Artikelfoto (Foto von Sascha Stienen)

2001

Tiefsinnige Texte, die auch noch gut klingen

Heinz Rudolf Kunze zeigt in Klärwerk, daß er nicht nur gute Musik macht, sondern auch trefflich schreibt

    Wer bleiben muß was er ist
    wird klassisch genannt
    classic

    Wie ein Mineralwasser
    das es immer schon gab
    und einfach nach sich selber schmeckt

    (Aus: "Was der Tag bringt")

Klassische Literatur ist Klärwerk, das neue Buch von Heinz Rudolf Kunze, gewiß nicht, eher schon ein klassisches Kunze-Werk. Obwohl sich der Musiker und Schreiber in seinen Liedern und Texten 1998-2000 ebenfalls weiterentwickelt hat. Kunze ist nicht nur musikalisch, er schreibt auch sehr viel. Zuviel offenbar, denn sein Verlag Ch. Links mußte aus einem riesigen Fundus von Texten jene auswählen, die der dritte Kunze-Band auf 263 kurzweiligen und dennoch tiefsinnigen Seiten vereint.

Man wird nicht gefunden, wenn man nicht mehr sucht schreibt Kunze in dem Gedicht "Komm mit mir" – wer in seine Gedankenwelt eintaucht, geht gleichsam mit auf die Suche.

Cover des Buches "Klärwerk"Und die ist aufregend, manchmal atemberaubend. Kunze entpuppt sich einmal mehr als verblüffender Wortakrobat, als querdenkerischer Kombinierer, als Permutationskünstler ersten Ranges. Sätze wie Irgendwo auf dem Globus ist es immer zu früh und zu spät (Tempo Tempo) könnten auch für sich stehen und würden dennoch wirken.

Beim Schreiben nutzt Kunze seinen schier grenzenlosen Einfallsreichtum auch, um Phrasen zu enttarnen: Im Rahmen des Möglichen/hängt ein Bild von mir ... denn ich falle nicht/für irgendwelche Damen/aus dem Rahmen ("Im Rahmen des Möglichen").

Seine Themen sind so vielfältig wie das Leben selbst: ob es die "Big-Brother-Unkultur" ist, die Entführung der Wallerts, James Lasts 70. Geburtstag oder so etwas auf den ersten Blick so Banales wie die Frage, warum auf den Miracoli-Packungen "für 2-3 Personen" draufsteht, aber gerade mal einer satt davon wird. Mir schleierhaft, was für Mägen/dieser Empfehlung zugrundeliegen sollen;/die von bulimischen Models allenfalls ("Wichtiger Hinweis").

Wer Kunzes Texte kennt, weiß, daß er sich gerne kritisch mit der bundesdeutschen Befindlichkeit auseinandersetzt. Das Stück Weltklasse zum Beispiel heißt nicht nur so, sondern ist es auch. Provokante Kostprobe: Der Zweite Weltkrieg wird immer wieder und öfter von den/Richtigen gewonnen als man die Schwarzwaldklinik jemals/wiederholen kann ... Oder: Das Kinderfernsehen wird nur von arbeitslosen Erzieherinnen geguckt,/die nachts von Bauchhöhlenschwangerschaften träumen.

Kunze schreibt: Die Wahrheit ist viel besser zu ertragen,/wenn sie klingt ("Was ich dir singen wollte"), was ein Bekenntnis für die Macht der Musik sein mag, die er selbst in seiner Karriere erfahren haben wird – vom Rock- und Pop-Poeten zum bekannten Dichter. Was ein "Ernst zu nennender Schriftsteller" sei, hat er im gleichnamigen Gedicht metaphernreich beschrieben; das treffende Zitat gehört aber nicht ins Inside-Vorabendprogramm.

Viele der Texte entfalten eine besondere Wirkung, wenn man sie laut liest, rhythmisch, in verschiedenen Tempi, allein die durch neue Zeilen angedeuteten Atempausen einhaltend. Nicht nur Kunze lesen ist im Übrigen ein Genuß, auch ihn lesen zu hören.

Sascha Stienen, Süderländer Tageblatt, 24. April 2001

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