Cover des Buches "Heimatfront"

1997

Ameisen

Man füttert eben nicht ungestraft
eine Fluggesellschaft mit Löffeln.
Es bleibt halt nicht ohne Folgen,
wenn man mit dem Blick eines von
niemandem politisch Verfolgten kahle
Bäume anstarrt, als ob sie etwas
dafür könnten, daß sich der Frühling
Jahr für Jahr mehr und mehr verspätet
wie eine persische Schülerin Tag für
Tag in ihrer deutschen Schule, ihren
Zynismus gegenüber ihren duckmäuserischen
linken deutschen Lehrern so blank vor sich
hertragend, wie sie den Rest ihres Wesens
verhüllt. Keine Interviews mit Geistlichen
mehr! Jesus hatte Schuppen, Angelus Novus
hat es gewußt. Keine moderne Musik mehr,
keine Ausreden, keine Bewegung. Ameisen
sind die unaufdringlichen Herren der Welt.
Derjenige (oder diejenige), der (oder die)
als nächster (oder nächste) »Bürgerinnen
und Bürger« oder »Wählerinnen und Wähler«
sagt, sollte mit einer Maschinengewehrgarbe
aus unserem Augenmerk gefegt werden, und zwar
unverzüglich, denn er (oder sie) gehört in den
Himmel, sofort. Der Synchronsprecher von
Captain Kirk klingt heutzutage, als
peinige ihn ein unaufhaltsam anschwellender
Kropf. Der Synchronsprecher von Mister
Spock dagegen wirkt nach wie vor so auffällig
rüstig, als mache er einmal jährlich eine
Körnerkur in Vulkanien, faszinierend.
Keine Talkshows mehr, keine Weihnachtsgrüße,
überhaupt keine Post, und keine Zusammenhänge.
Bloß keine Zusammenhänge. Nur noch bellende
Hunde. Eigentlich nur noch bellende Hunde.
Abgesehen von den Schaulustigen, Schaulustige
sind wichtig, und Gitarren. Kein Wenn und
Aber, da darf man sich nicht irremachen lassen,
am allerwenigsten von Panflötenspielern.
Panflötenspieler, wenn ich das schon höre.
Allesamt rumänische Kokainschmuggler,
die klammheimlich zwischen dem Pusten aus ihren
Flöten inhalieren. Was wunderts, daß man sich
einsam fühlt, wenn man immer in Strümpfen geht
und sich Kopfschmerztabletten ins Joghurt bröselt.
Und wenn man sich zu viele Reportagen über junge
Schauspielerinnen ansieht, die mit ihren
hinreißenden nackten Beinen und ihren atemberaubenden
nackten Füßen nachdenklich an Stränden entlang
spazieren und verkünden, sie hätten jetzt genug
Männer erlebt, die ihre triebhaften Hörner in ihnen
wundgestoßen hätten, doch langsam trete das Wesentliche
im Leben immer deutlicher hervor, dann sieht man auf die
Dauer eben zwangsläufig aus wie peinliche alte irische
Folkmusiker, dann kriegt das Gehirn einen Vollbart,
dann trägt die Seele Rollkragenpullover,
das hat man sich dann selber zuzuschreiben.

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