Heinz 2000 (Foto von Nikolai Georgiew)

2000

Heinz Rudolf Kunze am Telefon 30.08.2000, 15.00 Uhr

GRN: Du hast Dir nicht nur als Musiker, sondern – nach mittlerweile fünf Büchern – auch als Autor einen Namen gemacht ...

HRK: Die Lesungen zu meinem fünften Buch Heimatfront laufen seit zwei Jahren. Momentan stammt nur noch die Hälfte aller Texte aus diesem Buch. Die anderen stammen bereits aus der sechsten (demnächst beim Christoph Links Verlag erscheinenden) Veröffentlichung. Es handelt sich hierbei, genau wie bei den Vorgängern, um lose Textsammlungen ohne inhaltlichen Zusammenhang. Es ist schlicht und einfach eine Bündelung von allem, was so am Schreibtisch um die Songs herum nebenbei entsteht. Die einzige Absicht dieser Bücher ist, dass die Texte nicht verloren gehen, die es nicht auf Platte gibt. Das sind dann eben häufig nicht gereimte und gestrophte Geschichten, sondern eher Prosa, die kabarettistischen Charakter oder Kleinkunstcharakter hat.

GRN: Gibt es für die Texte eine zeitliche Ordnung?

HRK: Die Ordnung ist chronologisch, also nach Jahreszahlen. Das Heimatfront-Buch enthält Texte von 1995 bis 1997 und das neue Buch ist dann von 1998 bis 2000.

GRN: Am Freitag, dem 8. September 2000, gab es eine Lesung im Wittenberger Irish Harp Pub. Wie kommt es, dass Heinz Rudolf Kunze auch in solch kleinen Orten gastiert?

HRK: Da hat sicherlich jemand aus Wittenberg bei meinem Verlag Interesse bekundet. Das wird dann an mich weitergegeben und wenn es in meinen Terminplan passt, so geht das in Ordnung. Wir machen die Lesungen in recht unterschiedlichen Städten, also nicht nur in Hamburg oder Berlin, sondern auch in Kleinstädten und Dörfern. Ich bin vor gar nicht langer Zeit dreimal in Sachsen-Anhalt gewesen (in Gardelegen, in Haldensleben und in Magdeburg). Veranstaltungsort sind öffentliche Bibliotheken oder Buchhandlungen. Für eine Lesung, die doch eine relativ intime Angelegenheit ist, ist eine Anzahl von ca. 100 Menschen schon ausreichend. Bei mehr als 500 Besuchern würde solch ein Unterfangen nicht mehr nah genug sein.

GRN: Lässt sich solch ein kleiner Kreis trotz Deinem Bekanntheitsgrad noch verantworten, oder passiert es schon mal, dass bei zuviel Interessenten ein Teil vor der Tür bleiben muss?

HRK: Also, bei Lesungen habe ich es noch nicht erlebt, dass wir Leute abweisen mussten. Wir haben sie eigentlich immer irgendwie da reingekriegt.

GRN: Zum Thema Literatur allgemein: Was bedeuten Bücher für Dich persönlich?

HRK: Ich bin sehr früh ans Lesen geraten. Das wurde von zu Hause auch sehr stark gefördert. Ich habe sehr früh, als kleines, kleines Kind, Interesse gehabt an Literatur, an Märchen und Geschichten, an Sprache und Musik. Beide Neigungen sind ungefähr gleich alt. Meine Eltern haben dies sehr früh erkannt und auch im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten immer gefördert und unterstützt. Ich musste eigentlich nie nach Büchern besonders fragen oder betteln. Als ich so 14/15 war, hatte ich auch mal den Wunsch Autor zu werden, Schriftsteller und nicht Musiker ... Das hat sich dann so ein bisschen verschoben. Ich bin dann doch Musiker geworden, mit eigenen Texten – und hab dann auf dem Umweg über die Musik dazu gefunden, eben auch die anderen Texte die ich schreibe zu veröffentlichen. Das wäre wahrscheinlich ohne die Musik gar nicht so einfach gewesen. Dadurch, dass ich mir da einen gewissen Namen gemacht habe, hatten dann auch die Verlage Interesse an mir. Die Neigung, sich mit Sprache auseinander zusetzen und selber auch Sprache anzuwenden, ist uralt bei mir. Das ging mit 4/5 Jahren los.

GRN: Welche Bücher haben Dein Leben besonders beeinflusst?

HRK: Das kommt auf das Lebensalter an. Ich habe wahrscheinlich viel zu früh (ohne das von der eigenen Reife her verkraften zu können) Dostojewski gelesen. Die Gebrüder Karamasow oder Schuld und Sühne ... Das war für mich Pubertätslektüre und hat mich sicherlich sehr beeindruckt. Ich habe natürlich auch eine ganz normale Kinderbuch-Phase gehabt. Wie die meisten Menschen meiner Generation und anderer Jahrgänge auch, hatte ich als kleines Kind zum Beispiel eine sehr intensive Astrid Lindgren-Phase. Diese schwedischen Kindergeschichten haben mich als Kind dauernd begleitet. Ich habe so viele tausend Bücher zu Hause, dass es wirklich schwer zu beantworten ist, was da hervorzuheben sei. Ich habe kein Lieblingsbuch ...

GRN: Welche Bücher sollte man Deiner Meinung nach unbedingt gelesen haben?

HRK: Fluss ohne Ufer von Hans Henny Jahn, die Wahlverwandtschaften von Goethe, die Erzählungen, die Parabeln von Kafka ... das sollte man auf jeden Fall gelesen haben. Auch da könnte ich leicht eine Liste aufmachen von mehr als fünfzig Namen. Ich denke, dass die beiden bedeutendsten Autoren, die zur Zeit in deutsch schreiben, diejenigen sind, die Marcel Reich-Ranicki am meisten verachtet und schmäht, nämlich Dieter Hahnke und Botho Strauß ... und dann sollte man sich noch die Gedichte von Hölderlin angesehen haben.

GRN: In Anbetracht des alles überrollenden Fortschrittes – was hältst Du vom digitalen Buch?

HRK: Ich werde es nicht verhindern können, wie so viele technische Entwicklungen, mich lässt das kalt. Mir macht es keine Freude. Ich halte mich doch gerne an ein Buch als Objekt, als Gegenstand, als Medium, dass man in die Hand nehmen und umblättern kann. Ich beobachte das und werde die Entwicklung weiter verfolgen. Für mich ist das zu abstrakt und zu kalt. Ich bin jetzt 43 Jahre alt und ein Mensch des vergangenen Jahrhunderts. Ich bin da geprägt worden und ich mag das Buch als Gegenstand. Das wird sich in meinem Leben auch nicht mehr ändern.

GRN: Aus welchen Quellen stammt das gestalterische Material für Deine eigenen Bücher?

HRK: Normalerweise sind das bei den Fotos die verwendet werden "Abfallprodukte" von den Fotosessions die wir für die Platten immer machen. Da gibt es eine Menge Bilder die für die Platte nicht gebraucht werden. Wenn die mir patent erscheinen, dann gebe ich sie an den Verlag weiter. Dort muss man die Sachen allerdings auch gut finden. Die nehmen nicht automatisch das, was ich ihnen vorschlage. Bei Heimatfront allerdings waren wir uns sehr schnell einig, was das Coverfoto betrifft.

GRN: Ist das Arbeiten an den regelmäßig parallel zur Musik erscheinenden Büchern ein Selektieren zwischen den Tourneen, oder geschieht das ohne wirkliche Unterbrechungen?

HRK: Das kann sich jederzeit ereignen. Erzwingen kann man das nicht. Ich kann mich nicht vor ein leeres, weißes Blatt setzen und sagen: "Jetzt mach ich das und das". Da muss man halt die nötige Geduld haben warten zu können, bis einem was einfällt. Bis man sich dann wieder an einem Thema abarbeitet. Das ist nicht steuerbar. Ich muss drauf warten, dass es passiert, aber es passiert gottseidank relativ regelmäßig.

GRN: Unterscheidet sich die Arbeit als Autor von der Vorgehensweise als Songschreiber? Werden Geistesblitze spontan niedergeschrieben oder ist es eher ein konzentriertes Daraufhinarbeiten?

HRK: Das kommt darauf an. In glücklichen Umständen ist ein Lied sehr schnell fertig. Es kann sein, das es einem sehr zusammenhängend und sehr kompakt einfällt. Wenn man Pech hat, dauert es länger. Wenn einem die Idee trotzdem etwas wert erscheint, dann muss man eben auch Geduld aufbringen und immer wieder daran basteln. Man darf einfach nicht den Mut verlieren und es frustriert wegschmeißen.

GRN: Was macht Dir Mut und was macht Dir Angst, beim Blick in die globale Zukunft?

HRK: Tja, beim Stichwort Angst könnte ich eine Liste von vielen Wörtern herunterbeten ... Am meisten macht mir Angst, dass es eigentlich im Moment keine erkennbare Alternative mehr auf der Welt zu einem absolut wahnsinnig werdenden Kapitalismus gibt, zu einer Wirtschaftsordnung, die, wenn sie losgelassen wird, einfach dazu tendiert sich selber aufzufressen. Mut macht mir dieser Glaube von dem ich nicht lassen will, dass der Weltuntergang schon sehr oft vorhergesagt wurde und bisher noch nicht eingetroffen ist und dass die Menschen immer wieder auf kreative Lösungen gekommen sind, die das Weiterbestehen ihrer Art (bisher jedenfalls) gesichert haben. Unsere Fantasie und Kreativität ist das einzige Kapital das wir wirklich haben: dass Probleme, die uns heute noch hoch wie ein Berg erscheinen, eines Tages doch vielleicht von unseren Kindern und Kindeskindern lösbar sein könnten ...

GRN: Was hält der Philosoph in Dir für das größte Übel und den größten Vorzug der menschlichen Natur?

HRK: Das ist eine weit gesteckte Frage (die ich nur unter größtem Vorbehalt beantworten kann, da mir morgen vielleicht etwas ganz anderes dazu einfallen würde): Das größte Übel ist die Dummheit und der größte Vorzug ist der Spieltrieb.

GRN: Ist wahre Freiheit eine Illusion?

HRK: Das beantworte ich mal mit Nietzsche: Es gibt eigentlich keine Freiheit, es gibt keinen Zufall und trotzdem muss man sich entscheiden.

GRN: Mal abgesehen davon, dass sich bestimmte Einstellungen zu bestimmten Begriffen im Laufe des Lebens ständig ändern – hat das Wort "Rebellion" für Dich noch eine Bedeutung?

HRK: Es hat sicherlich für mich noch eine Bedeutung, die andere Frage ist, ob es für mich noch eine Anwendung hat! Ich kann mir unter dem Begriff sehr wohl etwas vorstellen, aber Rebellion, so wie ich sie verstehe, das ist eine Sache, die sehr stark mit dem Begriff Jugend zusammenhängt. Auch wenn man als älter gewordener Mensch, als Mensch der mittleren Generation, sicherlich ebenfalls auf Dinge trifft mit denen man nicht einverstanden ist, so sucht man sich doch andere Wege des Widerstandes als die Rebellion. Ich bin ja nun in der privilegierten Situation einen ganz ungewöhnlichen Beruf haben zu dürfen. Ich kann öffentlich kundtun was mir stinkt, was ich nicht mag, was ich gerne anders hätte – das ist ja vielen Leuten so nicht vergönnt. Ich kann sozusagen meine Distanz zu vielem was so abläuft und was mich stört auch öffentlich austragen und vortragen. In wie weit das der Welt weiterhilft weiß ich nicht. Vielleicht kann ich dem einen oder anderen Menschen dadurch Anstöße geben, das wäre schön, aber zumindest kann ich es öffentlich kundtun.

GRN: Wenn man – so wie Du – ständig alles hinterfragt, empfindet man diese Position dann manchmal auch als Problem?

HRK: Nein. Da ich offen zugebe, wenn ich nicht mehr weiter weiß und nicht behaupte, irgendwelche Rezepte zu haben, konfrontiere ich die Leute manchmal auch nur mit meiner eigenen Ratlosigkeit, dann lachen wir zusammen und es ist gut!

GRN: Was möchtest Du (abseits der Musik) in den nächsten Jahren unbedingt noch realisieren?

HRK: Ich würde gerne, abgesehen von den Sachen die ich bis jetzt so machen durfte, einmal im schauspielerischen Bereich eine Rolle spielen, in einem Fernsehfilm. Ich würde zum Beispiel gerne einmal Tatort-Kommissar werden!

GRN: Angenommen Du hättest nur noch 24 Stunden zu leben – wie würdest Du mit dieser Zeit am liebsten umgehen?

HRK: Ich denke, ich würde versuchen sie mit hemmungslosem Sex zu verbringen ...

GRN: Wenn Zeitreisen hier und heute möglich wären, welche Zeit würdest Du gerne einmal besuchen? (Natürlich mit der Option, wieder gesund und unbeschadet zurückzukommen)

HRK: Der zweite Weltkrieg würde mich interessieren.

GRN: Gäbe es die Möglichkeit, eine die Zukunft betreffende Frage auf der Stelle beantwortet zu bekommen – was würdest Du gerne wissen?

HRK: Ich glaube, das würde ich ablehnen. Ich möchte nicht an der Zukunft kratzen. Ich fürchte (auch wenn es nur eine angebliche "Kleinigkeit" wäre), dadurch wäre es dann nicht mehr die Zukunft! Ich würde mich dann doch viel zu stark nach dieser vorweggenommenen Einsicht richten.

GRN: Andererseits stellt sich die Frage, was aus dem zweiten Weltkrieg geworden wäre, wenn Du dort aufgekreuzt wärst ...

HRK: Das ist richtig! Die Frage ist ja aber rein spekulativ.

GRN: Könntest Du einen bereits verstorbenen Menschen wieder zum Leben erwecken – wen würdest Du gerne zurückholen?

HRK: Meinen Freund Matthias, der mit 31 Jahren an Krebs gestorben ist.

GRN: Wie lautet Deine allerwichtigste Lebensphilosophie?

HRK: Da habe ich ein ziemlich skeptisches Motto. (Manche würden auch pessimistisch dazu sagen, aber ich glaube, ich bin trotzdem noch im Stande zu grinsen ...) Meine Lebensphilosophie ist: "Rechne immer mit dem Schlimmsten und freue Dich, wenn Du Dich irrst!"

GRN: Wenn Du aus heutiger Sicht Deine Kindheit betrachtest, welches Bild hast Du dann spontan im Kopf?

HRK: Da gibt es einige Bilder. Ich habe einen Teil meiner Kindheit sehr idyllisch verbringen dürfen, auf einem ganz winzigen Bauerndorf in der Nähe der holländischen Grenze, im finstersten Emsland. (Wo man uns gewarnt hatte, da wären die Bauern dermaßen reaktionär und dumpf und primitiv, dass sie zugereisten, mittellosen Ossis mit Sicherheit feindselig gesinnt wären ... Genau das Gegenteil war der Fall! Die Leute dort waren unglaublich gastfreundlich, herzlich und angenehm ...) Das Bild, was ich habe ist, dass ich als Vierjähriger in Scheunen herumgetobt bin und mich von ganz oben in riesige Heuberge fallen lassen konnte. Ich bin wirklich mit Kühen und Schweinen und Heu und Bauernhof (zumindest in einem Teil meiner Kindheit) aufgewachsen und das war ziemlich paradiesisch.

GRN: Gibt es in Deiner Ahnenreihe irgendwelche Künstler, die Dir das Talent zum Musiker vererbt haben könnten?

HRK: Überhaupt nicht. Ich komme aus wirklich proletarischen Verhältnissen. Mein Vater war der erste, der nicht entweder Kohlensäcke geschleppt hat oder Bauer war. Er war Realschullehrer und hatte zumindest eine Neigung zum Künstlerischen. Er fand das gut. Er hat das selber nicht richtig praktiziert, aber er hat es gefördert. Schon die Generation meiner Großväter und Großmütter, wenn man da in die dritte Generation zurückblickt, das waren alles ganz arme und kleine Leute.

GRN: Stell Dir vor, Du hättest für einen Tag lang die Herrschaft über die ganze Welt und jedes Gesetz, was Du an diesem Tag erlässt, behält seine Gültigkeit für die nächsten 100 Jahre. Wie würde Deine erste Anordnung lauten?

HRK: Das weiß ich nicht, da ich mir diese Rolle nicht mal im Traum anmaße. Ich glaube nicht, dass die Welt gut beraten wäre, mich als allumfassenden Diktator zu haben. Ich glaube auch, dass es überhaupt nicht gut wäre, irgendjemanden in dieser Rolle zu haben! Diese Frage stellt sich für mich nicht.

GRN: Wo liegen die musikalischen Interessen von Heinz Rudolf Kunze, abseits der eigenen Musik? Was hörst Du gerne in Deiner Freizeit?

HRK: Das lässt sich nur schwer beantworten, denn ich habe mehr als 50000 Platten ...

GRN: In welche Musikrichtungen geht das hauptsächlich?

HRK: Auch das kann ich nicht festmachen. Ich habe eine sehr große Abteilung von sowohl Klassik als auch Jazz, Rockmusik, Elektronika und Avantgarde. Es ist sehr gemischt. Ich bin eigentlich sehr empfänglich für jede Art von Musik die ich als gut und konsequent gemacht empfinde. Das kann Hank Williams als Country- und Westernsänger sein, Peter Grützmann als atonaler Freejazz-Saxophonist und alles dazwischen.

GRN: Zu welchem Live-Konzert bist Du letztlich als Fan gefahren?

HRK: Das war vor ein paar Wochen hier in Hannover: zu Bob Dylan.

GRN: CC Behrens (der ehemalige Schlagzeuger von Fair Warning) ist aus dem Melodic-Hardrock-Lager seit mitlerweile fünf Jahren zur Heinz Rudolf Kunze Band übergewechselt. Wie und wo habt Ihr Euch kennengelernt?

HRK: Wir kannten uns schon länger, als es Fair Warning überhaupt noch nicht gegeben hat! Er wollte schon seit 15 Jahren bei mir mitspielen. Das ging erst mal nicht, weil ich da noch einen anderen Trommler hatte (wir kennen uns seit Anfang 1985 und haben uns immer gut verstanden und auch privat getroffen). Aber der Job war halt vergeben und er musste so lange warten, bis der Platz frei geworden ist. Ich hab ihn dann gefragt ob er nach 10jährigem Warten noch Interesse hat, an dem Job,- und er hat das Angebot gleich angenommen ...

GRN: Bei so viel veröffentlichten Studioalben, wie das bei Dir der Fall ist – gibt es da trotzdem so was wie ein derzeitiges Lieblingsalbum?

HRK: Das wäre unfair, gegenüber den meisten anderen. Es gibt zwei Gruppen von Alben. Das ist die eine, die einem besonders nahe steht und die andere Gruppe, die man heute mit etwas mehr Abstand sieht. Beide Gruppen sind ungefähr gleich groß. Da jede Platte ernst gemeint war und ich mit jeder auch was gewollt habe – mir mit jeder Mühe gegeben habe, ist es schwer da eine einzelne herauszuheben. Jede Platte hat eine ganz eigene Geschichte und verkörpert wenn sie fertig ist und erscheint, die Arbeit von mehr als einem Jahr Leben. Insofern habe ich kein einziges Album bisher bereut. Es hat alles mit meinem Leben zu tun.

GRN: Wann ist das nächste Studioalbum zu erwarten und wann die nächste Tour?

HRK: Das Album kommt in den ersten Wochen des neuen Jahres, die Tournee, schätze ich mal, fängt am Tag nach Ostern an.

GRN: Gibt es dafür schon einen Arbeitstitel?

HRK: Das soll noch nicht verraten werden! Vage umschrieben ist das neue Album eine ziemlich weit ausholende Sammlung von Songs und Themen zu allen möglichen Gegenständen.

GRN: Um noch mal auf die Heimatfront zurück zu kommen – was bedeutet Heimat für Dich persönlich?

HRK: Das ist für mich biographisch schwierig zu beantworten. Ich stamme aus dem Osten und bin im Westen aufgewachsen und dort sehr oft umgezogen. Ich habe also auch eine verwandtschaftliche Beziehung in die Lausitz, wo wir herstammen, bin aber eben vom Aufwachsen her ein Exil-Ossi. Ich bin unmittelbar nach der Geburt mit meinen Eltern im Westen gelandet und insofern würde ich zu keiner Stadt, zu keiner Region, sagen können: Das ist nun ganz und gar meine Heimat, denn erstens stamme ich da her und zweitens bin ich da auch längstens gewesen. Die längste Zeit meines Lebens war ich bisher in Osnabrück, aber auch das ist dann letzten Endes nur eine Station unter mehreren gewesen und kommt für einen so richtig klassischen Begriff Heimat auch nicht in Frage. Also muss ich mich wahrscheinlich (wie das auch so mancher Politiker tut, heutzutage), auf den Begriff insofern zurückziehen als ich sage: Heimat ist für mich der deutsche Sprachraum.

GRN: Zum Abschluss noch ein spontanes Brainstorming: Welche Assoziationen hast Du zu den folgenden Worten?

HRK: Zeit – Wahrscheinlich letzten Endes der kostbarste Besitz, den man haben kann!

Macht – Die gefährlichste Provokation, die einem im Leben manchmal droht, etwas das man wie eine schlimme Verführung möglichst weit von sich weisen sollte.

Ego – Eine Grundkonstante und ganz wichtige, unverzichtbare Größe, gerade für jeden Künstler.

Adrenalin – Eine mir sehr bekannte, und gerade fünf Minuten vorm Auftritt sehr spürbare Substanz.

Seele – Gehört sicherlich zu den Bereichen, die man als Künstler permanent erforschen will. Genauer gesagt: Man will sich vergewissern, ob es das überhaupt gibt.

Europa – Ein Erdteil, dessen Stärke auch weiterhin darin liegen sollte, dass er vielfältig ist. Er sollte nicht von einem falsch verstandenen Brüsssel einfältig und gleich gemacht werden.

Stille – Eine Ressource, die in unserer lauten Zivilisation allemal zu knapp wird.

Toleranz – Fällt gerade Künstlern in ihrer Ego-Fixiertheit besonders schwer.

Hass – Egal ob man es nun mag oder nicht, ist ein wichtiges Gewürz im Leben ...

Träume – Ein großes Kapital der Fantasie! Leider kann ich mir, wenn ich aufwache viel zu selten merken, was da im Schlaf vorgegangen ist.

Besessenheit – Diese Art Grundspannung, die das künstlerische Arbeiten ausmacht. Ich glaube, ohne Besessenheit kann man kein Künstler sein.

Glück – Strebt man immer wieder an, obwohl man genau weiß, dass es nie lange vorhält.

Schicksal – Ein Monstrum, das man versucht so gut wie möglich zu beeinflussen, obwohl man letzten Endes weiß, dass der Einfluss auf das Schicksal immer sehr begrenzt bleiben wird.

Geduld – Fehlt mir. Eine meiner größten Schwächen ...

Leidenschaft – Der verträglichere Teil der Besessenheit.

Fantasie – Ein anderer Name für Gott.

GRN: Was wünscht Du Dir am allermeisten, für Deine künstlerische Zukunft?

HRK: Da gibt es Antworten auf ganz verschiedenen Ebenen. Es wäre sehr wünschens- und erstrebenswert für mich, wenn ich das, was ich jetzt 20 Jahre machen durfte, noch möglichst lange weitermachen kann. Das heißt, dass ich weiterhin davon ausgehen kann, dass es Leute gibt, die mir das Gefühl geben, dass ich gebraucht werde, dass ich gehört werde, dass ich einen Platz in ihrem Leben habe (also ein Publikum habe). Ich habe da so einige Vorbilder, sei es nun Bob Dylan, Lou Reed oder Neil Young, die sind schon Ende fünfzig (ich bin erst Mitte vierzig) und die machen das immer noch. Das macht mir Mut. Solch eine Position würde ich gerne einnehmen.

Andrea Göbel, German RockNews, September 2000

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