Titelseite von "Papierkrieg"

1992

Vorwort von Peter E. Müller

Er mischt sich ein. Er macht betroffen. Ohne aus Mücken Elefanten zu machen, piekt er mit dem geschärften Blick eines hellen Kopfes die kleinen Mißgeschicke des Lebens auf, die doch so typisch sind für die großen Katastrophen dieser Welt. Die grassierende Beliebigkeit der zeigenössischen Unterhaltungskultur, einer Kultur, die ja auch die seine ist, läßt ihn nicht still sein; läßt ihn eben nicht mit den Wölfen heulen. Er spricht und singt Klartext, doch seine Texte sind alles andere als pflegeleichtes Fast-Food im Vorüberhören. Daß sie dennoch zu Hits wurden im Land, das einst jenes der Dichter und Denker getauft wurde, spricht für sie und spricht für Heinz Rudolf Kunze.

An ihm wird auch herumgekrittelt. An ihm wird herumgenörgelt. Es kann doch nicht angehen, daß im trendhörigen Musik-Busineß einer daherkommt und elendlange Texte schreibt, die zum Zuhören zwingen. Und dann aber wieder Popsongs zu schaffen weiß, die ins Ohr gehen. Und der Konzerte gibt, die bis auf den letzten Stehplatz ausverkauft sind. Und sich vor keinen Polit-Karren spannen läßt, obwohl er sich politisch durchaus engagiert. Daß er mit seinem Werk nicht nur eine Schleppe aus Friede, Freude, Eierkuchen hinter sich herzieht – auch das spricht für Heinz Rudolf Kunze.

Heinz Rudolf Kunze war schon immer der Kuckuck im Nest der deutsch gesungenen Unterhaltung. Beim Pop-Nachwuchsfestival der Phonoakademie in Würzburg saß der damals 24jährige am Klavier und machte strophenreich Bestandsaufnahme einer kranken bundesdeutschen Wirklichkeit. Ein Jahr darauf, mit Erscheinen seiner ersten LP Reine Nervensache, traf ich ihn zum ersten von vielen Malen im Gespräch als einen stillen und bedächtigen Grübler, der Lehrer werden wollte oder vielleicht auch Philosoph, dann aber doch kopfüber ins Showgeschäft stürzte. Zum Glück. Kein deutschsprachiger Interpret hatte sich in den Jahren zuvor getraut, so unverblümt poetisch und doch direkt auf den Punkt zu bringen, was viele bewegt. Und der Mann hat einen großen Pluspunkt: Er hat bei allem schwerem Mut einen gesunden, frechen, bissigen Humor.

Er ist ein Typ, der das Leben liebt, der aber die Augen nicht verschließen kann und will vor den Fallen des Daseins, vor unseren Unzulänglichkeiten, die dieser Erde so schwer zu schaffen machen. Das hat ihm schnell den Ruf des nörgelnden Niedermachers eingebracht, obwohl er eher ein poetischer Betroffenmacher war – und ist. Liedermacher hat man ihn hilflos genannt, obwohl er doch von Anfang an ein Rockmusiker auf der Suche war. Randy Newman, die Talking Heads oder Wire waren ihm damals näher als die ganze deutsche Liedermacher-Vergangenheit.

Als er sich Mitte der achtziger Jahre von seiner alten Band trennte und mit Gitarrist Heiner Lürig frischer Wind durch das musikalische Gerüst pfiff, waren die Weichen hörbar gestellt. Heinz Rudolf Kunze wurde zu einem der erfolgreichsten deutschen Rockstars. Er avancierte vom "Geheimtip für depressive Naturen" zum Entertainer eines Massenpublikums, das seine intellektuellen Sarkasmen mit Lust goutierte. Riesenepen wie Bestandsaufnahme oder auch Die Fütterung verschwanden aus dem Programm. "Das, was ich mitteilen möchte über die Welt läßt sich glücklicherweise auch in der kleinen Dreieinhalb-Minuten-Popform ausdrücken" erkannte der Osnabrücker. Aus diesen Jahren seit 1986 stammen auch die Lieder und Texte dieser Sammlung.

Zu den schönsten, oft unwiederbringlichsten Momenten in seinen Konzerten voller rockiger Power und kraftvoller Worte gehören, und sicher nicht nur für mich, die gesprochenen Texte zwischen den Songs; keine tumben "Und jetzt kommt"-Ansagen, sondern lyrische und literarische Sticheleien im Zeitgeist, zynische und wortgewandte Observationen deutscher Befindlichkeiten, sarkastische und krasse, aber auch überaus komische Szenarien menschlicher Unzulänglichkeiten. Erst, wenn man im Konzert beispielsweise die kurzen, beklemmenden Zeilen Herr und Hund gehört hatte, konnte man das darauffolgende Lied vom Kadaverstern wirklich begreifen.

In diese Texte hat er auch sein literarisches alter ego hineingeboren: Kilian, den Kronzeugen gegen Deutschland, der sich über deutsche Autos wundert, die offenbar alle den selben Rostfleck haben. In diesen Texten wird Heinz Rudolf Kunze auch in eigener Sache aktiv und bricht den Zeigefinger, der ihm immer so gern vorgeworfen wird. Musik und Politik gleich Besserwisserei? "Einspruch, euer Ehren!" heißt es da. "Es gibt nämlich Leute, die tatsächlich einiges besser wissen als andere Leute. Und wenn sie das verschweigen, sind sie Schreibtischmittäter der galoppierenden Blödheit."

Wenn Popmusik-Texte, und nichts anderes ist es, was Heinz Rudolf Kunze auf seine Art ersinnt, heutzutage so etwas wie literarischen Bestand haben können, wenn sie das Zeug dazu haben, das schnellebige Jetzt zu überdauern, gehören Kunzes kritische Anmerkungen zur Zeit mit Sicherheit dazu. Sie können auch schwarz auf weiß, ohne akustisches Beiwerk, überzeugen. Das untermauert dieses Buch nachhaltig.

Berlin, Juni 1992, Peter E. Müller

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