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1998

Heinz Rudolf Kunze las rasend faselnd an der Heimatfront

Hundert Gäste bei einer Lesung im Haus des Buches

Ist Heinz Rudolf Kunze nur der schlankere Guildo? Schlagersänger haben immer recht, textet Deutschrock-Musikant Kunze, verbeugt sich vor Roy Black und reimt sich ein Panoptikum zeitgenössischer Fratzen zusammen – die hab' ich alle alle lieb. Nach Birmingham wollte Kunze diesen tollen Refrain aber nicht tragen. Der Mann mit der sonderbaren Sehhilfe auf der Nase kämpft lieber rasend faselnd an der Heimatfront. So heißt ein Buch, in dem Kunze sich am deutschen Wesen abarbeitet, mal kalauernd, mal mit der Haßkappe auf, mal delirierend-alliterierend ("klimakterische Kaplane"). Gar nicht schlecht! Fanden hundert Leute im Haus des Buches, denen Heinz Rudolf das Manna seiner gesammelten Ekelzustände brachte.

Angenehm, da Kunze sich einen Dreck um wohlkomponierte kabarettistische Nummern schert. Er schlägt einfach mitten rein, ohne Vorwarnung. Zu seinen Feindbildern gehören Baumärkte, die achtziger Jahre, Fernsehküche, Ewald Lienen, Doppelnamen, Handys, der TV-Werbeblock beim Tennis und linkes Gutmenschentum. Dieses ist von "läufigen Bekenntniskatzen" zu vernehmen. Wie wir sehen: Kunze bastelt gern irre Wörter, die schweinisch oder blödelnd ausfallen, je nach Laune und Formkurve. Da rutscht ihm der "Bundesgrinsschutz" heraus, der nach dem "Abbau der Selbstschuldanlagen" und soweiter. Zahnlos. Auch manch zerquält-banale Nabelschau steht recht nackt herum, wenn halt keine Klampfe mitspielt.

Mutmachend aber die Philosophie des bekennenden Langschläfers Heinz Rudolf Kunze: "Man hat dann einfach weniger vom Tag!"

svc, Leipziger Volkszeitung, 16. Mai 1998

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