Heinz Rudolf Kunze 2003

2003

Musik als Anstoß: Heinz Rudolf Kunze

Heinz Rudolf Kunze hat seinen eigenen Kopf. So entstehen Reibungsflächen, durch die seine Fans seit Jahrzehnten Feuer und Flamme sind. Nun legt er sein neues Album Rückenwind vor und im Ch. Links Verlag erscheinen sein Lyrik-Band Vorschuß statt Lorbeeren sowie die dazugehörige Hör-CD. Am 16. Mai spielt er in der Erfurter Thüringenhalle. Mit dem vielgefragten Künstler sprach TA-Mitarbeiter Wolfgang Suckert.

TA: Wenn jetzt Raketen in Bagdad einschlagen, haben dann Bob Dylan, Konstantin Wecker und Heinz Rudolf Kunze umsonst gesungen?

Kunze: Wie würde mein finanzstarker Anwalt sagen? Nicht umsonst, aber vergeblich. Ich habe nicht den Eindruck, dass sich in Deutschland oder sonstwo irgendjemand blutrünstig auf solche Ereignisse freut. Es gibt natürlich Menschen, die meinen, Gewaltanwendung kann niemals ein Mittel der Politik sein. Soweit würde ich nicht gehen. Ein Umgang mit Diktatoren kann nur funktionieren, wenn die Gewaltandrohung auch funktioniert. Natürlich wäre es erfreulich, wäre es bei dieser Androhung geblieben.

TA: Ihr neues Album Rückenwind ist nicht gerade ein Lobgesang auf unsere real existierende Gegenwart.

Kunze: Wenn Sie mir jemand nennen, der ein Loblied auf die real existierende Gegenwart singt, dann müsste man diesen doch sofort in eine Zwangsjacke stecken.

TA: Aber ein Dieter Bohlen freut sich doch des Lebens?

Kunze: Harald Schmidt zitierte kürzlich von Heiner Müller: "Optimismus ist lediglich ein Mangel an Information". Das finde ich sehr zutreffend. Es gibt in der Popmusik genug Leute, die ihre rosarote Brille nie absetzen. Das ist nicht mein Job. Aber ich halte mich auch nicht für besonders düster, finster und grimmig, sondern nur für realistisch. Wenn Leute meine Musik depressiv finden, dann liegt das nicht an mir, sondern an der Welt.

TA: Soll Ihre Musik auch immer ein Denkanstoß sein?

Kunze: In erster Linie soll sie ein Arschanstoß sein. Sie soll den Menschen erst einmal Spaß machen. Wenn darüber die Leute stutzen: "Augenblick mal, was singt er denn da?", dann ist das in Ordnung, aber das steht nicht im Vordergrund. Ich will unterhalten wie ich mir Unterhaltung vorstelle. Das ist sicherlich anders als bei Herrn Bohlen.

TA: Stimmen Sie meiner Meinung zu, dass ihr Album wieder etwas mehr rockt?

Kunze: Nö. Für mich ist das nicht so. Es gibt auf all meinen Platten eine Balance zwischen Balladen und heftigen Nummern. Mit dem Wort "rockt" kann ich gar nichts anfangen. Eigentlich bezeichnet dieses Wort nur Intensität. Für mich rockt eine einzige Ballade von Leonard Cohen mehr als das Lebenswerk von Bon Jovi.

TA: Ist das Publikum, bei allem beabsichtigten Spaß, empfangsbereit für Botschaften?

Kunze: Das ist mir egal. Ich würde trotzdem meine Dinge erzählen. "Botschaft" ist wieder ein so schreckliches Wort. Es gibt leider viele Kollegen, die oberlehrerhaft predigen und in den Liedern das Publikum mit ihren oft dümmlichen Meinungen belästigen. Das tue ich nicht. Ich erzähle Dinge, die mir auffallen und ich teile ihm meine Wahrnehmungen mit.

TA: Warum kommen Sie so gut im Osten an?

Kunze: Weil ich daher komme und die Leute das merken. Ich bin zwar in Espelkamp in einem Flüchtlingslager auf die Welt gekommen, aber alle Kunzes stammen aus Guben.

TA: Wie fühlt man sich, wenn man von allen deutschen Kunzes der berühmteste ist?

Kunze: Da gibt es immerhin noch Reiner Kunze, der ein ganz großer Lyriker ist und der nicht mit mir verwandt ist. Das hinderte aber die Stasi nicht, meine Oma zu verhören, als er 1977 in den Westen ging. Ich freue mich darüber, das die Leute mich kennen und verstehen. Mein Ostpublikum hat schon immer gespürt, seit ich 1987 dort zum ersten Mal spielen durfte, dass ich zum Osten eine ganz besondere Bindung habe.

TA: Auf Ihrer Homepage sind 875 Texte verzeichnet. Was regt Sie an und auf, dass sie so produktiv sind?

Kunze: Das gehört zum Leben dazu und mir wäre sehr merkwürdig, wenn ich eine Woche lang nichts aufschreiben würde.

TA: Nach welchen Kriterien wählen Sie ihre Texte zum Vertonen aus?

Kunze: Die Auswahl lässt sich nicht als Theorie beschreiben. Das geschieht spontan. Bei manchen Texten summt schon was im Hinterkopf. Und bei anderen denkt man, dass es vielleicht gut wäre, frische Kräfte von außen zuzuführen. Die Entscheidung fällt in Sekunden und dennoch ist die Trefferquote sehr hoch.

TA: Was wird den Konzertbesucher am 16. Mai in der Erfurter Thüringenhalle erwarten?

Kunze: Eine sehr neue Band. Ich habe ja nur meinen Keyboarder Matthias Ulmer behalten. Die anderen sind mindestens zwölf Jahre jünger als ich. Wie es sich gehört, steht das neue Album Rückenwind im Vordergrund. Ich kann es nicht ertragen, wenn Leute ein neues Album herausbringen, dann nur ein, zwei Stücke davon im Konzert spielen.

TA: Werden sie mit Ihrem Vorschuss statt Lorbeeren eine Lesereise unternehmen?

Kunze: Vermutlich, aber erst nach unserer Rocktour.

Wolfang Suckert, Thüringer Allgemeine, 26. März 2003

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