Kunze redet Klartext
Über Verwandlungen, Poe und seine neuen Pläne
Gelegentlich offenbaren einem Tage, bevor sie sich ihrem Ende zuneigen, noch schnell die eine oder andere unerwartete Überraschung. Es ist kurz vor 23 Uhr an einem wunderbar lauen Juniabend. Der Vollmond ist zwar nicht über Alabama aufgegangen, erleuchtet dafür aber die Skyline der Thüringer Landeshauptstadt ebenso beeindruckend wie er es auch zwischen Mississippi und Georgia kann. Heinz Rudolf Kunze hat seinen Chitinpanzer, den er sich zwei Stunden lang freiwillig als Bürde auferlegt hatte, wieder abgeworfen, raucht nun samsabraune Zigarillos, nippt am Rotweinglas, mustert hin und wieder eifersüchtig den zwischen ihm und dem Interviewer sich befindlichen Sennheiser-Kunstkopf wie einen Eindringling, ist aber sichtlich gelöst und auskunftsbereit.
Wunderkinder: Heute, anlässlich des 80. Todestages von Franz Kafka, hast Du in der Peterskirche in Erfurt knapp zwei Stunden lang aus Kafkas "Die Verwandlung" gelesen, ...
HRK: ... ja, und ich war für zwei Stunden lang 'Herr Samsa' und nicht mehr Herr Kunze ...
Wunderkinder: ... was fasziniert Dich so an Franz Kafka als Autor?
HRK: Ich denke, dass Kafka seine absolute unerreichbare Meisterschaft in der Kurzprosa, in den Erzählungen und Parabeln erreicht hat. Seine Romane sind wundervoll, aber seine Kurzprosa ist noch besser. Da hat er eine Dichte, die man mit musikalischen Mitteln nur mit Jimi Hendrix vergleichen kann. Kafka war auf jeden Fall ein einmaliger Ver-Dichter der Deutschen Sprache.
Wunderkinder: Kafka ist, nach langer Krankheit, früh gestorben. War die Vorahnung seines Todes mit eine Quelle für die Texte, die er schrieb?
HRK: Ich denke, dass man – tragischer Weise – eine solche Intensität von Sprache wahrscheinlich nur hinbekommt, wenn man das dem eigenen Leiden abringen muss und der vielleicht einzige Gegenbeweis ist Thomas Mann, der lange gelebt hat und auch ein Virtuose der Deutschen Sprache war. Viele andere, siehe Kleist, siehe Hölderlin, siehe Büchner, halten das nicht lange durch.
Wunderkinder: Auf Deiner Homepage ist zu lesen, dass Dich manche Kritiker in eine Reihe stellen mit Rainer Maria Rilke, Kurt Tucholsky, Joachim Ringelnatz, Christian Morgenstern, Gottfried Benn oder Walter Benjamin. Sind das Unkritiker, weil sie unkritisch sind, vielleicht sogar Fans?
HRK: Das mögen zum Teil Fans sein, zum Teil Leute, die einfach nur Namen aufrufen. Ich weiß nicht ob ich mit all den Genannten etwas zu tun habe. Ringelnatz etwa, käme mir als ein ungewöhnlicher Vergleich vor, bis vielleicht auf die eine oder andere Zeile. Was die Ernsthaftigkeit meines Bemühen betrifft, würde ich sagen: Benjamin trifft zu. Gottfried Benn ist ein ganz großer Name, den ich sehr verehre und dem ich mit Sicherheit nicht das Wasser reichen kann, aber der Vergleich schmeichelt. Ich denke, dass es oft so ist, dass die Leute, die solche Vergleiche anstellen, die Autoren gar nicht gelesen haben, die sie im Zusammenhang mit mir zitieren.
Wunderkinder: Du hast Kafka als Dichter bezeichnet. Siehst Du Dich selbst als einen Dichter und muss Dichtung immer im Gleichklang mit Gedichten gesehen werden?
HRK: 'Dichter' ist ein sehr offenes Wort, da kann man vieles drunter packen. Da meine Methode in der Sprache darin besteht, Dinge zusammenzufassen und zu verkürzen, bin ich auf jeden Fall ein Verdichter. Ob es zum Dichter reicht, müssen andere Leute entscheiden.
Wunderkinder: Gregor Samsa verwandelt sich bei Kafka aus Protest gegen seine Lebensumstände. Auch Heinz Rudolf Kunze verwandelt sich – gelegentlich. "Ein kluger Mann muss sich nicht als alternder Rocker verkleiden, wenn er doch nur ein rockender älterer Kluger wird." steht seit Jahren im Gästebuch Deiner Homepage, geschrieben von einem weiblichen Fan. Ist da etwas dran und warum verwandelt sich Heinz Rudolf Kunze gelegentlich?
HRK: Aus Langeweile, aus Spieltrieb. Es unterstützt meine Texte, die ja auch voller Rollenspiele sind und in denen ich nur selten persönlich etwas sage. Meine persönlichen Ansichten kommen in den Texten nur in Nebensätzen und zwischendurch mal zum Vorschein. Vieles, was ich sage, in den Sprechtexten oder den Liedern, meine ich nicht persönlich. Ich nehme da Rollen ein und lasse andere 'Leute' reden.
Wunderkinder: Gelegentlich verstehen Deine Leser nicht sofort, was gemeint ist. Zum Beispiel beim Buchtitel 'Vorschuss statt Lorbeeren' merkten viele erst nach langem Hin- und Herdenken, dass es eine Metapher für 'Geld statt Ruhm' ist. Haben sich Deine Texte, hat sich Deine Art zu Schreiben über die Jahre verändert, verkompliziert?
HRK: Da muss man immer fein unterscheiden, wie die Anderen das empfinden und wie man selbst es empfindet. Ich finde meine Texte werden häufig dichter und verschlüsselter, verschrobener und merkwürdiger, und es gibt weniger einfach und naiv formulierte Sachen wie Anfang der 80er Jahre. Es wird schon, so hoffe ich wenigstens, von der Wortwahl kompakter und verdichteter, denn ich möchte als Autor ja auch dazulernen und besser werden. Das führt dann gelegentlich zu Ergebnissen, die man zum Beispiel nicht so einfach vertonen kann. Musik will oft etwas anderes als Sprache, das bringt man nicht so ständig gleich zusammen. Heiner Lürig reagiert am liebsten auf Dinge, die ihm relativ unverschlüsselt und direkt einleuchten, dazu fällt ihm einfach mehr ein. Bei den Sachen, die ich selbst komponiere, nehme ich darauf weniger Rücksicht und bringe dann auch die etwas kompakteren, vielleicht rätselhaften Sachen mit Musik zusammen. Da Heiner und ich uns im Vorfeld einer jeden Platte, die wir zusammen machen, sehr intensiv auseinandersetzen, was man machen soll, muss man auch einmal zurückstecken, wenn das andere Ergebnis besser ist.
Wunderkinder: Das klingt ganz so, als ob ihr wieder eine Platte zusammen machen wollt?
HRK: Wir hatten uns ja für ein Album getrennt und haben dann beim Sommernachtstraum gemerkt, dass wir ohne einander nicht sein können. Die Arbeit am Sommernachtstraum hat uns nach meinem Seitensprung wieder zusammengebracht.
Wunderkinder: Was sagt denn der Rest Deiner musikalischen Verstärkung dazu?
HRK: Ich mache in diesem Jahr nur noch zwei Konzerte, in Berlin und Hannover, und das wird in der Besetzung von Rückenwind sein. Ich möchte mich zur Zeit danach, um Heiner gerecht zu werden, vorsichtig ausdrücken, aber man kann es sich vorstellen und man darf es sich vorstellen, dass daraus wieder mehr wird. Zumindest kann ich sagen, dass ich im September und Oktober keine Zeit für irgend etwas anderes haben werde, als für die Aufnahme des neuen Heinz Rudolf Kunze Albums. Eine Platte zu machen ist wie eine U-Boot-Mission, da kommt man nicht raus. Auch wenn ich ab und zu einmal auftauchen sollte.
Der Vollmond illuminiert immer noch grandios die Skyline der Thüringer Landeshauptstadt. Inzwischen haben die Anwesenden herausgefunden, dass sie nicht im 'Glashaus' sitzen, sondern in der 'Glashütte', die gerade erst seit fünf Tagen für Gäste geöffnet ist - Kunzes Besuch ist also in der 'Glashütte' so etwas wie die Prominentenpremiere. Heinz Rudolf selbst läuft derweil zu Hochform auf, zitiert die entscheidenden Sätze aus einigen Sternstunden des Films, ahmt Jürgen Prochnow in Petersens "Das Boot" nach ("Not yet, boys – not yet!"), plaudert Erkenntnisse der gerade zuvor besuchten Kultusministerkonferenz in Mainz aus – Heinz ist Mitglied der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" – und lässt im Überschwang seiner Erzählungen glatt das Essen verwelken. In wenigen Momenten wird er gar als Meta-Morpheus der Kunze-Matrix brillieren. Ungestellt! Ein einsamer Job, weil es in dieser Gedankenliga kaum Konkurrenz gibt. Da herrscht Neid pur, wenn er Halbsätze sagt wie: "... es geht um das Glück – dessen Saum kann man tatsächlich ergreifen ...".
Wunderkinder: Dieses Buch kennst Du noch? (Der Interviewer hält Herrn Kunze "Deutsche Sitten" von Gabriele Goettle vor die Nase.)
HRK: Ja natürlich. (Heinz zu seinem Büroleiter Wolfgang Stute: "Das Stück ‚Goethes Banjo‘ geht zurück auf eine Reportage, die sie mal geschrieben hat.”)
Wunderkinder: Leider hattest auf dem Cover von Kunze: Macht Musik den Namen der Autorin falsch geschrieben: 'Gerlinde' statt 'Gabriele'.
HRK: ECHT? Ein Lapsus von mir ... (Kunze kichert) ... selbst ich mache Fehler. Es muss daran liegen, dass ich eine Gerlinde kenne, die ich sehr schätze.
Wunderkinder: Und diesen Mann kennst Du auch noch? (Man reicht Heinz sein Buch Deutsche Wertarbeit – erschienen im Februar 1984 – dessen Umschlag ihn als mageren, schüchternen jungen Mann mit Schlips zeigt, eine Aktentasche schützend vor den Körper haltend.)
HRK: Flüchtig.
Wunderkinder: Ein eher gestelltes Bild?
HRK: Nö, das war gar nicht so gestellt; das war ziemlich unschuldig. Das war damals der Fotograf Ralf Quinke und der hatte eigentlich ein ganz gutes Händchen, finde ich, Fotos zu machen, die so nebenbei passierten. Also ich fand mich da ganz normal erwischt.
Wunderkinder: Also ein Schnappschuss?
HRK: Eigentlich ja.
Wunderkinder: Gibt es die Aktentasche noch?
HRK: Nein; ich glaube nicht.
Wunderkinder: War sie ein Requisit für das Foto oder war sie tatsächlich 'in Betrieb' gewesen?
HRK: Die war in Betrieb gewesen. Da waren meine Texte drin.
Wunderkinder: Stichwort Kunze-Texte. Im Sommernachtstraum gibt es eine wunderbare Metapher von Dir, die etwas vorwegnimmt und trotzdem funktioniert: "Glück senkt sich nieder, du ergreifst seinen Saum, wie ein Mantel aus Sternen und ewigem Raum – oder vielleicht nur ein Sommernachtstraum". - "Glück senkt sich nieder, Du ergreifst seinen Saum" würde ja erst einmal keinen Sinn machen. "Seinen Saum" passt ja nicht zu "Glück" ...
HRK: ... darf ich Dir da widersprechen? "Seinen Saum" passt durchaus, denn es geht um das Glück – dessen Saum kann man tatsächlich ergreifen. Das ist durchaus richtig. Was soll man sonst sagen außer "seinen"? (Kunze scheint irritiert.) Das Glück; Du ergreift seinen Saum, den Saum des Glückes. Das stimmt doch, oder?
Wunderkinder: Du bist natürlich der Autor und weißt genau, was Du meinst. Das ist ja das Schlimme, wenn Kritiker kommen und einem erklären wieso man etwas gemacht hat und man ist selber überrascht, was einem da so durch den Kopf gegangen sein muss ...
HRK: ... also machen wir es wissenschaftlich: Das Reflexsivpronomen 'seinem' passt zu 'das'. 'Das' ist sächlich und 'seinem' kann man dazu sagen. Punkt!
Wunderkinder: Und zur Vereinfachung hast Du 'das' weggelassen.
HRK: Ja.
Wunderkinder: Kleine Rückfrage noch einmal zu Kafka. Warum gab es die Lesung, heute am 80. Todestag von Franz Kafka?
HRK: Weil mein Büro gefragt wurde, ob ich das machen möchte und der Bezug zu Kafka ist bei mir immer sehr stark gewesen. Rein zufällig – das war aber schon vor dieser Lesung fertig – wird es auf dem nächsten Album auch ein ziemlich ausführliches langes Stück über Kafka geben. Ich habe früher an der Uni viele Seminare gemacht, wo einem der Spaß an der Literatur eher ausgetrieben wurde. Aber ich hatte das Glück einmal bei Professor Petersen in Osnabrück Kafka 'zu machen' und der konnte einem jeden Nebensatz dermaßen auslegen und verdeutlichen, dass man das Gefühl hatte, eigentlich sollte man als Autor seinen Löffel abgeben und es sein lassen weil es einfach keinen Sinn hat, dagegen anzustinken.
Wunderkinder: Jetzt hast Du ja, von deinem Lebensalter her betrachtet, bereits Schriftsteller wie Tucholsky, Schiller, Kafka und Poe überlebt.
HRK: Ja!
Wunderkinder: Du bist auch ganz froh, dass Du es geschafft hast.
HRK: Ich darf zumindest das bisschen Ruhm, das ich habe, noch miterleben.
Wunderkinder: Andererseits gibt es Menschen, die sind in etwa genauso alt wie Du: Günter Jauch, Bill Gates, Osama bin Laden, Friedrich Merz. Verbindet diese Generation etwas; kannst Du da Gemeinsamkeiten von Deinem Lebensalter her erkennen?
HRK: Es ist eine interessante Reihenfolge von Namen. Günter Jauch kenne ich nur sehr flüchtig, Friedrich Merz kenne ich etwas besser und ...
Wunderkinder: ... Osama bin Laden wahrscheinlich gar nicht.
HRK: Leider nicht – würde mich sehr interessieren. Jauch habe ich nur einmal kurz die Hand gegeben und mit ihm ein paar Worte gewechselt. Ich bin Fan von ihm, weil ich gucke seine Quizshow so oft ich kann, weil ich glaube, dass man in dieser Quizshow über das Deutsche Volk unglaublich viel erfahren kann. Was die Leute, die dort auftreten wissen und was sie nicht wissen ist schon sehr erhellend und ist schon ein echter Narrenspiegel unserer Gesellschaft. Was ich an Jauch wirklich bewundere ist, dass er manchmal kompromisslos das Wissen was er hat, und das ist nicht gering, auch zeigt und dass er auch den Mut hat, manchmal seine Fassungslosigkeit zu zeigen, darüber, was Leute alles nicht wissen. Das finde ich gut.
Friedrich Merz habe ich 'mal kennengelernt, einen Abend mit ihm verbracht. Auch das gehört, finde ich, zum Älterwerden, dass man dann erfährt und erlebt, dass solche Leute nicht so einfach abzumeiern sind, wie sie in den Medien häufig dargestellt werden. Ich muss es einfach sagen, weil es wirklich so mein Eindruck war: Der Mann ist persönlich durchaus humorvoll und nicht so primanerhaft, wie er oft im Fernsehen rüberkommt, sondern durchaus ansprechbar. Also nicht verbohrt konservativ sondern – ich muss es einfach so sagen – ein sehr netter Zeitgenosse.
"Certus an, incertus quando" - Es sind diese Nächte, die Menschen den Glauben wieder zurückgeben: Ein Ambiente zum träumen, ein Künstler, der seine Gäste zu Offenbarungs-Eidgenossen werden lässt, weil er mehr sagt, als er es eigentlich vorgehabt hatte und dabei selbst erkennt, dass er diesen Abend wohl so leicht nicht mehr wird vergessen können, wie die eigenen alten Geschichten. Gute Aussichten also für ein kommendes künstlerisches Jahr, das das Zeug dazu hat, vielleicht das Beste in Heinz Rudolf Kunzes Karriere zu werden. Oder, wie der Lateiner sagt: "Lupus in fabula".
Wunderkinder: Du arbeitest gerade an einem Musical-Projekt, welches den kürzesten Titel trägt, den ich jemals bei einem Musical gehört hatte: 'POE ...
HRK: ...das ist nicht ganz richtig. Das Musical heißt: 'POE - Pech & Schwefel' ...
Wunderkinder: ... 'Pech und Schwefel' hat aber nichts mit Deinem gleichnamigen Songtitel aus Korrekt zu tun?
HRK: Nein. Es hat etwas mit der verrückten Geschichte zu tun, die ich dazu erfunden habe. Ich habe ihm einen Mephisto an die Seite gestellt, der ihn durch seine Albträume und sein Leben führt. Das heißt das Stück ist eine Phantasie über ein mögliches Leben, das Poe hätte haben könnte. Es orientiert sich nicht an seinem wirklichen biographischen Schicksal, aber es kommen natürlich ganz viele Figuren, die er erfunden hat gleichberechtigt in dem Stück vor. Poe wird von einem Teufel durch seine Albträume geschickt, darf sie selber miterleben und dieser Teufel ist nicht nur sein 'advocat del diable' sondern ist auch noch sein Promotor und sein Manager und macht ihn auch noch weltberühmt; das ist der Pakt.
Wunderkinder: Es gibt in Baltimore die 'Edgar Allan Poe Gesellschaft', die sich sehr um das Ansehen von Poe bemüht. Er ist ja 1809 in Boston geboren, aber im Alter von 40 Jahren in Baltimore gestorben ...
HRK: ... soweit ich weiß ist er nicht in Baltimore gestorben sondern in Philadelphia und wurde von Werbern der damaligen Präsidentschaftswahlen eingefangen als er wieder einmal besoffen war, in einen Keller verschleppt und hat dort sein Kreuzchen gemacht für einen Bewerber, den er gar nicht kannte und danach haben sie ihn im Koma auf die Straße geschmissen und verrecken lassen. Das ist das, was ich weiß.
Wunderkinder: Auf der Wunderkinder-Homepage gibt es ja 'Kilians Geschichtchen' und da sind (Anm: In 'Absolut Poetisch') die letzten zehn Tage im Leben von Edgar Allan Poe beschrieben, als er mit dem Dampfschiff 'Pocahontas' von Richmond/Virginia nach Baltimore fuhr, weil er den Geburtstag eines Freundes feiern wollte, kurz danach in einer Straße bewusstlos gefunden wurde und im 'Washington College Hospital' ist er dann gestorben ...
HRK: ... okay, dann mag das so sein.
Wunderkinder: Die Wahrheit hat viele Väter. Noch einmal zurück zum Musical. Als Du das Musical aufgebaut hast, hattest Du Dir da schon gesagt, da werden einige Geschichten von Poe auch mit eine Rolle spielen?
HRK: Oh ja.
Wunderkinder: Über Poe selbst hast Du ja bereits ein Lied geschrieben, das ist bereits erschienen in einer Hörstückreihe, Der weiße Rabe, da beschreibst Du auch einiges aus seinem Leben. Wird das im Musical enthalten sein.
HRK: Nein. Es kann sein, dass wir den 'Weißen Raben' noch für unser Album benutzen werden, denn die Möglichkeit haben wir. Leo Schmidthals hat hier eine wunderbare Komposition gemacht und es wäre schade, wenn das nicht auf dem Album auch auftauchen würde. Leo ist ein unglaublich komplexer Musiker, der eine Begabung in meine Band einbringt, die ganz wertvoll ist. Diese Mischung in Der weiße Rabe, die er da kreiert hat, so ein bisschen Havanna-Atmosphäre, gemischt mit Brecht/Weil, finde ich schon sehr spannend und war für mich eine neue Farbe. So etwas habe ich zuvor auch noch nie gemacht.
Wunderkinder: Es gibt noch keine Pläne für eine Kunze-Lesung von Edgar Allan Poe. Die Resonanz bei der Kafka-Lesung war ja sehr groß – am 7. Oktober jährt sich Poe Todestag zum 155. Mal. Kurz danach, am 20. Oktober 2004 hat Dein Musical am Staatstheater Saarbrücken Premiere. Wirst Du in dieser Zeit Poe lesen?
HRK: Im September und Oktober mache ich die neue Platte. Das hat Priorität und in dieser Zeit wird das nichts werden.
Wunderkinder: Kommen wir abschließend ein letztes Mal zu Kafka zurück. Du hast ja auch einmal in dem Buch Papierkrieg einen Text unter dem Titel Die Verwandlung geschrieben; in dem hat sich Kilian verwandelt ...
HRK: ...was Du alles weißt. Das ist schon so lange her ....
Wunderkinder: ... natürlich nicht in der Art und Weise wie es Kafka gemacht hat, aber es war augenzwinkernd sicher schon in diese Richtung gedacht gewesen.
HRK: Ich vermute einmal, obwohl ich es jetzt gar nicht mehr weiß ... (Heinz Rudolf lässt sich sein Buch reichen und liest Die Verwandlung – geschrieben 1984 von ihm selbst. Nach kurzer Lektüre lacht er laut.) ... ja sicher, klar. Es war eine Anspielung. Wenn man so blödsinnig viel schreibt wie ich, vergisst man auch vieles. Na, ja. War doch gar nicht so schlecht. (Kunze kichert)
Wunderkinder: Du arbeitest bereits jetzt schon wieder am nächsten Musical 'Quo Vadis' (Anm.: Premiere soll im Sommer 2005 in Trier sein) mit Konstantin Wecker als Komponist.
HRK: Ja endlich einmal. Denn ich finde es eigentlich sehr schön, dass ich es erleben darf, dass sich in meinem Leben ein paar Kreise schließen. Ich hatte vor zehn Jahren einmal einen Traum von einem eigenen Musical, das ich gemeinsam geschrieben habe mit einem amerikanischen Freund, der in Hamburg als Rechtsanwalt lebt, und für dieses Stück haben sowohl Frank Nimsgern als auch Konstantin Wecker testweise schon mal so ein paar Stücke gemacht. Wir fanden leider keine Sponsoren und konnten es nicht auf die Beine bringen und dass ich jetzt mit Nimsgern in Saarbrücken arbeiten darf bei 'Poe ...' und mit Wecker in Trier bei 'Quo Vadis' bringt für mich eine Sache zu Ende, die wir einmal angefangen haben.
Wunderkinder: Um was geht es bei 'Quo Vadis'?
Wunderkinder: Um den Film und das Buch von Sienkiewicz. Es wird natürlich auf der Bühne nicht so möglich sein diesen Kollosal-/Monumentalkram hinzukriegen, aber ich denke, wir haben eine ganz gute Form gefunden, das auf der Bühne spielbar zu machen und ich freue mich auf die Differenzen, die ich mit Konstantin sicherlich haben werde, denn er vertritt schon eine ganz andere Musik als ich. Aber das macht er sehr gut und in seinem Metier, also von Carl Orff und Kreißler/Weil her kommend ist er schon ein Fachmann und ich glaube, das wird sehr schön werden.
Wunderkinder: Jetzt bist Du ja mit zunehmendem Alter doch noch gläubig geworden. Das sieht man an dem Thema 'Quo Vadis', das sieht man daran, dass Du beim Katholischen Kirchentag in diesem Jahr eine Lesung machst, dass Du für den Evangelischen Kirchentag 2005 Musik schreibst und auch daran, dass Du am Pfingstsonntag in der Marktkirche in Hannover an einem Gottesdienst mitgewirkt hast ...
HRK: ... ich war nie ungläubig ...
Wunderkinder: ... auch nie abergläubig?
HRK: Doch, das schon. Also, das ist so: Ich verfolge theologische Themen mit Wohlwollen. Ich würde mich nicht als gläubig bezeichnen, aber ich bin auf jeden Fall auch kein richtiger Atheist, denn ich kann nicht wirklich mit Entschlossenheit sagen: Ich glaube überhaupt nicht an irgendeinen Gott. Ich mache die Musik für den Evangelischen Kirchentag, weil das ein sehr spannender Auftrag ist und weil ich der Theologie und allen religiösen Belangen eigentlich sehr offen gegenüberstehe und das, wenn Leute mir das glaubwürdig gegenüber verkörpern auch sehr ernst nehme. Ich halte Gott nicht für ausgeschlossen - sagen wir es so.
Und während Heinz nach draußen geht um via Handy ein langes Gespräch zu führen spielt in der 'Glashütte' Van Morrison wie bestellt und nicht abgeholt für Heinz sein 'Full force gale': "... in the gentle evening breeze, by the whispering shady trees, I will find my sanctuary in the Lord." – Es sind diese Nächte, die Menschen den Glauben wieder zurückgeben.
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