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Man trägt Räuberzivil
Agent Provokateur: Kunze in der Stadtkirche
Pop und Poesie bildeten für Lehrer Heinz Rudolf Kunze, der 1980 einen musikalischen Nachwuchswettbewerb gewann und seitdem auf der Bühne statt vor der Tafel steht, noch nie ein Gegensatzpaar. Er will stets beides. In Rotenburg ging seine Rechnung auf: Mal raste das Publikum – mal schwieg es.
Und die stillen Momente waren natürlich die spannenderen, jene langen Sekunden nach einem zackigen Sprechtext, in denen sich alle zu fragen schienen: Meint er, was er sagt? Eine Frage, die sich wie ein roter Faden durch Kunzes Karriere zieht. Gewaltverherrlichung (Die Sprache die sie verstehen), Revanchismus (Vertriebener), Sexismus (Männergebet) – die Liste der Unterstellungen und Missverständnisse ist lang. Nein, Kunze meint natürlich nicht, was er sagt. Jedenfalls nicht immer. "Agent Provocateur“ heißt nicht von ungefähr eines seiner Bücher, glaubt keinem Sänger einer seiner besten Songs.
Es ist die Narrenfreiheit des Künstlers, die Kunze liebt und bissig gegen alle Anfeindungen der Political Correctness verteidigt. In seinem Programm Räuberzivil, das er gemeinsam mit den Musikern Wolfgang Stute und Hajo Hoffmann als Stiftungskonzert in der Stadtkirche präsentierte, drang dieses Leitmotiv immer wieder durch. Von Politikerinnen war dort die Rede, deren "ökologischer Buße-Blick einen schwul werden lässt“ und von einem entwürdigten Arbeiter, der erst ins Elend rutscht und sich anschließend lustvoll per Attentat für die Agenda 2010 bedankt. Wortverliebt lässt sich da einer treiben, lässt auch mal seinen Gewaltfantasien freien Lauf und genießt die Grenzenlosigkeit von Sprache und Kunst. "Ich darf so etwas sagen“, stellt Kunze trotzig klar, "schließlich kandidiere ich nicht für das Amt des Bundespräsidenten.“
Das Programm bot einen reizvollen Mix zwischen Sprechtexten und Unplugged-Songs und hielt dabei manches bereit, was man bis dato nirgends zu hören bekam. So hatte der Mann mit der markanten Brille Lieder im Gepäck, die im jüngsten Album Protest noch gar nicht enthalten sind. In den Sprechpassagen griff Kunze Aktuelles auf und bewies, dass die Sprachlosigkeit vieler Intellektueller gegenüber der Finanzkrise seine Sache nicht ist.
Doch auch die Fans alter Nummern bekamen was auf die Ohren, etwa die Ballade Regen in Berlin, die Kunze 1982 verfasste, und – als erste Zugabe und besonderen Leckerbissen – das von ihm live äußerst selten gespielte Stück Bestandsaufnahme. Dieses Werk könnte man fast schon als historisch bezeichnen. Jedenfalls war es Kunzes künstlerischer Urknall – just mit dem Song gewann er vor nunmehr 29 Jahren jenes Nachwuchsfestival, mit dem alles begann.
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