|
|
|
Naß und warm beginnt der Tod
Heinz Rudolf Kunze macht sich Gedanken über Deutschland und zieht in neuen Songs Bilanz
Äußerlich gleicht Heinz Rudolf Kunze heute dem späten Rainer Werner Fassbinder. Flusen am Kinn und eine etwas aus der Form geratene Körperfülle. Wer sich an ihn noch als den Strahlemann im weißen Buddy-Holly-Anzug erinnert, wird die Veränderung vielleicht beängstigend finden. Welche Seite des einst als "Oberlehrers" titulierten Rock-Intellektuellen kommt da zum Vorschein? Und warum? Sein jüngstes Album heißt Korrekt und wirft sich trotzig allen Verwahrlosungstendenzen entgegen und all jenen, die das Leben auf die leichte Schulter nehmen wollen.
Kunze ist ein widersprüchlicher Mensch. Seine metaphernreichen und manchmal bis zur Unverständlichkeit verdrechselten Wortspiele wollen gleichzeitig in die Tiefe gehen und sich im Lack aufpolierter Oberflächen spiegeln. So kann man seine Texte, die vor kulturgeschichtlichen Anspielungen strotzen, tatsächlich für Katheder-Reden halten. Aber das trifft nicht den Kern. Sie hadern mit dem Dilemma des Außenseiters, der auf allgemeinverständliche Floskeln zurückgreifen muß und zugleich über das Außergewöhnliche sprechen will. Es gibt keinen, in einer Szene gewachsenen Konsens, auf dessen Vorverständnis sich der eigenwillige Rockpoet verlassen könnte. Es hat sie nie gegeben. Daß er für sein zweites Album Eine Form von Gewalt den Deutschen Schallplattenpreis erhielt und mit einem Song wie Dein ist mein ganzes Herz Mitte der achtziger Jahre einen großen Erfolg feiern konnte, hat zu dem Mißverständnis geführt, Kunze singe über die Bedürfnisse der Massen. Zwar hat er sich auf jedem seiner seit 1981 entstandenen 19 Alben mit den Problemen der Zeit beschäftigt, doch seine verstiegenen Zeitgeist-Parodien bedienten sich häufig eines intellektuellen Jargons. Auch auf seinem jüngsten Werk sind Formulierungen zu finden wie: "Wo der Mensch sich öffnet / naß und warm und rot / endet die Person / beginnt der Tod." Eine Angst, die den verschlossenen Skeptiker Kunze tatsächlich zu bewegen scheint.
"Ich glaube nicht an das Gute im Menschen und an die Verbesserbarkeit der Welt", gibt er zu. "Ich bin ein Pessimist, der sich allerdings freut, wenn er sich geirrt hat." Was offenbar selten geschieht. So verbindet ihn mit Denkern wie Ernst Jünger, Peter Handke oder Botho Strauß, "daß sie nur an den einzelnen glauben und ein positives Verhältnis zu dem Wort Elite haben. Außerdem ist ihnen das Heilige nicht grundsätzlich suspekt. Daß sie nach dem hohen Ton suchen, bewundere ich." Ob er selbst auch nach diesem Ton suche? "Ich glaube, manchmal finde ich ihn sogar", ist seine Antwort.
Man darf sich nicht wundern, in ihm auch einen Verehrer Martin Walsers zu treffen, der sich gegen die inflationäre Verwendung von Holocaust- oder Auschwitz-Metaphern wendet. In Der Wald vor lauter Bäumen sieht er sich als "trostlosen Erben" der deutschen Geschichte: "verdammt zum Gedenken / sind wir geboren zum Sehn / flügellahm unter Geschenken / Toter, die uns überstehen." Kunze ist sehr empfindlich für die Selbstverrenkungen der deutschen Gemütslage, die ihr gestörtes Bewußtsein verleugnet. "Eigentlich kann man sagen, daß der letzte Führerbefehl Erfolg gehabt hat. Hitler hat ja vor seinem Ableben bekanntlich noch verkündet: Deutschland habe nicht verdient zu gewinnen und müsse sich deshalb selbst zerstören."
Das aktuelle Album, dessen Songs er wie üblich in Zusammenarbeit mit dem Gitarristen Heiner Lürig komponierte, zieht eine Bilanz. Ihn habe die Frage beschäftigt, sagt Kunze, "wie das verblichene Jahrhundert nach der Jahrtausendwende betrachtet, wie schnell sich das Vergessen einstellen wird und die Verbrechen verharmlost oder glorifiziert werden. Oder anders gefragt: Wann erleben wir das erste Hitler-Musical?" So ist Korrekt ein Klang-Gedächtnis, das an die besseren Seiten der Rock-Opulenz aus den Siebzigern anzuknüpfen versucht - die frühen Genesis und Roxy Music. Er wolle an die Grenzen des "schrecklichen Deutschrock-Etiketts" gehen, auch wenn er sein Publikum mit Einflüssen belaste, auf die es nicht vorbereitet ist. "Ich habe zu Pur ein Verhältnis wie Lou Reed zu den Eagles", erklärt er. Lou Reed fällt ihm auch deshalb ein, weil sich dessen Karriere, trotz ständiger Auf- und Abbewegungen, doch immer fortgesetzt hat. Irgendwann beginnt man vielleicht, die Kontinuität zu achten.
|
|