Mann des vorigen Jahrhunderts
Heinz Rudolf Kunze beginnt seine Tournee in Göttinger Stadthalle
Heinz Rudolf Kunzes Leidensdruck muß ziemlich groß sein. Er leidet unter der geistlosen Intimschnüffelei der Mediengesellschaft. Unter der selbstbewußten Bräsigkeit der Jugend. Kurz: unter seiner Umwelt. Und das muß raus. Am Samstag war Tourneeauftakt in Göttingen in der Stadthalle.
Kunzes Programm heißt Wasser bis zum Hals steht mir. Und zwar "gut", wie er hinzufügt. Er freue sich, in Göttingen zu sein, anderseits hätten er und seine "kleine Besetzung" Matthias Ulmer an den Keyboards und Heiner Lürig an der Gitarre gestrichen die Hosen voll: "Man will sich ja nicht blamieren." Aber dazu wird ihnen von der ersten Minute nicht der Hauch einer Chance gegeben. Der innerste Zirkel seiner Fangemeinde hat sich eingefunden. So bleiben zwar ein paar Reihen unbesetzt, bei den Anwesenden jedoch hat der Rock-Poet einen Stein im Brett.
Denken an schönere Zeiten
Was das Publikum erwarten würde bei der Tournee, wußte Kunze im Vorfeld selber nicht so genau zu sagen. Lesung, Musik plus Literatur, Lyrik und Rock. In Göttingen wurde der Schleier gelüftet: Kunze verschnürt seine Leidenschaften Texten und Komponieren zu einem bemerkenswerten Paket. Enthalten sind neue Lieder und wortgewaltige Poesie, aber auch alte Songs. Diese als Reminiszenz an schönere Zeiten.
"Kein Zweifel, ich bin ein Mann des vorigen Jahrhunderts", spricht der Barde. Und fordert "Bomben auf alle Filmpremieren und Echo-Verleihungen". Nur mit dem Finger auf mediale "Zähnefletschzombies" mit "Muskelfaselriß" zu zeigen, ist seine Sache jedoch nicht. Auf seiner Homepage fordert er zum Widerspruch auf – und fügt die eingehenden Textbeiträge in seine Songs ein. Nichts ist so erbärmlich wie die Jugend von heute, so seine provokante These, "ein verrotteter Haufen von gepiercten Spießern". Kernige Gegenargumente erntete er offensichtlich nicht in Fülle. Kunzes Resümee: "Hunde, die Rebellen beißen nicht!"
Auf eine Reise durch die Befindlichkeiten des intellektuellen Rock-Poeten im Medienzeitalter wird das Publikum mitgenommen. Kunze geht dabei wie immer eigene, eigentümlich Wege. Klangexperimentell klagt er über die genügsame So lala-Gesellschaft. Vehement sein Friedensappell im Hinblick auf den 11. September: "Feuer einstellen, sonst müssen wir uns auf Feuer einstellen!" Dazu eine, allerdings etwas schwülstige, deutsche Version von Imagine.
Dem Ärger Luft machen
Am schönsten sind jedoch die Kontrapunkte zum neuen Programm. Die ganz alten Titel kramt Kunze hervor, zum besten gibt er Lisa, Der schwere Mut oder als Zugabe Bestandsaufnahme. Ein Leckerbissen für seine Fans, deren Ovationen kein Ende nehmen wollen. Kunze ist erleichtert: "Es tut doch immer wieder gut." Er konnte seinem Ärger ein wenig Luft machen.
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