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2001

"Glaubt keinem Sänger! Außer mir..."

Heinz Rudolf Kunze macht mit seinem neuen Album auch in Leipzig und Dresden Halt

Als Wortverschachtler der Nation stapelt er nicht nur Beziehungskisten. Auch allerlei Musik- und Literaturpreise haben sich bei Heinz Rudolf Kunze angesammelt. Und die gibt's nun mal nicht, wenn man nur Herz auf Schmerz reimt. Auch auf Halt (WEA), seinem neuen Album, huldigt der Poet zwar dem Pop, bleibt aber am Puls der Zeit. Ingolf Rosendahl sprach mit Heinz Rudolf Kunze.

Frage: Mit anderthalb Jahren seit Korrekt haben Sie diesmal länger gebraucht. Es ist sogar von Schinderei die Rede. Wie kam's denn dazu?

Heinz Rudolf Kunze: Zum einen hat die WEA 1999 durch die "Best of" noch eine Platte veröffentlicht und gebeten, wir sollten uns Zeit lassen. Sonst würden wir den eigenen Markt verstopfen. Zum anderen war Korrekt nach einer längeren Durststrecke mal wieder richtig erfolgreich. Da fragt man sich schon, was man als nächstes macht, um nicht wieder abzufallen. Das führte zu Grübelei und einigen Stücken, die von der Platte verschwunden sind.

Frage: Mit Chris v. Rautenkranz, Produzent der "Hamburger Schule", schaute erstmals ein Gast herein ...

Heinz Rudolf Kunze: Viele meinten, es wäre gut, für ein paar Titel einen anderen Produzenten heranzulassen, um zu überprüfen, wo wir stehen. Es brachte aber nicht ganz den erwarteten Effekt, denn er hat sich mehr uns angenähert als wir ihm. Er hat wenig eingegriffen, da er uns gut fand. Das ist ein Riesenkompliment, aber wir hätten das auch selbst produzieren können.

Frage: Das Pendel schlägt diesmal mehr in Richtung Beatles als Lou Reed aus.

Heinz Rudolf Kunze: Lou Reed ist weiter ein Hausgott, nur steht er im Moment hinten im Regal. Songs sind nun mal eigensinnige Wesen. Sie haben eine bestimmte Richtung, in die sie wollen. Da muß ich mich als ihr Medium fügen.

Frage: Es heißt, Ihre Symbiose aus anglo-amerikanischer Musik und deutschen Texten sei nun perfekt. Haben Sie Ihren Höhepunkt erreicht?

Heinz Rudolf Kunze: An dieser Symbiose arbeiten wir seit 20 Jahren. Aber ob das der Höhepunkt ist, weiß ich nicht. Zumal das eine gefährliche Sache ist, denn danach geht es ja nur noch abwärts.

Frage: Sie rockten gerade mit Udo Lindenberg gegen Rechts. Ist der Ansatz nicht zu schmal? Müßten Sie nicht gegen Egoismus und Entsolidarisierung der Gesellschaft zu Felde ziehen? Die bereiten doch den Nährboden für den Extremismus aller Couleur.

Heinz Rudolf Kunze: Richtig, aber dagegen kann man keine Konzerte machen. Dafür findet man keine griffige Aussage. Ich bezweifle auch, daß man durch solche Konzerte jemanden, der wild zum Zuschlagen entschlossen ist, davon abhalten kann. Es geht mehr darum, zu zeigen, daß wir eine solche Haltung ablehnen.

Frage: Aufgeklärte Bürger kommen in die Klemme: Entweder sie beschäftigen sich mit "Big Brother" & Co. Oder sie bleiben außen vor. Wie halten Sie es damit privat?

Heinz Rudolf Kunze: In Talk-Shows schaue ich rein, denn man muß ja wissen, worüber man schreibt. Aber "Big Brother" lasse ich mir von meiner Tochter erzählen. Für mich wär's unerträglich, meine Zeit so zu verschwenden. Ich kann damit leben, nicht zu wissen, wer Christian ist. Außerdem schreibt Hans Magnus Enzensberger in diesem Land immer noch mit die aufregendsten Zeitgeistartikel. Ich glaube nicht, daß der "Big Brother" guckt.

Frage: Sie könnten es Ihrer Tochter verbieten, "Big Brother" zu sehen ...

Heinz Rudolf Kunze: Da bin ich nicht überzeugend. Wenn man so einen verrückten Beruf hat wie ich, macht es sich nicht gut, den Zeigefinger zu erheben.

Frage: Wie sieht Ihr normaler Tag aus?

Heinz Rudolf Kunze: Ziemlich spätes Aufstehen, so um zehn. Ab elf eine Stunde Telefonate, dann eine Dreiviertelstunde auf den Hometrainer. Duschen, dann kommen die Kinder aus der Schule, und es gibt Mittagessen.

Frage: Natürlich BSE-frei, oder?

Heinz Rudolf Kunze: Rindfleisch wird bei uns schon länger gemieden. Aber wir sind keine Vegetarier ... Bis abends gammle ich dann im Arbeitszimmer herum, sehe fern, höre Musik und warte darauf, daß mir was einfällt. Sieben Uhr Nachrichten, dann meistens Fernsehen. Ins Bett geht's relativ spät, oft lese ich noch bis früh um zwei.

Frage: Wäre es ohne Fernsehen als Inspirationsquelle schwierig für Sie?

Heinz Rudolf Kunze: Oh ja, weil ich selten rausgehe. Streifzüge durch die Innenstädte unternehme ich nur auf Tournee. Die Begegnungen, die ich dann habe, reichen mir.

Frage: Das Internet haben Sie lange links liegen gelassen. Jetzt gibt's eine informative Seite, und man kann sogar einen exklusiven Song runterladen. Tun Sie's, weil es alle tun?

Heinz Rudolf Kunze: Ja klar. Man muß darauf reagieren und auch etwas freigeben. Aber die generelle Freigabe von Musik bleibt für mich Diebstahl, und ich kann nur hoffen, daß das endlich juristisch aufgearbeitet wird. Ich sehe nicht ein, daß man mir ein Jahr Arbeit unentgeltlich wegnehmen darf. Und ich glaube, viele Musiker, die sagen "Napster ist cool", beschäftigen die besten Anwälte dagegen. Musiker sind Lügner.

Frage: ...glaubt keinem Sänger?

Heinz Rudolf Kunze: Wahrlich nicht. Außer mir...

Frage: Wie bewerkstelligen Sie nach 20 Jahren im Geschäft die Bodenhaftung?

Heinz Rudolf Kunze: Die konnte nicht verlorengehen, weil für mich nie die Gefahr bestand, Superstar zu werden. Ich habe immer gut verdient, bin aber nicht so reich, daß ich nur noch mit Prinz Ernst August von Hannover essen gehe. Ich führe ein relativ normales Leben, habe immer noch Freunde aus meiner Zeit vor der Musik. Außerdem habe ich im Gegensatz zu den meisten Kollegen immer noch die erste Frau und die erste Familie.

Frage: Im März erscheint Ihr neues Buch "Klärwerk", das Sie zur Buchmesse in Leipzig vorstellen. Was steht drin?

Heinz Rudolf Kunze: Es ist mein üblicher Gemischtwarenladen. Es handelt von allem, Geiselnehmern und Kinderschändern, abstürzenden Concordes und Computern – das ganz normale Leben.

Ingolf Rosendahl, Leipziger Volkszeitung, 15. Februar 2001

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