Heinz Rudolf Kunze und Wolfgang Stute mit "Bockwurst und Schadenfreude"
Bockwurst und Schadenfreude! Ein ungewöhnlicher Titel für ein Programm – selbst für Heinz Rudolf Kunze. Dahinter steckt eine nach oben offene Lesung, die viel mehr beinhaltet als nur die Texthighlights der letzten Jahre: Eine musikalische Begleitung überraschend virtuoser Art durch Manager und Wegbegleiter Wolfgang Stute und eine Reihe von quasi unplugged vorgetragener Balladen, bei denen so manch eingefleischter Fan sehr erfreut ist, diese einmal live zu hören.
Am 13. Januar 2006 ist die Empore zu Buchholz in der Nordheide gut besucht. Auf der Bühne befinden sich die Gitarren der Meister, Percussiongerät für Herrn Stute und ein vorbereiteter Tisch mit einem Wasserglas ohne Kohlensäure für Herrn Kunze.
Pünktlich um 20 Uhr betritt Wolfgang Stute die Bühne und erklärt den gespannten Zuhörern kurzweilig und witzig den Ablauf des Abends. Am Ende wird HRK sich an einen kleinen Tisch setzen und alles unterzeichnen, was man ihm entgegenstreckt, wie Wolfgang Stute in Aussicht stellt. Das hält natürlich von Beginn die Leute bei Laune. Zunächst allerdings beginnt Stute mit einem langen Gitarrenintro. Das klassische Gitarrenspiel ist das, was der Manager beherrscht. Gut gelaunt betritt nun auch HRK die Bühne und lobt die Flamencofinger seines Partners. Folgerichtig heißt dann der erste Lesetext von Heinz "Introduktion2, welcher auch sein aktuelles Buch Artgerechte Haltung eröffnet. Aus diesem Werk folgen nun weitere Texte. Kunze spielt dabei immer wieder mit der Endlichkeit des Seins in Kombination mit menschlichen Peinlichkeiten. Er beschreibt die "Letzten Sekunden der Menschheit" und fordert "Schluß mit dem Gejammer".
Das Spiel mit dem Geschlechtsspezifischem ist ihm eigen und er nutzt mit dem Text "Die Frauen" auch jede Gelegenheit, die Männer mit aufs Korn zu nehmen. Trotz artifizieller und verschroben dem Kunze typischer Formulierungen ist das Publikum gut unterhalten und besonders an den Stellen amüsiert, wo es sich wiederfindet. Zum Beispiel auch, wenn es um den Beruf des "Nichtrauchers" geht, der nicht mit dem Passivraucher verwechselt werden will und nach Dienstschluß Kette qualmt und als Hobby dem Antialkoholismus frönt.
Kunze liest lange, an diesem Abend besonders, dies ist bei "Bockwurst und Schadenfreude" von Auftritt zu Auftritt verschieden. An jenem 13. Januar in Buchholz signalisiert das Auditorium ungewöhnliche Aufnahmebereitschaft. Es folgen noch Texte wie "Baby an Bord" oder "Blietsching" – dabei geht es um das Weissen von Zähnen und somit um Eitelkeit. Er bekennt sich als Fan von Dailysoaps wie "Reich und schön" und bietet literarische Verarbeitung. Er mutmaßt, dass die Bundeswehr künftig „Bundesagentur für Peng Peng“ heißen würde. Nach dem Sprechtext Die geilen Achtziger folgt dann der erste Teil wunderschöner HRK Balladen, welche das Duo Kunze/Stute darbietet.
Manchmal ist dabei und auch das Naherholungsgebiet von der Rückenwind-Platte. Auf der damaligen Tour war es nicht im Programm und wurde vermisst. Heinz wechselt die Gitarre und es gibt eine langsame Version von Die Wahrheit vom letzten Hemd, die eben nicht so klingen soll, als sei der junge Berthold Brecht bei Police eingestiegen. Das Ultimatum von 1982 ist die tragische Zurücknahme der Schöpfungsgeschichte in sieben Tagen und nach Kunzes Worten genauso lustig wie Thomas Bernhard. Dem folgt Ende mit Dir – also das gleiche Thema, nur aus dem aktuellen Album Das Original. Nach guten 90 Minuten ist erst einmal Pause.
Fünfundzwanzig Minuten später geht es weiter.
Nach einem zweiten musikalischen Intro per Percussion und Gitarre (Kunze: Für einen kleinen Moment wird Buchholz zur Soulhauptstadt der Welt) folgt eine kleine Gesangseinlage des HRK zum Thema Demokratie. Er beschreibt desweiteren, dass er seine Hose begraben habe und bietet gleich anschließend Miniaturen aus dem deutschen Nachtleben.
Das "Älterwerden" beschreibt HRK zum Beispiel so: "Die Frage, ist das Glas halb voll oder halb leer, ist falsch gestellt, wenn sich das Glas bei näherem Hinsehen als Schnabeltasse erweist." Bei solchen Sätzen ist freilich jeder im Publikum irgendwie sehr betroffen. In einem weiteren seiner Texte beschreibt er "Kassel", eine durchschnittliche Stadt, welche Hans Eichel hervorgebracht hat. Sehr schön ist auch ein Dialog eines skandinavischen Paares, von Heinz mit wechselnder Stimmenhöhe vorgetragen. Das Kunststückchen heißt "Norwegische Romanze". Er schließt den Lesepart des zweiten Teils mit Hochzeitstag.
Wieder greift HRK zur Gitarre, um noch ein paar lange Balladen und Songs mit Wolfgang Stute vorzutragen. Sehr privat ist das Stück Brille, einer der Klassiker dieses Abends. Es folgt Sex mit Hitler und ein Stück von der ersten Platte, das ein Industriegebiet im Süden Nürnbergs namens Langwasser beschreibt: Balkonfrühstück.
Fetter alter Hippie und Aller Herren Länder beenden den offiziellen Teil von "Bockwurst und Schadenfreude". Das Publikum fordert noch eine Zugabe, die folgt dann auch prompt mit Ich steh dir bei. Zum Abschluss gibt es noch ein besonderes Schmankerl. Möglicherweise ein Walzer lässt die Buchholzer und Buchholzerinnen in die Nacht tanzen, zumindest gedanklich. Die Musik ist von Hermann van Veen, der Text natürlich von HRK.
Nach weit über drei Stunden inklusive Pause stellt sich Heinz Rudolf Kunze noch den Fragen und Autogrammwünschen seiner Fans. Dieser Abend in Buchholz ist ein Beweis dafür, dass Lesung und Musik und Lieder zusammengehen.
Ein sehr lohnenswertes Konzert-Leseerlebnis und ähnliches, wenn auch immer wieder ganz anders, wird in 2006 folgen.
Matthias von Schramm, Januar 2006
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