Protest

2009

Kunze: Der Liebesdemonstrant

Im Leben von Heinz Rudolf Kunze hat sich etwas verändert. Er ist verliebt, und er lässt sich das anmerken. In seiner Musik und in Gesprächen über seine Musik. Warum auf Protest, seinem neuen Album, das jetzt erscheint, viel mehr Liebeslieder als Protestlieder sind und wogegen er denn überhaupt protestiert? "Gegen zu viel Lieblosigkeit", sagt er und freut sich.

Grund für seine gute Stimmung ist seit zwei Jahren seine neue Lebensgefährtin Gabi, der Kunze-Hörer nun indirekt Lieder wie Einmal noch und immer wieder verdanken, eine federleichte, fast schlagerhafte Liebeserklärung ohne jegliche Ironie. Früher hätte es so was in seinen Liedern nicht gegeben. "Ich bin einer, der sich gegen deine rosaroten Pfeile echt nicht wehren kann, ich bin nun mal ein einfacher Mann", sang Kunze vor knapp 20 Jahren auf Macht Musik, und man war gut beraten, dem Sänger bloß nicht zu glauben. Und nun das.

An solch nie gekannte Offenherzigkeit muss man sich erst mal gewöhnen. Auch, dass Kunze so frei über sein Privatleben spricht. "Mich hat früher einfach niemand danach gefragt", sagt er und schmunzelt erneut, "aber ich habe auch all die Jahre ein völlig unauffälliges Leben geführt." Mittlerweile konkurriert Kunze – mit Schlagzeilen wie "Gabi gehört sein ganzes Herz" - sogar mit Boris Becker in der Leute-Rubrik der "Bunten".

Man gewinnt fast den Eindruck, dass der 52-Jährige Fragen zu sich selbst heute lieber beantwortet als zur politischen Großwetterlage, zur Wirtschaftsmoral und zum Zustand unseres Landes. Ein Kunze-Album namens Protest ohne spitze Kommentare zur Lage der Nation? Und das trotz des Che-Guevara-Plakats, das auf dem Plattencover neben Kunze in Rockerpose hängt? Der Künstler hält es mit Bob Dylan. Der hatte auf die Frage, warum er keine Protestsongs mehr schreibe, geantwortet: "Alle meine Songs sind Protestsongs." Seinen berühmtesten, "Blowin' in the Wind", hat Dylan gerade für eine Imagewerbekampagne eines britischen Handelskonzerns freigegeben. Da wehen sie hin, die alten Ideale.

Kunze sagt über seine neue Platte: "Sie soll Spaß machen." Und das sei mit "atonalen Zickigkeiten" nur schwer zu erreichen. Die hat es früher häufiger gegeben, gipfelnd in Experimentalplatten wie Wasser bis zum Hals steht mir. Nichts für den Massengeschmack, aber eine rasante Querfeldeintour durch die imposant-schräge Wortwelt des Wedemärkers. Die Sprache ist nach wie vor seine beste Freundin, an ihr kann er sich anscheinend unendlich abarbeiten.

Doch scharfzüngig geht es auf Protest nur noch selten zu. In Astronaut in Bagdad thematisiert er den Irak-Krieg, aber gefühlt kommt der Song einen US-Präsidenten zu spät. Ansonsten regiert die feine Milde – oder die feine Ironie. Dann hat Protest seine stärksten Momente: Aber Menschen?, fragt der Mensch, der die Dinge ihrer Verbindlichkeit wegen liebt. Selbst ist die Zerstörung ist ein gitarrenlastiges Endzeitgemälde und Du bist so süß ein genüsslicher Feldzug gegen Dummheit. Und in der träumerisch-philosophischen Selbstbespiegelung Auf einem anderen Stern blitzt sein poetisches Ausnahmetalent auf, während die erst zarte, dann wuchtige Trennungsballade Regen in meinem Gesicht eine Spur zu schwülstig geraten ist.

Dafür vermittelt Heinz Rudolf Kunze anno 2009 viel positives Lebensgefühl, was sich auch musikalisch niederschlägt. Lieder wie Längere Tage, Einmal noch und immer wieder oder Ein besonderer Tag plätschern mit viel "Aah"- und "Uuh"-Chören wie Frühlingsbäche ins Ohr, aber sie plätschern mitunter eben auch einfach wieder raus, was ihnen diese seichte Schlagernote verleiht. Kunze spuckt anderen nicht mehr in die Suppe, er rührt sie ihnen um. Die Band, nach der zwischenzeitlichen Wiedervereinigung nun wieder ohne Kunzes langjährigen Musikpartner Heiner Lürig, packt selten mal zu, selbst in den Rocknummern bleibt die Wucht gedämpft. Was sich auf der Live-Tour im Frühjahr hoffentlich ändert.

Kunze ist für wirklichen "Protest" derzeit einfach zu gut drauf. Und sieht das ganz pragmatisch: "Ich wollte Heiner Müller beerben, ich wollte Peter Handke beerben. Was ist aus mir geworden? Ein Clown." Wer diesen Clown böse, kantig, politisch oder auch komödiantisch erleben will, sollte seine Lesungen besuchen. Und wer den Vielarbeiter als einfallsreichen Shakespeare-Adepten erleben will, kann sich auf 2010 freuen. Kunze hat ein neues Musical angekündigt, dann wieder mit Heiner Lürig. Was, wo und mit welchem Ensemble das sein wird, steht noch nicht fest.

Uwe Jannsen, Hannoversche Allgemeine Zeitung, 30. Januar 2009

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