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1999

Brille und Sprachgewalt sind seine Markenzeichen: Heinz Rudolf Kunze. Sein aktuelles Album Korrekt startete von Null auf Zwölf, vor seiner politischen Single Aller Herren Länder konnte sich auch Deutschlands Dudelrundfunk nicht verschließen.

"Ich suche die Wörter zwischen den Wörtern"

Furioser Start für Heinz Rudolf Kunzes aktuelles Album Korrekt / Live in Leipzigs Haus Auensee am 27. April

Deutschlands sorachmächtigster Rocksänger ist wieder da. Aus dem Stand sprang Heinz Rudolf Kunzes (Wunderkinder) neues Album Korrekt (Wea) auf Platz 12 der Hitparade, Tendenz steigend. Vor allem im Osten halten ihm viele Fans die Treue – weil hierzulande bis heute gern zwischen den Zeilen gelesen wird. Was Korrekt ist, sagt Heinz im Interview.

Frage: Zwischen Korrekt und dem Vorgängeralbum liegen Welten. Was ist Ihnen denn passiert?

Heinz Rudolf Kunze: Alter ego war nicht so glücklich. Wir haben auf der Platte nur zwei oder drei Seiten von dem gezeigt, was wir können. Auf Korrekt ist alles drauf, was diese Band spielen kann, auch Rap, Funk und Elektronik.

Was ist Korrekt, eine Zeitreise?

Jetzt sieht es wie eine Bilanz aus des Jahrhunderts aus, aber das war kein Plan, sondern hat sich so ergeben.

Die Platte soll schon vor einem Jahr fertig gewesen sein ...

Ein Mißverständnis. Richtig ist: Ein erster Entwurf der Platte stammt aus dem Herbst '97, damals hatte ich auf einen Schlag 13 Stücke. Später kamen noch Songs von Heiner (Lürig – Red.) und Raoul (Walton) dazu.

Der Song "Peitschen" ist erstsaunliche elf Minuten lang und ...

... ein erfüllter Lebenstraum. So eine German-Motorik-Nummer wollte ich schon immer machen, eine Entgegnung auf Velvet Underground.

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Spießt Spießer auf und schreibt zwischen den Zeilen: Heinz Rudolf Kunze. Im Interview erzählt er, was Korrekt ist.
Hat Sie Bob Dylan dazu ermutigt?

Nicht nur in dieser Frage.

Auch zum Hut?

Der Hut kam im letzten Sommer ins Spiel. Der Fotograf Peter Badge (dessen Kunze-Kunstband Agent provocateur eben erschienen ist – Red.) vermißte öffentliche Bilder mit Kopfbedeckung von mir und brachte diesen Hut. Der begleitet mich nun als Glücksbringer. Ich habe festgestellt, Man(n) trägt wieder Hut. Westernhagen. Xavier Naidoo ...

Aller Herren Länder, Ihr Beitrag zur "Doppelpaß"-Debatte, ist bittere Medizin mit Zuckermelodie. Wie schmeckt Radios die Schluckimpfung?

Es wird 240mal pro Woche gespielt. Ich bin sehr überrascht.

Kunze ist wieder politischer ...

Ich war es immer, es kam nur in den Liedern nicht mehr so zum Ausdruck. Das letzte Album war oft privat. Mich freut es in der Arbeit aber sehr, wenn ich von mir absehen kann. Es ist eine tödliche Sackgasse, wenn man Texte nur so anlegt, daß sie in einen selbst hineinleuchten. Ich habe mich schon geärgert, wenn es hieß, Kunze habe nichts Allgemeines mehr zu sagen. Ich bin zwar wieder öffentlicher, aber je älter ich werde, desto ratloser werde ich auch. Wenn man als junger Mensch anfängt, Musik zu machen, glaubt man genau zu wissen, wo Gut und wo Böse ist. Weiß man mehr, wird man bedächtiger.

Sie meinen, auf lange Sicht könnte ein Künstler mehr als ein Politiker bewirken ...

Es gibt wenige Politiker, die es schaffen, das Lebensgefühl zu beeinflussen. Sicher, deren Entscheidungen wirken auch. Aber Bob Dylan etwa hat für seine Art, wie Amerikaner heute sind, mehr bewirkt als Richard Nixon. Eine Befindlichkeit beeinflußt man nicht im vierjährigen Wahlrhythmus. Man kann keine konkrete Boshaftigkeit mit einem Lied aushebeln. Aber langfristig Menschen zu beschäftigen, ist doch auch was.

Clinton hat eine Menge bewirkt.

Er hat auf eine unverantwortliche Weise sein Amt beschädigt. Seine Nachfolger werden es schwer haben, nach diesem Clown ernstgenommen zu werden. Die Sorge habe ich auch bei Schröder, daß er sich zu sehr mit dem Showgeschäft verbrüdert. Sein "Politainment" soll von Unstimmigkeiten im eigenen Lager ablenken. Aber die Leute lassen sich nicht ewig unterhalten und etwas vorschwindeln, wenn in der ernsthaften Arbeit nichts Substantielles passiert.

Worin besteht eigentlich der Reiz, eine einfache Klemme möglichst kunstvoll zu umschreiben?

Die Klemmen, die mir auffallen, sind eben nicht so einfach ... Unsere Umgangssprache reicht mit nicht aus, um etwas genau zu sagen. Es sind aber keine bewußten Rätsel. Ich suche die Wörte zwischen den üblichen Wörtern.

Rent war Ihre vierte Musical-Übersetzung. Für Sie eine Spielwiese?

Durchs Musical habe ich die Möglichkeit, doch noch beruflich was mit Englisch zu tun zu haben. Es ist faszinierend zu beobachten, wenn das, was man übersetzt hat, plötzlich lebt und 20 oder mehr Gesichter hat. Inzwischen ist es mein zweiter Beruf.

Im Zusammenhang mit der Musical-Misere wird immer wieder fehlende Qulität angemahnt:

Die Zeit der auf zehn Jahre angelegten Gigantenshows geht wohl zuende. Man muß flexibler sein. Wenn Miss Saigon jetzt nach fünf Jahren schließt, ist das kein Scheiß, da darf man schon dankbar sein.

Sie singen "Neun Katzenleben, um sind sieben" – fühlen Sie sich so?

Morgens schon.

Ingolf Rosendahl, Leipziger Volkszeitung, 22. März 1999

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