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Ein längerer und besonderer Tag in Jever
Heinz-Rudolf-Kunze-Konzert: Rund 800 begeisterte Besucher im Schützenhof / Zwei Stunden Musik nonstop
Der große Saal im Schützenhof wird von lila Lichtstrahlen durchflutet, aus einem Lautsprecher dröhnen Rotorengeräusche eines Hubschraubers über die Köpfe der rund 800 Besucher im Saal hinweg. Ein Mann springt auf die Bühne, eigentlich recht unscheinbar in weißen Turnschuhen, Jeans, schwarzem T-Shirt, Weste – wären da nicht Brille und Gitarre. Heinz Rudolf Kunze gibt von der ersten Sekunde an 110 Prozent, bei seinem Einstieg mit der Rocknummer Astronaut in Bagdad fangen die Fans sofort Feuer. Am letzten Tourabend in Jever (und Kunze spricht Jever richtig mit v aus) wolle er noch einmal richtig Gas geben. Seit Ende April war er mit seinem neuen Album Protest auf Deutschlandtour, und nach elf Konzerten in Großstädten – am Abend vorher in der Großen Freiheit in Hamburg – war der Auftritt in Jever für Kunze eher in der Kategorie Clubkonzert einzuordnen. Und dann gibt er Gas, der 52-Jährige. Nach dem dritten Lied glänzen die ersten Schweißtropfen auf der Stirn, die später in Strömen fließen. Wasserflasche und Handtuch liegen bereit. Zwischen den Liedern kurz abtrocknen, Gitarre tauschen – und weiter geht’s. Das Zusammenspiel ist perfekt. Da oben auf der Bühne stehen Profis, die ihr Handwerk verstehen und es mit Spaß ausleben. Matthias Ulmer, Leo Schmidthals, Jens Carstens, Jörg Sander und Zoran Grujovski (die beiden Letzteren sind gebürtige Wilhelmshavener) rocken rechts, links, vor und hinter Kunze, animieren das Publikum zum Mitklatschen und -singen und spielen so, als wär’s der erste und nicht der letzte Tourabend. Pause? Fehlanzeige. Zwei Stunden wird durchgerockt, inklusive etlicher Zugaben am Schluss, denn das Publikum ködert Kunze mit seinem eigenen Lied Wenn du nicht wiederkommst.... Er heult mit den Wölfen, ist auf einem anderen Stern, hat Regen im Gesicht an diesem längeren und besonderen Tag in Jever. Die Fans singen mit, und auch Dein ist mein ganzes Herz, Finden Sie Mabel und andere alte Songs dürfen nicht fehlen. Zwischendurch gibt’s von dem Sprachkünstler auch die leiseren literarischen Töne – mal nachdenklich, mal witzig, und immer zwischen den Zeilen voller Ironie und Tiefgang. Da sitzt der gebürtige Mindener am Klavier und sinniert vor sich hin: „Die Frage ist ja nicht die, ob das Glas halb voll oder halb leer ist, sondern die, wieviele Flaschen noch da sind und welche das Sagen hat.“ Und schon springt er wieder auf, wechselt vom Klavier an die Gitarre, um versunken in die einfühlsame Ballade Längere Tage (eine der beiden ersten Single-Auskopplungen aus seinem aktuellen Protest-Album) abzutauchen. Das Publikum taucht mit – Frauen und Männer gleichermaßen, das Gros 30 bis 60 Jahre alt. Sind das die alten Fans von früher? Oder die neuen von heute? Oder beides? Schwer zu sagen, aber sicher ist, dass die meisten verblüffend textsicher sind und (fast) alle Lieder von Anfang bis Ende mitsingen. Kantig sind sie, diese Lieder, reich an Wortspielen und Metaphern, spüren Alltägliches auf und zeichnen Beziehungsbilder – und das Ganze auf unverwechselbare Kunze-Art. Und die mag man eben, oder nicht. Nach zwei Stunden, es ist 23 Uhr, sieht Kunze aus wie frisch geduscht. Er hat wieder und wieder Zugaben gegeben, doch jetzt ist Schluss. Das Publikum, müde geklatscht und gesungen, erhebt keinen Protest, lässt ihn ziehen. Die Musiker winken, lachen, zwinkern hier und da noch mal ins Publikum – ihnen hat’s augenscheinlich auch Spaß gemacht. Kunze und seine Crew übernachten vor Ort. Schützenhof-Chef Stephan Eden kann zufrieden und stolz sein: Ein solches Musikerlebnis hat es schon lange nicht mehr in Jever gegeben. Da möchte man dem Hotelier zurufen: „Einmal noch und immer wieder, am besten noch einmal, einmal noch ins Tal ins Lieder, ins immergrüne Tal...“
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