Szenenfoto

2003

Das ist der große Wurf

Heinz Rudolf Kunze hat Shakespeares Sommernachtstraum neu übersetzt, sein langjähriger Gitarrist Heiner Lürig die Musik dazu komponiert. Landesbühnenchef Gerhard Weber hat mit leichter Hand ein begeisterndes Musical auf die Bühne des Herrenhäuser Gartentheaters gebracht.

Er rennt, springt, tanzt, singt und ruft unaufhörlich. Bei jeder Gelegenheit provoziert, grabscht und verwirrt er. Dieser anarchische Puck scheint überall zu sein, und überall, wo diese Unterweltgestalt auftaucht, gibt es Bewegung, Aufregung und Irritation. Die schien anfangs auch vom Publikum Besitz ergriffen zu haben. Nun werden dem Hannoveraner zwei gegensätzliche Charakterzüge nachgesagt. Gemeinhin gilt er als "stiller", zurückhaltender Vertreter. Dafür gab es während der ersten Szenen des "Sommernachtstraumes" Belege en masse. Verblüffung, Irritation und Verwirrung spiegelten sich auf vielen Gesichtern im Gartentheater Herrenhausen wider. Kein Wunder. So kennt man den Sommernachtstraum aus Aufführungen des schulpflichtigen Nachwuchses eben nicht.

Schrill, schräg, schlüpfrig sind Figuren und Szenen angelegt, mancher Scherzen kommt derb daher, manche Pointe ist fein gesetzt. Die Übersetzung von Kunze ist locker und frech, manche Figuren, vor allem der Puck, sind rotzfrech. Lysander bezichtigt sich selbst: "Ich war unreif, dumm und schwanzgesteuert." Und an anderer Stelle: "Nun bin ich erwachsen, ich geh' mit Dir, wohin Du willst, und sei's nach Niedersachsen."

Das ist eine der Stärken der Neuinszenierung. Kunze hat den mehr als 400 Jahre alten Originaltext neu übersetzt und dabei kräftig Staub von der Vorlage geblasen. Er hat sich zwar nicht sklavisch an die Vorgabe, nach eigener Versicherung aber an das Versmaß Shakespeares gehalten. Das Ergebnis ist neu und verständlich. Der Rockpoet hat den "Sommernachtstraum" in die Jetztzeit transponiert und damit einen neuen Zugang zu einem der meistgespielten Stücke der Theatergeschichte eröffnet, ohne dessen Zauber zu zerstören. Und das hat er konsequent erledigt. Selbst das Drama im Drama, die Aufführung der völlig unterbelichteten Handwerker, wird in der Neuinszenierung zum Musical. Das funktioniert aber nur im Wechselspiel mit seinem Komponisten Heiner Lürig, der allen Figuren die passende Musik geschrieben hat, mit seinen Musiken auf den Punkt die Handlung begleitet. Ob Helena (Mirja Regensburg) in Ich Ungeheuer von ihren Minderwertigkeitskomplexen singt oder Puck (Jens Krause) sich als Schabernack der Nacht über die Bühne rockt – es passt alles.

Das Ganze hat Regisseur Gerhard Weber mit sehr leichter Hand als exzellentes, begeisterndes Musical auf die Bühne gebracht. Das zusammen ist eine aufregende Mischung und unbedingt sehenswert. Die Sahnehaube auf dem Dargereichten ist allerdings der Puck. Er ist ohnehin der Knoten der verschiedenen Handlungsstränge in dem scheinbar unübersichtlichen Stück, und in dieser Inszenierung ist er eindeutig die Hauptfigur. Das liegt weniger an der Rolle als vielmehr an deren Darsteller. Jens Krause lebt den Puck exzessiv aus, er treibt die Handlung voran, er gibt das Signal zum Innehalten – und er begeistert das Publikum restlos. Spätestens bei seinem Schabernack der Nacht taut das Publikum auf und gerät in Bewegung. Die zweite Dreingabe ist ein Opfers Kunzes an das Stück. Er hat seinen größten Hit Dein ist mein ganzes Herz gegeben, und daraus wird das heimliche Motto des Musicals: "Dein ist mein ganzes Herz, Du bist mein Reim auf Schmerz. Wenn das nicht Liebe ist, muss es Shakespeare sein." Herbert Schmalstieg hat es bereits zur Weltausstellung herausschalmeit: "Der Hannoveraner ist der Spanier Niedersachsens." Manchmal möchte man das glauben.

In diesem Fall hat der Erfolg wirklich viele Väter: Einen brillanten Texter, einen hervorragenden Komponisten und einen Regisseur mit Mut und viel Phantasie. Zum Schluss seiner Intendanz an der Landesbühne Hannover hat Gerhard Weber Großes gewagt und eine Inszenierung geschaffen, die Maßstäbe setzt. Und die den mehr als 900 Zuschauern einen phantastischen Abend im Gartentheater beschert hat – ein "Sommernachtstraum" eben.

Christoph Oppermann, Schaumburger Nachrichten, August 2003

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