Artikelfoto (Foto von Sascha Stienen)

2001

Heinz Rudolf Kunze beim Auftritt in der Mescheder Stadthalle. Ganz in Schwarz gekleidet präsentierte der Musiker zahlreiche Stücke seines aktuellen Albums Halt. Die Fans waren begeistert.

"Wenn du nicht wiederkommst ..."

Heinz Rudolf Kunze will demnächst öfter im Sauerland auftreten. Fans in Meschede bekommen vier Zugaben

MESCHEDE. Brille, das Lied über den kleinen bebrillten Jungen und seine verständnisvolle Freundin, steht für jemanden, der anders ist als die anderen, sich aber nie entmutigen läßt und seinen Weg macht. "Besser – viel besser als der Rest", ruft Heinz Rudolf Kunze voller Inbrunst ins Mikro. HRK hat seinen Weg gemacht und ist immer noch auf dem richtigen Weg, das beweisen ihm zahlreiche Fans beim Konzert in der Stadthalle in Meschede.

"Jetzt ist der kleine Junge groß geworden", folgert Kunze am Ende der Gänsehaut-Nummer, "und schon hat er einen anderen Spitznamen: Jesus Tomahawk" – elegante Überleitung zum gleichnamigen Stück der neuen CD Halt.

HALT steht in großen Lettern als Bühnenhintergrund zu lesen, die Buchstaben sind gefüllt mit glasnudelähnlichen Lichtbündeln, die ab und zu aufleuchten. Jesus-Tomahawk-Kunze steht mit dem Rücken zum Publikum, hebt die Arme wie der Pfarrer zur Wandlung, und als er eine blitzeschleudernde Geste macht, bricht ein Lichtgewitter auf die Bühne ein.

Nach dem Gewitter kommt die Ruhe, Kunze spielt die Flügelballade Stein vom vorletzten Album Korrekt - "... red weiter, laß mich nicht allein, ich möchte nicht die Antwort sein, erzähl mir nichts, umarm den Stein."

Rhythmischer Applaus, Jesus Tomahawk wischt sich mit seinem Schweißtuch das Gesicht ab und ruft "Danke" ins Mikro, um überzuleiten zu Sie müssen mich nicht mögen, das Kunze als Lied über die "Standardzweierbeziehung der Zukunft" bezeichnet: "wohlhabend, aufrecht und schwul".

Witzig und tiefsinnig, so kennen ihn seine Fans. Und auch diesmal kommen die Liebhaber seiner Texte nicht zu kurz, HRK zitiert zwischendurch aus seinem rein literarischen Programm, aus seinem neuen Buch Klärwerk: "Ich habe gehört, die Beatles sind geschmolzen – auf meiner Heizung." Der Text hat das Fazit "Jetzt bin ich die Zukunft des Rock'n'Roll", und als wolle Kunze dies Vorhaben direkt in die Tat umsetzen, bringt er Talkshowschmutz, die rockige Abrechnung mit dem sendeunwürdigen bundesdeutschen Privatsendergeschwätz.

Weitere Lieder der neuen CD folgen, Wo warn wir stehngeblieben und Abschied muß man üben, dies wunderbar melancholische Stück über die einsame Auseinandersetzung mit dem Tod. Kunze spielt auf dem Flügel. Bühnennebelschwaden umgeben ihn. Er singt: "Viele, die du gern hast, müssen vor dir gehen." Am Ende kommt seine Band hinzu, Schlagzeug, Keyboard, Baß und Gitarre setzen ein – als wollten die Musiker dem Grübler zeigen: Du bist nicht allein mit deinen Gedanken, es geht uns alle an, und wir spielen mit dir. Musik gegen die Vergänglichkeit, hier in Meschede und nicht an Bord der Titanic.

Wo sind nur die Jahre geblieben? Kunze lädt zu einer kleinen musikalischen Zeitreise ein, das von der fröhlichen Akustikgitarre geführte Stück Finderlohn von der CD Draufgänger (1992) erfüllt das Herz jedes Einsamen wie das jedes Zweisamen: "Zeig mir, wo ich wirklich wohn, dann kriegst du mich als Finderlohn."

Wer gefunden ist, möchte im anderen aufgehen. Als stricke Kunze aus seinen Texten die Geschichte einer Liebe, so folgt Der Abend vor dem Morgen danach, dieses schwärmerische Versprechen eines Liebenden, die Nacht der Nächte breche in Kürze an. Die Band springt durch die Zeit, spielt das zuckersüße Pegasus der neuen CD, dann das rockige Ich will es wissen (alter ego, 1997). Und dann Stirnenfuß (Brille, 1991), für echte Fans ein Wohlgenuß mit zwei genialen Heiner-Lürig-Gitarrensolos.

Der nächste Trip führt ins Jahr 1988, Ich geh meine eigenen Wege. Weiter geht's, Wunderkinder anno 1986, Kunze spricht betont deutlich: Wir - sind - ganz - nah - dran. Es folgt die Mörderballade (Korrekt, 1999), das angeblich letzte Stück dieses Abends. "Frei sein heißt ein nichts zu sein . . ."

Doch wer so feine Fans wie die in Meschede hat, ist nicht frei, das gesungene Wenn du nicht wiederkommst kann HRK nicht lange unbeantwortet lassen. Im neuen Outfit – "Polizei"-Kappe, Halt-T-Shirt und schwarze Weste – geht er in die große Zugabe-Show. "Du wirst nie zu Hause sein, wenn du keinen Gast, keine Freunde hast" – Aller Herren Länder wird frenetisch gefeiert. "Hey, Hey"-Anfeuerungsrufe, Ich steh dir bei beendet die erste Zugabe.

Dann macht Kunze einen Fehler: Als zweite Zugabe spielt er Wenn du nicht wiederkommst, eine Anstiftung für alle HRK-Fans, mit dem Nachschlag-Fordern nicht mehr aufzuhören ...

Nach der neuerlichen Klatscharmsturmflut bedankt sich der transpirierende Kunze brav für den "in jeder Hinsicht warmen Empfang in Meschede". Er habe nicht geglaubt, daß Hochsauerländer den Freiburgern dermaßen Konkurrenz machen könnten; tags zuvor spielte die Band im Breisgau.

Alle Versuche, dieses Fanvolk loszuwerden, scheitern. Die Band spielt einen Moment lang ohne Kunze, doch da das Wenn du nicht wiederkommst langsam Südkurven-Qualität erreicht, bleibt HRK nichts anderes übrig als ein verschämtes "Ihr beschämt mich" herauszuräuspern – und die dritte Zugabe zu entrichten, So tun als ob und Nachts um halb drei.

Wenn du nicht wiederkommst mit Fußstampfen leitet die vierte Zugabe ein. Abschied muß man üben ... Es folgt eine letzte einsame Klavierballade über die Selbsteinladung zum Essen, zum Musikhören, zum Sex und zum Aus-den-Augen-verlieren. Das T-Shirt klebt längst auf der Haut, als Kunze in den neuerlichen Applaus hinein auf das Publikum deutet und sich entschuldigt: "Wir haben uns viel zu wenig um diese Gegend gekümmert. Das werden wir ändern!" Ein größeres Kompliment kann ein Künstler seinem Publikum kaum machen.

Sascha Stienen, Süderländer Tageblatt, 4. Mai 2001

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