Heinz Rudolf Kunze steht das Wasser bis zum Hals

2002

Neues zur "K"-Frage

Der deutsche Pop-Lyriker HEINZ RUDOLF KUNZE erzählt von den Stücken seines neuen Albums Wasser bis zum Hals steht mir.

Die "K-Frage" ist derzeit in Aller Munde. Aber so richtig interessant ist sie ja nicht, oder? Wie schön, dass da noch eine alternative ,"K-Frage" in unserer Redaktion auftauchte, nämlich in Form einer Einladung in das Madagaskar-Studio in der Wedemark bei Hannover. Zwecks Interview der Heeren Heinz Rudolf Kunze and Produzent/Gitarrist Heiner Lürig. Bezüglich der Veröffentlichung der insgesamt 22. offiziellen Kunze-LP. Also nichts wie ins Auto gesetzt und hingedüst ...

ACCESS: Deine neue Platte heißt Wasser bis zum Hals steht mir. Du bezeichnest sie ganz bewusst als "Das dritte andere Album". Warum legst do solchen Wert auf diese Bezeichnung?

KUNZE: Weil das Wort "Das dritte literarische Album", was eigentlich konsequent gewesen ware, durch das, was im Studio passiert ist, nicht mehr recht passt. Wir dachten, dass da weniger Musik "stattfinden" würde. Etliches hat sich verselbständigt, und es hat sich dann so viel an "Klang" abgespielt, was eigentlich gar nicht geplant war, dass wir den Leuten nichts Falsches unterjubeln wollten. Und ich finde die Entscheidung, das Album "Das dritte andere" zu nennen, insofern sinnvoll, als da der Hinweis enthalten ist, dass es in meine "literarische Linie" gehört. Nämlich zu Sternzeichen Sündenbock (1991) und Der Golem aus Lemgo (1994). Aber es ist dann doch ein bisschen "anders".

ACCESS:Die Spielzeit des Albums beträgt 42:31 Minuten. Für eine CD ist das ja eher kurz.

KUNZE: Mehr war überhaupt nicht zu verwirklichen, in der Zeit. Die Aufnahmen waren auf 14 Tage angesetzt. Aber in Unkenntnis der Tatsache, was sich alles "an Musik tun" würde. Als wir gemerkt haben, was sich alles so abspielt, und was wir noch hören wollen, dachten wir schon "Oho, das könnte aber eng werden". Und was jetzt zu hören ist, das war nur verwirkichbar durch das Einschieben recht intensiver Naehtsessions. So etwas wollten wir eigentlich nie mehr machen, aber in diesem Fall ging es einfach nicht anders. Insofern war es keine ästhetische Entscheidung zu sagen. "das mass so kurz sein". Ich hätte auch mehr gemacht, aber im Prinzip sehe ich es auch so, dass eine lange CD irgendwie kein Selbstzweck werden darf. Es muss dann schon alles wirklich wesentlich sein, was sieh über 50 Minnten hinaus abspielt. Und insofern bin ich mit dem Format von "Wasser" ganz zufrieden. Und ich beobachte seit einiger Zeit auch eine gewisse Tendenz zur zeitlichen Rücknahme bei den Albumveröffentlichungen. Dass man sieh fast dem Vinylformat wieder annähert. Wer hat denn schon noch die Aufmerksamkeit, dir Zeit, die schiere Zeit, sieh mehrfach ein Album von 70 Minuten wie zum Beispiel Korrekt (1999) anzuhören? Das Leben ist doch sehr kurz geworden und sehr eilig.

ACCESS:Bei den Hallen deiner kommenden Tour handelt es sich nicht um Rock-, sondern eher um Musen-Tempel. Alles bestuhlt. Soll das so sein?

KUNZE: Sicher. Die Erfahrungen, die wir bei den Live-Programmen zu "Golem" und "Sündenbock" gemacht haben, gehen dahin, dass dir Besucher aufmerksam zuhören wollen und jedes Wort mitbekommen möchten. Insofern ist diese Aufführung dann auch etwas konzertanter ausgelegt, hat etwas mit E-Musik zu tun.

ACCESS:Wird es dann etwa nur eine 45-minütige Aufführung von "Wasser" geben, und das war es dann?

KUNZE: (lacht) Nein, natürlich nicht! Wir werden die neuen Sachen mit älteren Stücken kombinieren, und so wird das Konzert von der reinen Auftrittszeit auf etwa zwei Stunden kommen. Allerdings wird es in diesem Programm, den Lokalitäten angemessen, auch eine Pause zur Mitte des Programms geben. Das ist auch ein konzertantes Element und sonst nicht üblich bei uns.

ACCESS: Hallo Deutschland, Titel Nr. 2 – also, die Aufzählung der Geschichtsdaten kriegen wir hin: "70/71" – deutsch-französischer Krieg, "14/18" - erster Weltkrieg, "33/45" – Zeit der Nazi-Diktatur. Und dann sagst du: "89- die Nummer stimmt, aber keiner geht ran!" Was meinst du damit?

KUNZE: Man könnte das Ganze – die Reihenfolge der Zahlen als Telefonnummer lesen ...

ACCESS:Und?

KUNZE: Keiner geht ran. Heist für mich ganz einfach, dass es immer noch ein großes Problem vieler Einwohner, "Insassen" dieses Landes ist, mit den Eckdaten der deutschen Geschichte klarzukommen und sich einigermaßen entspannt dazu zu verhalten. Es gibt viele, die, wenn uns Fremde besuchen, oft – ich empfinde das jedenfalls so – ein Verhalten an den Tag legen, als wenn sie sagen wollten: "Also ich bin nicht von hier, ich hab' damit nichts zu tun!"

ACCESS: Die Verteidigung der Stammtische – da kommt zu Anfang und zum Ende des Titels vor: "Navigieren nach dem Judenstern" und "Kurs verlieren hinterm Judenstern". Das ist erst mal recht schwierig zu verstehen. Und wenn man das hört, ohne zu reflektieren, könnte man eventuell sogar auf eine falsche Fährte kommen. Wie meinst du denn diese Aussagen?

KUNZE: "Navigieren nach dem Judenstern" heist für mich, dass natürlich nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland eine gegen Israel gerichtete Politik nicht möglich ist. Dass wir da sehr viel Verständnis aufbringen müssen und dass es sehr schwierig ist, im richtigen Moment dann auch mal zu sagen: "Freundschaftliche Kritik muss aber auch sein!". Es ist natürlich heikel, ans der dentsehen Perspektive heraus so etwas zu sagen and jene israelischen Leute zu kritisieren, die heute Unrecht begehen. Und "Kurs verlieren hinterm Judenstern" – da muss ich jetzt wirklich erst selbst noch mal langer drüber nachdenken, was ich damit eigentlich noch sagen wollte ... Die erste Zeile war mir relativ klar, "Navigieren nach dem Judenstern" ... Es ist ja eine Collage von lauter Gemeinheiten, dieses Lied! Die nächste Zeile heist dann "Heilig überm Haupt der Krankenschein". Das ist ja noch eine religiöse Anspielung. Die soll irgendwie unser Sicherheitsdenken lächerlich machen, wenn man so will. Und "Kurs verlieren hinterm Judenstern", das geht dahin, dass wir nach all den Jahrzehnten, die jetzt schon wieder ins Land gegangen sind, trotzdem nicht wissen, wo es eigentlich mit uns lang geht und wie wir mit Geschichte, Verantwortung oder Schuld richtig umgehen sollen.

ACCESS:Mit Titel Nr. 6, So lala, beginnen die Sprechstücke zu dominieren. Dieser Titel orientiert sieh von der Stimmung her stark an den Einstürzenden Neubauten, im Text geht es darum, dass "alle anderen verrückt sind", "nur Wolfgang Neuss, der ist normal". Das bedarf einer Erklärung.

KUNZE: (längeres Schweigen) Wolfgang Neuss ist unter der Oberfläche seiner völlig wahnsinnigen Lebensführung ein ganz wichtiger deutscher Dichter gewesen. Ich habe das erst so richtig gemerkt, als der Verlag 2001 seinen Sammelband herausgebracht hat. Mit über 600 Seiten Neuss pur. Nachdem ich alles von vorn bis hinten durchgelesen hatte, habe ich begriffen, wie handwerklich nahe ich ihm stehe, wie ähnlich wir mit Worten umgehen. Jedenfalls sehr oft. Auch dass er ähnlich wenig weltanschaulich festgelegt ist wie ich. Er war auch eine ziemlich "freischwebende" Existenz, was Festlegungen betraf. Und deswegen halte ich ihn bei den Kabarettisten neben Hildebrandt und Hüsch für den Dritten der für mich noch einschlägig wichtigen Leute. So lala wird ja nun von einer Figur gesprochen, die – das ist nicht zu überhören – offenbar große Probleme hat. Dem geht's eindeutig nicht gut, der das da von sich gibt. Man hört auch Gummizellengebrüll im Hintergrund. Und da war für mich irgendwie klar, dass so einer wohl eher Wolfgang Neuss als seinen Heiligen und Schutzpatron bezeichnet, als irgendwelche Anderen. Man kann jetzt natürlich über Jeden einzelnen Namen reden. Aber ich kann es zum Teil gar nicht erklären, warum ich die – zum Beispiel Adenauer und Libuda – als verrückt bezeichne. Das ist eine Abwehr gegen fast alle!

ACCESS: Myopie (Kurzsichtigkeit), ist Stück Nr. 8 betitelt. Zwei unheimlich wortreiche Texte werden hier sehr schnell gegeneinander vorgetragen. Warum ein so verbales Stück, wo es doch um eine Augenkrankheit geht?

KUNZE: Na ja, es wird ja doch viel in diesen zwei Sprachsäulen, die parallel zueinander ablaufen, angesprochen, was einzeln genommen so uninteressant gar nicht ist. Ich wollte halt mal so eine Situation schaffen, wie man sie heutzutage in bestimmten Studentencafés häufiger erlebt. Du sitzt da an deinem Platz und nuckelst an deinem Cappuccino, und um dich herum sitzen lauter wichtige Gestalten, die alle ganz Wichtiges durcheinander reden. Und du kriegst davon hier und da mal so 'ne kleine Einzelheit mit. Mehr nicht, das ist eigentlich nur so ein Situationsbild. Eine Art Stillleben – oder Lautleben. (lacht)

ACCESS: Nichts ist so erbärmlich wie die Jugend von heute, das ist der potenzielle Single-Hit auf der CD. Ein Rap, bei dem sich ein "Alter" und ein paar "Junge" ganz ordentlich angiften. Was gibt es zu diesem Stück zu erzählen?

KUNZE: Die Jungs. mit denen ich mich da fetze, hat Heiner in Osnabrück aufgegabelt.

LÜRIG: Das ist eine deutsch-türkische R'n'B-Gruppe namens Ie 'zon. Die haben mir ganz gut gefallen, als ich sie mal gesehen habe. Sir sind ziemlich authentisch, kommen aus einer Ecke, wo du merkst, dass sie das, was sir machen, wirklich auf der Straße gelernt haben. Als "Hörer" von Heinz Rudolfs Text zu "Nichts ist" war es für mich unerträglich, nur eine Position bei dieser Problematik geboten zu bekommen. Das ist ja ein Song, der geradezu nach der Antwort von der anderen Position her schreit. Hätte ich selbst was dazu geschrieben, wäre es mit Sicherheit etwas ganz anderes geworden, aber ich wollte ja etwas haben, was richtig dazu passt, also habe ich g-ray, den Sänger der Gruppe, gefragt, ob er das nicht machen wolle, auf diesem Stück die Gegenposition einzunehmen. Und das möglichst deutlich, wenn es ginge, mit der gleichen Härte wir die andere Seite. Sie haben das gemacht, und uns hat es hinterher gut gefallen.

KUNZE: Das war für die Jungs gar nicht so leicht! Sir sind eigentlich alle sehr freundlich und künstlerisch auch noch ein bisschen jugendlich naiv, obwohl sie andererseits natürlich auch ganz schön harte Kerle sind, allesamt ans dem Stadtteil Schinkel in Osnabrück. Die wissen sich schon zu wehren. Als wir dann im Studio vor den Mikros standen und ich sagte "Eure Aufgabe ist jetzt, mich ordentlich zu beleidigen! Ich beleidige euch, und ihr beleidigt mich!", da sagte der Sänger auf einmal: "Ja, warum denn, du bist doch ganz okay ..." (schallendes Gelächter).

ACCESS: Auf Argumental findet sich im Text die namensgebende Zeile für das Album: Wasser bis zum Hals steht mir. Das klingt in der Wortwahl fast "romantisch", dann wird aber du ziemlich harter Song draus. Wie wurde gerade diese Zeile zum Titel für die ganze Platte?

KUNZE: Üblicherweise werde ich als erstes gefragt, ob es mir denn tatsächlich so schlecht geht. Aber es ist ja eine ganz bewusste Wortstellung, und es ist eigentlich ein Kokettieren mit dem Elend. Offenbar fühle ich mich wohl, wenn es mir dreckig geht, und das soll ja diese Zeile sagen: dass es mir steht. Da ist vielleicht zu befürchten, dass das gar nicht jeder mitkriegt und die Leute denken: "Das ist doch falsch geschrieben, das muss doch 'Wasser steht mir bis zum Hals' heißen". Muss es natürlich nicht. Dann bin ich wieder der Dumme, wenn das nicht rüberkommt.

ACCESS: Beruhigend, das letzte Stück, dauert acht Sekunden: "Es gibt immer einen Blickwinkel, von dem aus betrachtet es um niemanden schade ist".

KUNZE: Tja, man sollte sich selbst nicht so wichtig nehmen.

ACCESS!, Februar 2002

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