"Das ist natürlich nicht alles mein Privatleben"
Heinz Rudolf Kunze stellt sein aktuelles Buch vor
Madgeburg. "Ich möchte so gut aussehen, wie mein Talent es verdient." – Das ist nicht das einzige Thema von Heinz Rudolf Kunze, aber mit zunehmendem Alter offenbar ein immer wichtigeres. Der Musiker, Dichter und Übersetzer las am Montag auf Einladung des Vierung Kunstvereins im voll besetzten Foyer der SEB-Bank am Magdeburger Hasselbachplatz aus seinem aktuellen Buch Vorschuß statt Lorbeeren.
Viele kennen Kunze nur als Deutschrocker – ein nichtssagendes Etikett, das ihm wie alle Schubladenbezeichnungen missfällt. Tatsache ist, dass sein Handwerkszeug (sein "Lebensmittel", wie er es nennt) die deutsche Sprache ist. In der alten Rechtschreibung übrigens. Seine Songtexte unterscheiden sich in ihrer Komplexität zumeist nicht von der seiner Prosa. Das verlangt seinen Fans einiges ab, die sich allerdings von ihm gern einiges abverlangen lassen.
In der Lesung fühlt sich der Mittvierziger ebenso zu Hause wie auf der Konzertbühne. Das liegt daran, dass er nicht bloß liest, sondern vorträgt – mit schauspielerischem Geschick; die Effekte und die Dramaturgie wohl überlegt. Zum Teil in einer solch affenartigen Geschwindigkeit, dass er die Texte fest gespeichert haben muss. Was umso bemerkenswerter ist, weil zahlreiche Texte noch gar nicht in dem Buch enthalten sind – sie sind erst danach entstanden.
Die Erwartung, dass Kunze sich über Deutschland im Allgemeinen und im Besonderen äußert, seine grüblerisch-analytische Sicht auf das Weltgeschehen mitteilt, erfüllt er immer noch. Aber daneben sind längst und vermehrt die Beobachtungen aus dem Privaten getreten. Es geht ums Älterwerden, um die Ehe ("Du wurdest wirklich nur geboren, um mich totzuärgern") und um Sex. Wobei es zwischen den letzten beiden Dingen bei ihm selten einen Zusammenhang gibt.
Einen Text hat der Dichter dem Mann gewidmet, "der den ganzen Tag sein Glied festhält", und das Tuwort "ficken" schallt genauso häufig durch den seriösen Schalterraum der Bank wie in den Programmen mancher Krawall-Comedians. Mit dem gleichen, gewünschten Effekt: Das Publikum amüsiert sich, aber auf sprachlich höherem Niveau.
Er kokettiert mit seinem Alter, bezeichnet seinen Kopf als "unerklärlich faltenarm", obwohl der immer ein Kummerkasten gewesen sei, und erklärt das damit, dass "die relative Glätte des Konterfeis eine Promenadenmischung aus Tapferkeit und Übergewicht" sei. Das Publikum lacht. "Sie hätten gern auch an anderen Stellen lachen können", sagt Kunze mitten im Text, bevor er fortfährt. Aber er hat es nicht anders gewollt.
Ein gute Stunde lang liest Kunze, dann beantwortet er Fragen, auch ganz persönliche. "Sie sind nicht wirklich verheiratet, oder?" meldet sich eine erste zögerliche Stimme aus dem Publikum. "Doch, seit 24 Jahren." Kurze Pause. "Aber", sagt der Autor dann durchaus ernst, "machen Sie nicht den Fehler zu glauben, dass das alles mein Privatleben ist. So ekelhaft kann ja kein Mensch sein." Glück gehabt.
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