Cover der DVD-Box "In alter Frische"

2010

Tschad-Erfahrung

Angst, auch um mein Leben, hatte ich an jedem der acht Tage empfunden, die ich mit der Welthungerhilfe in Afrika verbrachte. Mutlos aber wurde ich erst, als ich wohlbehalten heimgekehrt auf einer Pressekonferenz in Bonn saß und mir die Gesichter der Journalisten anschaute. Entnervte, gelangweilte Faktenfleischwölfe. Nicht einer war darunter, der noch einen Funken Neugier für erlebte Einzelheiten aufbrachte. Unsere Reise in den Tschad war nichts weiter als ihr "Aufhänger".

Man fragte uns pflichtschuldigst nach unseren Eindrücken. Sobald diese aber persönlich wurden, schrieb keiner mehr mit. Zahlen, Konzepte, globale Absichtserklärungen waren das, was die Stifte und Kassettenrekorder in Bewegung brachte. Die daheimgebliebenen Funktionäre der Hilfsorganisation mit ihren vorbereiteten Statistiken und Infos konnten problemlos den allzu mäßigen Appetit der Papiertiger stillen. Augenzeugen waren nicht gefragt.

Aus diesem Grund möchte ich gar nicht von Dingen berichten, die man nachlesen kann, und dadurch nur umso zuverlässiger vergißt. Ich möchte die zwölf Stunden Fahrt mit dem Landrover erwähnen, die man von der Hauptstand N'Djamena bis zum Lager Ati benötigt, und das Gefühl bei der Ankunft zwölf Stunden lang zusammengeschlagen worden zu sein.

Ich möchte den Moment beschreiben, in dem wir im Sandsturm auch die letzte Wagenspur aus den Augen verloren und eine viertel Stunde lang allesamt nicht wußten, wie es mit uns weitergehen würde.

Ich möchte den Präfekten von Ati schildern, der uns beherbergte. Ein massiger Schwarzer, der uns höflich aber auch eine Spur amüsiert aufnahm und sein Gästehaus anwies. Einen stickigen Bau, in dem sich nur ein einziger Gegenstand befand, eine handgroße Spinne.

Ich möchte meine Müdigkeit mitteilen, denn Schlaf wollte mir in keiner Nacht recht gelingen. Das Lager war nur fünf Minuten von der Residenz entfernt und sobald ich mich hinlegte, konnte ich nicht aufhören zu denken, jetzt kommen sie und holen das wenige, was zu finden ist.

Und ich möchten den Weg durch das Lager nachzeichnen, in dem 12.000 Menschen hausen, hauptsächlich Frauen, Kinder und alte Leute, um ihr menschliches Maß gebracht und reduziert auf die Erkennbarkeit von Termiten. Ati ist noch nicht einmal eines der schlimmsten Lager, wurde uns versichert. Hier sterben weniger Leute als anderswo und es kann sogar sein, daß man nach den aus dem Fernsehen bekannten aufgeblähten Hungerbäuchen eine Weile suchen muß.

Ich habe es recht lange unbeschadet ausgehalten in Ati. Ich habe die Bilder verglichen mit denen der Tagesschau und konnte immer wieder sagen, ihr habt also recht. Aber wenn die Lebensmittelverteilung beginnt, formiert sich eine disziplinierte Menschenschlange, die soviel länger ist, als die auf den Bildschirmen, daß Scham und Schrecken nicht mehr vergleichend und weckgesteckt werden können. Die Soldaten prügeln einen zügigen Rhythmus in die Verteilung hinein. Es bleibt ihnen auch gar nichts anderes übrig, denn es gibt immer zu wenig und zeigten sie einmal Schwäche wurde alles in Stücke gerissen.

Einen einzigen kleinen Jungen haben sie nicht geschlagen, ich weiß nicht warum, und der brachte mich dann doch noch aus der Fassung. Er saß auf der Matte, auf der das Getreide ausgeschüttet wird und nahm langsam wie in Hypnose Körner in seine Faust und steckte sie sich in den Mund. Ich kam dazu und hockte mich neben ihn. Da sah er mich an und gab mir von seinen Körnern ab. Niemand störte uns, niemand schien uns im Getümmel zu bemerken. Einen Augenblick lang waren der Junge und ich ganz allein. Ich weiß nicht mehr wie sein Gesicht aussah, ich würde ihn niemals wieder erkennen. Er war schwarz und hatte krause Haare, wie alle anderen Kinder auch.

Unbedingt möchte ich die Leute erwähnen, die vor Ort im Tschad die Arbeit tun. Man hört viel von Äthiopien und vom Sudan, aber das der Hunger weiter wandert, wissen die wenigsten. Auch im Tschad sitzen junge, überarbeitete Ärzte, mit fieberkranken, aufgedunsenen Gesichtern, die einfach weiterarbeiten, weil es sonst keiner tut. Auch durch den Tschad rollen unter schwierigsten Bedingungen Transporte, geführt von mürrischen, wortkargen Scouts, wie Wolfgang Nierwetberg, die ohne viel Wirbel davon zu machen mehr Gutes tun als mancher prominente Maulheld.

Auch der deutsche Botschafter ist in diesem Zusammenhang zu nennen, eine kundige, donnernde Figur, von dem Kaliber, daß man mittlerweile im Bundestag so schmerzlich vermißt. Zum Schluß der vergebliche Versuch die Farbe grün zu beschreiben, wie sie sich in den von der Welthungerhilfe angelegten Projektgebieten mühsam aus dem Boden kämpft und den Stolz der Leute, denen man einen Weg heraus aus dem Lager ermöglicht hat, die nun ihre eigenen Felder bewässern und bearbeiten. Das Elend Afrikas ist beschreiblich aber dieses Grün ist unbeschreiblich.

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