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1999

Heinz Rudolf Kunze: "Es wird langsam normaler, daß es Popmusik mit deutschen Texten gibt."

Streitbarer Geist

Blitzgescheite Ideen: Heinz Rudolf Kunze über seine neue Songkollektion "Korrekt"

"Ein glühender Optimist bin ich nicht, ich rechne meist mit dem Schlimmsten und freue mich, wenn es nicht eintrifft", sagt Heinz Rudolf Kunze. Seine Skepsis bekämpft der 42jährige mit einem enormen Arbeitspensum: Soeben erschien seine neunzehnte Platte Korrekt, und jüngst beendete er die Libretto-Übersetzung des amerikanischen Erfolgsmusicals Rent, das gerade in Düsseldorf Premiere feiert.

In den Jahren zuvor hatte er fünf Bücher veröffentlicht sowie mit Sternzeichen Sündenbock (1991) und Der Golem aus Lemgo (1994) zwei literarische CDs aufgenommen. Kunze ist Workaholic, für ihn ist permanentes Schaffen Normalzustand. "Bei mir entstehen halt viele Sachen. In dieser Hinsicht ähnele ich eher Frank Zappa und weniger Marius Müller-Westernhagen, der sich mit einer Platte drei Jahre Zeit läßt. Ich erzeuge Musik und Texte schnell, das will ich nicht unterdrücken." Der Rock-Poet steckt sich noch einen Zigarillo an und fährt fort: "Aber auch ich muß auf Einfälle warten, lauern darauf, daß der Moment richtig ist und werde ziemlich nervös, wenn mir drei Wochen nichts einfällt."

Korrekt, die jüngste Schöpfung des Mannes mit der markanten Brille, fließt geradezu über von blitzgescheiten Ideen. Geblieben ist auch Kunzes Neigung zum musikalischen Zitat. Der Wahl-Hannoveraner, der Abertausende von CDs besitzt, arbeitet gerne mit Versatzstücken seiner Favoriten. Auf Korrekt befindet sich zum Beispiel der Titel Die Peitschen: "Es war ein langer Lebenstraum von mir, eine Nummer über zehn Minuten zu machen, die auf einem Akkord basiert und "Sister Ray" von Velvet Underground antwortet. Im Gegensatz zu früheren Werken befaßt sich die Platte auch mit elektronischen Einflüssen, das Stück Mörderballade nickt in Richtung Rammstein. "Ich habe die Jungs kennengelernt nach ihrem Auftritt in Hannover, und wir hatten einen ganz herzlichen Kontakt. Ich habe mich sehr darüber gefreut, daß mir der Gitarrist gesagt hat, er sei mit meinen Platten aufgewachsen."

Ein Evergreen wie Dein ist mein ganzes Herz ist indes auf der neuen CD nicht auszumachen. Ist dieser Hit für Kunze Segen und Fluch zugleich? "Ja, es tut ein bißchen weh, wenn man sein Leben lang auf eine Nummer festgenagelt wird. Andererseits hat sie viel Gutes bewirkt und das Publikum sehr erweitert."

Der Vater einer elfjährigen Tochter und eines dreizehnjährigen Sohnes legt Wert auf ein harmonische Familienleben. Im Prinzip hasse er Spießer, sagt er, doch in ihm selbst gebe es auch "den Spießer. Er ist das Gegengewicht zu dieser verrückten Arbeit, die ich betreibe. Ich brauche mein Privatleben, damit ich in Ruhe sortieren kann, was mir in der Unruhe eingefallen ist."

Kunzes Harmoniesucht hat freilich Grenzen. Obwohl er sich nicht mehr zur Quote für deutsche Pop-Musik im Radio äußert, ist der Rock-Literat ein streitbarer Geist geblieben. Bei der herrschenden Diskussion zwischen Bubis und Walser ergreift er klar Partei: "Walser bekommt ähnliche Ohrfeigen wie ich, wenn ich mich für deutsche Identität einsetze. Ich stelle Fragen wie: Wer sind wir denn eigentlich? Wo stehen wir? Was fangen wir mit uns an? Wie können wir die Geschichte anerkennen und trotzdem nach vorne gucken? Die gleiche Frage stellt er ja auch. Ich bin stolz auf seine Ohrfeigen."

Doch es gibt auch Streicheleinheiten für den studierten Germanisten, als Mitglied des "Musikalischen Quintetts" auf dem TV-Sender VH-1 wurde er von der Kritik hochgelobt. "das waren schöne Jahre. Wir haben es sehr bedauert, daß der Sender finanziell nicht mehr in der Lage war, das weiter zu betreiben. Ich empfinde es als Schande, daß es eine solche Diskussionsrunde in Deutschland nicht gibt."

Insgesamt sieht Kunze eine positive Zukunft für populäre Musik in deutschen Landen: "Es wird langsam normaler, daß es Popmusik in deutscher Sprache gibt. Das ist keine Mode und keine Zeiterscheinung, da ist etwas auf die Schiene gesetzt worden und diese Schiene führt weiter."

Henning Richter, Berliner Morgenpost, 10. März 1999

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