Heinz Rudolf Kunze

2008

Heinz Rudolf Kunze malt in Kremmen spöttische Horrorszenarien

Kremmen. Die Lage ist ernst. Fast so ernst wie der Mann auf der Bühne. „Bitte machen Sie sich Sorgen“, sagt Heinz Rudolf Kunze zum Publikum im restlos ausverkauften Theater „Tiefste Provinz“.

Schließlich geht es mit Deutschland bergab. Ach was, es ist auf dem Weg in den Abgrund. Kunze hat den geballten Spott über den allgegenwärtigen Kulturpessimismus zwischen zwei Buchdeckel gepresst. Der Musiker und Literat liest aus seinem Werk Ein Mann sagt mehr als Tausend Worte sowie unveröffentlichte Texte.

Zwei Kollegen begleiten ihn instrumental. Sobald der Autor verstummt, zupft Wolfgang Stute die Saiten seiner Gitarre, und Hajo Hoffmann fiedelt wie wild auf der Geige. Jazzrock passt einfach immer zu Lesungen. Irgendwann wird es Kunze zuviel mit der Musik. Zwar könne er „Wolli“ stundenlang zuhören. „Bloß geht das alles von meiner Zeit ab“, sagt er spöttisch.

Die braucht er für seine düsteren Horrorszenarien. Im Jahr 2020 werde das Wort „Geburt“ aus dem Duden verschwunden sein, orakelt der examinierte Deutschlehrer. Auf den Straßen sind dann vornehmlich „terrorisierende Migrantenbanden“ unterwegs. Und Tattergreise. „Die müssen dann ihre Rollis zu Kampfmaschinen umfunktionieren“, sagt der Chronist des Niedergangs.

Überraschend offenbart er eine eher unbekannte Seite von sich. Heinz Rudolf Kunze, bisher vor allem für seinen Intellekt und seinen messerscharfen Verstand bekannt, hat Sinn für Humor, für rabenschwarzen, wohlgemerkt.

Die Texte sind oft ironisch, nicht selten sarkastisch, manchmal bitterböse, mitunter melancholisch, aber immer geistreich. Für plumpe Schenkelklopfer sind die Comedians zuständig. Das Publikum quittiert die Kunzeschen Ansichten mit Gelächter und reichlich Applaus.

Der Meister, der Philosophie und Germanistik studierte, aber dann eine Karriere als Deutschlehrer dem Musikerdasein geopfert hatte, scheint zu seinen alten Wurzeln zurückzufinden.

Genüsslich seziert er gebräuchliche Redewendungen. Umgangssprachliches entlarvt er als pure Phrasen, als blödsinnige Worthülsen. Man hüte sich vor Leuten, die die Seele baumeln lassen, warnt er. Es könnten Henker sein.

Kunze spottet über Sugar-daddies, die sich mit halb so alten „Russipussis“ aus Sankt Petersburg vergnügen. Aber er verschont auch nicht das „Gutmenschentum“, wenn er sich über Tibetfahnen im Supermarkt mokiert. Mit Political Correctness kann und will er nicht dienen. Vor allem aber ärgert er sich über den Fortschritt. Früher habe er mit mühsam antrainiertem polnischen Akzent das Mitleid sämtlicher Klofrauen erschlichen. Sie verzichteten auf ihren Obolus.

Nun, so klagt er, gebe es an allen öffentlichen Aborten automatische Drehkreuze. 50 Cent kosten die Hygiene-Service-Stationen, egal, ob mit Akzent oder ohne. Dafür wünscht eine säuselnde Frauenstimme vom Band „Angenehmen Stuhlgang“.

Ja, der Lauf der Zeit. Kunze hat sich ebenfalls verändert. Der Schnauzer ist ab, selbst die markante Brille hat einem unscheinbaren Lesegestell Platz gemacht. Er trägt, soviel Ironie darf sein, wie ein erdiger Rockfan Jeans, Jeansweste und ein schwarzes T-Shirt mit kurzen Ärmeln. „AC DC“ steht darauf geschrieben.

Zwischendurch setzt er sich immerhin sein altbekanntes, schwarzes Markenzeichen auf die Nase. „Unser Auftritt wird von Fielmann gesponsert“, ätzt Wolfgang Stute.

Märkische Allgemeine, Fritz Hermann Köser, 16. August 2008

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