinlagen, nachdenkliche, aber wie bei Heinz zu erwarten, auch solche, die augenzwinkernd vermittelt werden und zum Schmunzeln, als auch herzhaftem Lachen verleiten. Stärker als der Mond – die schöne Ballade aus dem Korrekt-Album ist für diese Besetzung ideal. Eine volle Stunde ohne Alkohol aber wollen Heinz, Heiner und Matthias den Besuchern der Semperoper doch nicht zumuten und so gibt es nach einer knappen Stunde eine kleine Programmpause, die Verzehr vielfältiger Art genehmigt.
Die drei Helden des Abends kehren zurück. Nichts ist so erbärmlich wie die Jugend von heute heißt ein Stück auf dem Album, welches für dieses Programm steht. So ein Satz durfte nicht unwidersprochen bleiben. "Hier spricht ein alter Mann – ein Spießer!", wie Heinz erklärt.
Aus diesem Grund forderte HRK im Internet jüngst dazu auf, auf die Inhalte dieser Nummer zu reagieren. Die besten eingesandten Texte wurden hier live verwendet. So waren die Antworten in der Semperoper auch unterschiedlich zum Original. Auf dem veröffentlichtem Album wurde ihm von der Rappformation le 'zon (g-ray, soy, j.p, kem) geantwortet.
Anschließend fordert Heinz angesichts der Lage in Afghanistan 'das Feuer einzustellen'. Das Publikum unterstützt seine Forderung applaudierend. Ophelia ist dann die nächste schöne Klavierballade in diesem besonderen Programm. Eine weitere experimentelle Nummer aus dem dritten, anderen Album wird den Zuhörern geboten: Argumental.
Über das Männergebet, ein Klavierstück, welches auch oft auf Tourneen mit der ganzen Verstärkung gespielt wurde und für Fans über die Jahre zum Klassiker reifte, schließt HRK mit zwei Stimmungsliedern à la Kunze: Meine eigenen Wege und Gute Unterhaltung.
Aber auch auf einer literarischen Tour mit viel Musik geizt Heinz nicht mit Zugaben und erntet Standig Ovations auch in bestuhlten Konzerten wie diesem. Die alten Klassiker Der schwere Mut aus den frühen Achtzigern und Aller Herren Länder aus den späten Neunzigern begeistern.
In der zweiten Zugabe überrascht Heinz mit einem Stück, das die alten, wackeren Fans nicht mehr live zu erleben glaubten: Heinz spielt die Bestandsaufnahme, wenn auch schon '45' hinterm Komma steht. Die Menschen in der Semperoper stehen und wollen sich kaum wieder auf ihre nummerierten Plätze niederlassen.
Sicherheitsdienst, auch noch aus frühen Tagen, erhält die beschwingte Stimmung aufrecht. Swing ist auch das Stichwort für den gelungenen 'Rausschmeißer' Gehen. Schnipsend, klatschend, tanzend verabschiedet sich das Dresdner Publikum der Semperoper von Matthias Ulmer, Heiner Lürig und Heinz Rudolf Kunze.
Draußen ist es dunkel, die "Blaue Stunde" ist längst vorüber, aber die Besucher der Semperoper an diesem späten Apriltag 2002 gehen erfüllt heim nach einem ganz außergewöhnlichen Heinz Rudolf Kunze-Konzert.
Matthias von Schramm, Mai 2002
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