Heinz Rudolf Kunze live 2003 (Foto von Gerald Erdmann)

Das Heimspiel war kein Himmelfahrtskommando: Mit neuen Getreuen überzeugte Heinz Rudolf Kunze viele, aber nicht alle seiner Fans im Capitol.

2003

Zum Durchdenken und Drauflostanzen

Heinz Rudolf Kunze hat im Capitol neue Verstärkung und Rückenwind. 1500 Fans sind im Capitol unschlüssig bis vergnügt.

Der Mann mit der blauen Lederjacke heißt auch Heinz, nur Heinz, und ihm gefällt nicht, dass an Heinz Rudolf Kunzes Seite der langjährige Kongenius Heiner Lürig fehlt. "In die Pilze geschickt!", röhrt er, es klingt wie "Pülzä", es klingt empört, und mit den Schaumlippen, die er vom Krönchen seines Pilsbechers hat, sieht der zornige Heinz lustig aus.

"Hey Brauner, abregen!", sagt sein fast kahler Freund, ein Riese spitznamens Chicken: "Die Neuen sind geil." Stand so irgendwo. Blauheinz verharrt erstmal genüsslich im Grimm, glaubt fest, dass Qualität und Loyalität sich nicht ausschließen.

Von den alten Mannen hat Kunze im Capitol nur noch Keyboarder Matthias Ulmer dabei. Das Publikum steht dazu positiv-kritisch, Kunze-Volk ist keins, das nimmt, was kommt, das nur zu elektrisch verstärkter Musik am Bier nippen und mit dem Fuß wippen will.

Es kann auch was mit Abraham und Isaak anfangen, weiß, dass "Shoah" keine Ranch in Texas ist. Dieses Bildungsgut gibts sofort nach der alten "Kommissar"-Melodie in der bluesrockigen Eröffnung Himmelfahrtskommando. Die Geschichte von Mythenreisenden, die für einen mysteriösen Auftraggeber nach dem Punkt fahnden, von dem aus alle Welt schief lief. Der Punkt soll korrigiert werden – "einen Rettungsring für Noah, einen Ausweg aus der Shoah", plärrt Kunze. Ein Live-Album wird hier und jetzt aufgenommen. Dabeisein ist alles ist der Arbeitstitel.

Ein Oberlehrer ist Kunze trotzdem nicht. Statt Musik als Unterricht zu nehmen, animiert er zum Durchdenken. Ohne Verstehensgarantie. Manches, hat er jüngst dem "Tagesspiegel" verraten, verstehe er selbst nicht. Pauker rocken auch kaum. Kunze aber. Mächtig.

Was schnell angenommen wird. Im Capitol herrscht freundliches Feuer, die hannoversche Wahlheimat begrüßt die neue Single Mach auf mit Beifall und Johlen. Ein echter Ohrwurm, der Liebesruf eines manischen Romeo: "Mach auf, eh mein Herz dir Beulen in die Festung klopft ..."

Früher war alles viel einfacher für den Fan. Da kannte man so eine aktuelle Kunze-Single von zig Radioeinsätzen. Schon länger tut sich das Radio schwer mit Kunzes Kunst.

Die Neuen sind wirklich gut, Blauheinz! Frischer Sound, forsche Gangart, ohne Mätzchen: Treibendes Schlagzeug von Jens Carstens, Leo Schmidthals Bass knackt. Und Jörg Sander hat eine Gitarre, die klingelt, schrammelt, schon mal den Everest raufjubiliert. Trotzdem wirken sie wie junger Schmuck auf gegerbter Haut. Fremd.

Sprechtexte, Superstar-Schmäh, 96-Solidarität, fast das ganze neue Album Rückenwind. Zu Aller Herren Länder gibts ein paar neue Zeilen, gemünzt auf den Kriegsherrn George Dabbelju. Da johlt Blauheinz. Wie später bei den eigenen Wegen und bei Alles was sie will, mit dem das Konzert endet. Zur Zugabe Mabel hat er auch wieder ein Pils. Aber er ist jetzt irgendwie erleuchtet, zornlos. Trägt stattdessen ein Grinsen, das den Kopf umrundet. Dann koppelt Kunze zwei Songs mit Doppelrefrain: "Dein ist mein ganzes Herz, wenn du nicht wiederkommst." Und man hofft ganz inständig, dass das irgendwie Heiner Lürig gilt.

Matthias Halbig, Hannoversche Neue Presse, 21. Mai 2003

Copyright & Datenschutz Heinz Rudolf Kunze Top