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Der Text "Tempo Tempo" ist ebenfalls im Booklet folgender CD erschienen:
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Nonstop – Das bisher Beste von Heinz Rudolf Kunze |
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Tempo Tempo
Jede Woche eine neue Welt.
Es hätte so schön sein können.
Das Bild ist unscharf.
Das kann man so oder so sehen.
Ich bin weit genug gegangen.
Ich komme nicht mehr mit.
Die Endstation heißt nicht Sehnsucht.
Sie heißt "Hier nicht aussteigen".
Die Frau am Steuer lacht.
Sie telefoniert beim Fahren.
Sie ist ganz woanders.
Sie bemerkt mich noch weniger als sonst.
Jede Woche eine neue Welt.
Sieh dich um.
Mach deine Erfahrungen.
Laß dir die Haare wachsen.
Das ist ein operativer Vorgang.
Schneid sie dir ab.
Das auch.
Hoffentlich hast du Zeugen dafür.
Hoffentlich hast du auf das richtige Pferd gesetzt.
Du kannst dich nicht heraushalten.
Das ging vielleicht früher.
Aber selbst das ist zu bezweifeln.
Jede Woche eine neue Welt.
Eines Morgens wachst du auf.
Plötzlich kannst du sämtliche Grafittis lesen.
Aber die üblichen Buchstaben sagen dir nichts mehr.
Alle anderen symbolischen Zeichensysteme auch nicht.
Das wird Konsequenzen haben.
Jetzt ist guter Rat teuer.
Zieh dich warm an.
Die Passanten auf der Straße sind wie aus Glas.
Du durchschaust ihre Außenhaut bis zum Blutkreislauf.
Dein Blick durchdringt ihr Mienenspiel wie Butter.
Du bist weit genug gegangen.
Jede Woche eine neue Welt.
Du kommst nicht mehr mit.
Deine Wirbelsäule stützt einen Jammertempel.
Streck deine Extremitäten aus wie Leonardos Mustermann.
Sie berühren die Hülle einer ölig schimmernden Blase.
Aber nur, wenn du ganz beiläufig beten kannst.
Aus der Hüfte.
Aus dem Handgelenk.
Aus den Augenwinkeln.
Sie mich an so wie ich dich ansehe.
Bereite dich darauf vor, gerichtet zu werden.
Entweder als Lebendiger oder als Toter.
Jede Woche eine neue Welt.
Solange der Vorrat reicht.
Irgendwo auf dem Globus ist es immer zu früh und zu spät.
Ein stiller Ozean von Opfern.
Ein gehässiges Gebirge von mildernden Umständen für Täter.
Die Rettungen sind ausverkauft.
Die Wünsche danach werden schon knapp.
Manche nennen diesen Mangel Fortschritt.
Viele freuen sich darauf.
Gier und Blutdurst machen dann das Licht aus.
Das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit treffen sich im Puff.
Sagt das Reich: Ich bin arm.
Jede Woche eine neue Welt.
Sagt die Kraft: Ich bin schwach.
Sagt die Herrlichkeit: Wer Amen sagt, muß auch Samen sagen.
Auf gehts, meine Damen.
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