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Der Text zu "Die Verwandlung" ist ebenfalls auf folgender DVD-Box erschienen:
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In alter Frische |
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Die Verwandlung
Als Kilian eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte,
mußte er feststellen, daß er das Vertrauen zu seiner
Zahnpasta verloren hatte.
Er lag stocksteif in seinem Bett und konnte es einfach nicht fassen.
Hier konnte nur noch der Mann von der Hamburg-Mannheimer helfen.
Kilian beschloß, ihn unverzüglich aufzusuchen.
Da drangen merkwürdige Geräusche aus dem Nebenzimmer an sein Ohr.
Er schlüpfte aus den Laken und schlich auf Zehenspitzen
zum Schlüsselloch. Henriette, seine melancholische Schwester,
kauerte auf dem Fußboden. Mit beiden Händen umklammerte sie
ein Reagenzglas. Ich will ein Kind von dir, winselte sie es an.
Angewidert wandte Kilian sich ab und drückte auf die Fernbedienung.
Im ersten Programm kniete Ernesto Cardenal vor einem
weißgekleideten Polen und lächelte diesen so
freundlich an, wie nur ein Hund lächlen kann, der sich
für einen Knochen bedankt. Der Pole aber lächelte gar nicht.
Er fuchtelte mit beiden Zeigefingern über dem Kopf von
Cardenal herum, als sei der ein ganz besonders böser Junge.
Wie andere zur Zigarette greifen, so griff Kilian eine
Michael-Jackson-Platte, legte sie auf und drehte den Ton weg.
Dann schaltete er aufs zweite Programm. Dort gab es ein
Rock-Konzert – und wieder einmal Beifall von der falschen Seite,
denn der Sänger appaudierte dem Publikum.
Draußen auf der Straße ging Glas zu Bruch, Bremsen kreischten,
Schüsse fielen. Stimmt ja, fiel Kilian ein.
Das Kommando Heinz Erhardt hatte weitere Anschläge gegen
Heimcomputer angedroht. Da würde der Mann von der
Hamburg-Mannheimer wohl vorerst keine Zeit haben.
Aber wie dann weiterleben, fragte sich Kilian –
hilflos der Karies preisgegeben? Um Zeit zu gewinnen,
ließ er bei all seinen Freunden das Telefon einmal läuten.
Im Nebenzimmer wurde es laut. Kilian erkannte die meckernde
Stimme seines gebrechlichen Vaters, der Henriette einmal mehr
beschwor, ihm um Himmels willen zu glauben, der sogenannte
Zweite Weltkrieg sei eine Geschichtslüge der türkischen
Weltverschwörung. Aber das Mädchen hörte ihm gar nicht zu.
Im dritten Programm saß Hamburgs Umweltsenator Curilla.
Der Schweiß war ihm auf der Stirm gefroren.
Was soll denn jetzt werden, fragte ihn ein Reporter, beinahe flehend.
Ein konkreter Handlungsbedarf besteht nicht, ein prinzipieller
schon, antwortete Curilla und schickte einen Blick in den Himmel,
als hätte er eine ganze Dose Pepperoni gegessen und alle
Herrentoiletten wären besetzt. Und wenn auf diesem Giftacker
nun ein Kind spielen würde? fragte der Reporter mit zitternder Stimme.
Dann müßte man dafür Sorge tragen, daß entsprechende Bodenaufnahmen
nicht erfogen, gab Curilla zurück. Was bitte ist unter
«Bodenaufnahmen» zu verstehen, hauchte der Reporter, beinahe unhörbar.
Nun, das Kind darf keine Erde fressen, synchronisierte Kilian kichernd,
weil es sonst ins Gras beißt!
Er schaltete ab. Der Tag war gelaufen. Vertrauen hin,
Vertrauen her, er schmierte sich eine ganze Tube Zahnpasta
in sämtliche ihm bekannten Körperöffnungen und legte sich
wieder ins Bett.
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