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Ein heißblütiger Fabulierer, der mit dem Feuer spielt
Nach 25 Jahren Bühnenerfahrung bringt Heinz Rudolf Kunze demnächst ein taufrisches Album von seltenem Glanz heraus.
Der Kerl ist eine Zumutung, immer wieder. Und Gott sei Dank. Ohne Menschen wie Heinz Rudolf Kunze hätten nicht bloß die Misanthropen unter den Pop-Kritikern eines ihrer liebsten Ziele verloren, dieses Land wäre auch um einen heißblütigen Fabulierer, Poeten, Rhetoriker und Verbalpyromanen ärmer. Der hat uns zwar auch wieder und wieder im Stich gelassen, hat schwurbelige Verse wider jedes Verstehen gereimt und seltsam blutleere Experimente gewagt, aber wenigstens sind ihm Mut und Kühnheit nie vergangen. Wenn jetzt, am 28. Februar, sein neues Album Das Original erscheint, dürfen Fans von Kunzes Frühwerk aufhorchen, denn der 48jährige Hannoveraner scheint auf einmal wieder in altem Saft zu stehen. Kurz vor Weihnachten sahen ihn zwei Tausendschaften im Capitol zu Hannover, wo er sich vor den Linsen des WDR-Rockpalastes traute, sein 25jähriges Bühnenjubiläum mit beinahe zwei Handvoll nagelneuer, nie zuvor öffentlich gespielter Songs zu durchsetzen. Darunter fanden sich Perlen von seltenem Glanz, denn ein Lied über Kafka zu schreiben und dann auch noch Brechtsche Verwirrung um den Herrn K. zu stiften, das wagen nicht mehr viele. Mit seinem Wechsel von der strauchelnden Hamburger Plattenfirma Warner zur Münchener BMG hat Kunze offenbar einen echten Neubeginn machen können. Mit dem notorischen Schnauzbartträger sprach Welt-Mitarbeiter Stefan Krulle.
DIE WELT: Finden Sie, daß Ihr neues Album wie ein Neubeginn klingt?
Kunze: Ich kann so etwas erst wesentlich später einordnen, wenn es sich gesetzt hat. Ich weiß ja noch nicht einmal, ob das Publikum die Songs so versteht, wie ich mir das ausgedacht habe. Ich wollte ganz bewußt ein sehr typisches Album machen, deshalb auch der provokante Titel. Eine Platte eben, wo die Leute schnell sagen können: Das ist der. Keine Kinkerlitzchen, keine merkwürdigen Ausflüge, die ich mir ja manchmal schon geleistet habe.
DIE WELT: Momentan scheint deutschsprachige Popmusik irrsinnig gefragt zu sein, drei deutsche Acts liegen gerade vor U2 in den Amazon-Verkaufscharts. Ein Strohfeuer?
Kunze: Ich habe zwar schon viele Strohfeuer gesehen, weiß es aber trotzdem nicht. Es drängt sich allerdings der Eindruck auf, daß alle acht bis zehn Jahre zum Aufbruch geblasen wird, und dann ebbt alles ab in ein langes Wellental und keinen kümmert es. Es scheint ungeheuer schwer zu sein, aus deutschem Pop eine stetige, haltbare Sache zu machen. Der aktuelle Boom ist vielleicht ja auch durch die Debatte im Bundestag über den Artenschutz für deutsche Musik beflügelt worden. Beschleunigt von den Medien, die jetzt schnell ihre weißen Westen hervorkramen.
DIE WELT: Sind wir damit bei der Quotendiskussion angelangt?
Kunze: Die ist doch längst gelaufen und wird, wieder mal, Null Komma nix an Veränderung bringen. Nicht einmal die Begriffsverwirrung konnte beseitigt werden. Wenn da im Bundestag ein FDP-Fuzzi allen Ernstes fragt, ob wir denn den lieben langen Tag Daniel Küblböck hören wollen, dann hat mindestens dieser Mensch die Diskussion nicht mal ansatzweise verstanden. Und wenn in der Enquete-Kommission der ehemalige französische Kultusminister eine leidenschaftliche Rede zum Thema hält und fragt, warum denn niemand von den Franzosen lernen wolle, dann sitzen da die deutschen Radio-Verantwortlichen und lassen das alles an sich abperlen. Da weiß man dann, daß solche Diskussionen absolut nichts bringen.
DIE WELT: Wenn Sie heute ein Lied über Kafka schreiben, müssen Sie das einem 19jährigen erklären?
Kunze: Das kann sein, ja. Dabei sind nicht etwa unsere Schüler grundsätzlich blöder geworden, die PISA-Studie ist doch kein Vorwurf an sie. Wer von schwachsinnigen Lehrern unterrichtet wird, hat schlicht gar keine Chance, allzuviel mitzukriegen.
Um aber zur Frage zurückzukommen: Natürlich stelle ich Sprachverschiebungen fest. Was junge Bands manchmal so singen, kommt mir wie eine Art Geheimsprache vor. Außerdem bediene ich mich ziemlich vieler Wörter, die in unseren Lexika so vorhanden sind, und der jugendliche Wortschatz scheint bisweilen ein recht eingeschränkter zu sein. Aber so was beeinflußt mich ja nicht in meiner Arbeit, ich kann doch kaum sinnvollerweise behaupten, da mitreden zu können. Eine Sprache zu imitieren, die gar nicht mehr die meine ist, wäre lächerlich.
DIE WELT: Heißt das, Ihr Publikum besteht aus alten Fans?
Kunze: Hauptsächlich schon, ja. Viele dieser Leute sind mit mir durch dick und dünn gegangen. Aber ich hatte ja schon vor 25 Jahren ein Publikum, das in nicht unerheblichen Teilen älter war als ich. Jetzt, da ich schon sehr alt bin, ist das zum Glück immer noch so.
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