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Wenn alles vibriert – „Ich bin nur der Postbote. Auf den Brief kommt es an“
CS: Wie sind Sie groß geworden?
HRK: Ich bin in einem Flüchtlingslager auf die Welt gekommen und nach drei Monaten weggezogen. Ich habe keinerlei Erinnerung an Espelkamp. Ich stamme aus dem Osten, da wurde ich noch gezeugt. Und rein zufällig kam ich in Espelkamp auf die Welt. Nach drei Monaten sind die Eltern weggegangen und relativ oft in Nordwestdeutschland umgezogen, bis ich dann mit ihnen in Osnabrück hängen geblieben bin. Da habe ich den größten Teil meiner Kindheit und Jugend verbracht und bin dann auch als Musiker noch ein paar Jahre da geblieben, 1988 aber auch schon weggegangen nach Hannover, wo ich jetzt lebe.
CS: Sind Sie ein Vertriebener, nirgendwo Gebliebener, wie Sie in einem Lied singen?
HRK: Das ist wahr. Das ist ein Lied, das ich gemacht habe, genau wie das Lied ‚Brille’, wo ich einfach mal reagiert habe auf die vielen Fragen. Wo bist denn Du aufzufinden in diesen Texten? Du maskierst dich so oft, du nimmst Rollen ein, und du schilderst Leute, manchmal bist du eine alte Frau in einem Lied oder ein kleines Kind. Gibt es denn auch mal private Äußerungen in Liedform? Und deshalb hab ich so gesagt: Na klar – und dann habe ich Vertriebene gemacht und dann später Brille. Das sind sehr persönlich zutreffende Sachen, das ist so passiert. So war’s.
CS: Warum singen Sie in Kirchen?
HRK: Da ich durchaus gerne viel spiele, ist eben die kleine Besetzung eine Möglichkeit, auch in kleinen Orten vorzukommen. Und darum machen wir das. Es hat keine religiöse Bedeutung.
CS: Auf einem Ihrer Plattencover steht ein Zitat von Fernando Pessoa: „Wenn das Herz denken könnte, stünde es still“. Was verbinden Sie mit dem Satz?
HRK: Offenbar ist das Herz für Pessoa ein sehr wichtiges Organ. Und wenn das Herz, so verstehe ich den Satz, nicht nur fühlen könnte, also die Aufgaben des Gehirns noch übernehmen würde, dann würde es vor Schreck still stehen.
CS: Woran hängt Ihr Herz?
HRK: Woran mein Herz hängt, ist schwer zu beantworten, und hat mit meiner Arbeit wenig zu tun. Woran mein Herz hängt, ist im Grunde eine private Frage. Und in meiner Arbeit blute ich mich ja nicht privat aus, sondern ich bin ja Erfinder, Autor von Beruf, und ich lege großen Wert darauf , dass man genau darauf achtet, dass man nicht alle Meinungen, die in meiner Arbeit auftauchen, für meine Meinungen hält. Ich erfinde auch manchmal Rollen und bringe einfach Charaktere zum Sprechen, die ich mir ausdenke oder die ich irgendwo gesehen und aufgeschnappt habe und die von alleine nicht reden würden. Also man muss sehr genau hingucken und das einzeln abklopfen, wo meine persönliche Meinung drin steckt, die ich auch gar nicht für so wichtig halte. Die Texte sind eine Collage, aus dem was ich meine, aus dem, was mir wichtig ist und dem was mir auffällt, was ich um mich herum entdecke an Haltungen, an Wertvorstellungen und die bringe ich eigentlich in die Schwebe. Deshalb habe ich auch manchmal sehr böse Texte dabei.
CS: In Ihren Texten entdecke ich immer wieder religiöse und theologische Bezüge. Können Sie etwas dazu sagen?
HRK: Ich glaube, die Frage nach den religiösen Bezügen kann man ganz einfach beantworten. Wenn man sich viele Jahre mit der Dichterei herumschlägt, dann kommt man an der Bildwelt der Theologie, der Bibel gar nicht vorbei. Das ist ja selbst Brecht so gegangen, der ja auch die Bibel als sein Lieblingsbuch bezeichnet hat und der nun wirklich knochenharter Atheist war und Materialist und Marxist. Aber als Dichter ist man einfach immer wieder magnetisiert von diesen Urgeschichten, die da drin stehen. Es gibt wahrscheinlich wenig in der Weltliteratur – außer Shakespeare – wo menschliche Grundkonstellationen abgebildet sind wie in den biblischen Geschichten, das sind Urtexte des allgemein Menschlichen, die man eigentlich in jedem Jahrhundert wieder neu aufgreifen kann, mit neuem Leben füllen kann. Das sind menschliche Grundmodelle. Und wenn die nicht mehr funktionieren, wenn die auf keine Resonanz mehr stoßen, bei jüngeren, nachwachsenden Generationen, dann hat die Welt sich nichts mehr zu erzählen. Der Mensch lebt vom Erzählen. Ich glaube, man kann ohne zu überspitzen sagen: Wenn irgendwann eine verblödetet Welt heranwächst, die Shakespeare und die Bibel nicht mehr versteht, dann ist das das Ende der Welt.
CS: Die Person Heinz Rudolf Kunze hat mich gar nicht interessiert (Kunze: mich auch nicht). Mich haben Ihre Texte an wichtigen Stationen meines Lebens begleitet. Sie führen immer wieder an die Grenzen des Sagbaren. Haben Sie spirituelle Vorbilder?
HRK: Also bei den Philosophen, das habe ich ja nun studiert, gibt es ja auch einige, die an die Grenze des rational Ausdrückbaren gehen. Das hat mich schon immer sehr interessiert, ich habe aber keinen Guru, keine Leitfigur. Ich bin da eigentlich sehr breit aufgestellt und breit interessiert.
Aber das mit der Person, darauf möchte ich noch einmal zurückkommen. Ich glaube, es gibt grundsätzlich zwei Typen von Sängern, die Lieder machen. Der eine Typ, der nimmt sich selber als Person sehr wichtig, die Lieder sind eigentlich nur ein Vorwand, um sich selber darzustellen. Das sind die Belmondos, da geht es um die Starqualität. Hallo, da bin ich wieder, und ich habe auch ein paar Lieder mitgebracht. Und dann gibt es die andere Abteilung, denen die Lieder wichtiger sind als sie selbst. Bob Dylan hat mal gesagt: „Ich bin nur der Postbote. Auf den Brief kommt es an“. Und die Position find ich gut. Was ich fühle, kommt nur zum Teil drin vor. Ich finde, es ist meine nobelste Aufgabe, dass ich auch Gefühle von Menschen gestalten kann, die ich nicht bin, die ich erfinde oder die ich zitiere, indem ich irgendwas aufschnappe mit spitzen Öhrchen, wenn ich im Cafe sitze. Wenn ich etwas höre, dann regt mich das an, dann bilde ich das ab. Und nur wenn einem das gelingt, hat man das Erlebnis, das man im Konzert ab und zu in den Gesichtern sieht, ja das kenne ich, dass Leute dann aufwachen und sagen: „Das stimmt. Das lag mir auch schon lange auf der Zunge“. Und er sagt’s jetzt.
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