Heinz Rudolf Kunze

2007

Ich werde Sieger der Herzen

POP / Deutschrocker Heinz Rudolf Kunze bewirbt sich für den Eurovision Song Contest. Eine Lachnummer?

IRONIKER: Der Larifari-Liedwettbewerb wird durch den singenden Denker Heinz Rudolf Kunze veredelt.

RHEINISCHER MERKUR: Was bringt einen Dichter und Denker dazu, an einer Show-und-Klamauk-Veranstaltung wie dem Grand Prix teilzunehmen?

Heinz Rudolf Kunze: Jede Show-und-Klamauk-Veranstaltung wird durch meine Teilnahme veredelt.

Wie sehen Sie die Chancen für Ihren sehr ironischen Song Die Welt ist Pop?

Heinz Rudolf Kunze: Ich werde mindestens Dritter – und damit wie Klinsmann „Sieger der Herzen“.

Im Vorwort zu Ihrem neuen Album bezeichnet Tobias Künzel, der Frontmann der Prinzen, Sie als Popstar, Poet, Sänger, Musiker, Mensch, Intellektueller und Künstler. Sehen Sie sich auch in dieser Vielfalt?

Heinz Rudolf Kunze: Sicher ist das alles richtig, was er da aufzählt – wobei Popstar wohl am wenigsten zutrifft. Denn meine Werke sind mir wichtiger als meine Person: Zwar singe ich die selber, doch nicht, um mich zu präsentieren, sondern weil es notwendig ist, dass einer diese Lieder und Texte vorträgt.

Haben Sie den Anspruch, die Menschen zum Nachdenken anzuregen?

Heinz Rudolf Kunze: Nein. Ich habe den Anspruch, die Leute gut zu unterhalten. Wenn dazu auch gehört, dass die Leute über etwas nachdenken möchten, ist mir das recht – aber Absicht ist das nicht. Ich will einfach nur Spaß machen.

Die neuen Lieder klingen nicht nach Spaß, sondern nach einem nachdenklichen Rückblick. War mit 50 die Zeit reif für eine Zwischenbilanz?

Heinz Rudolf Kunze: Auch wenn ich nicht weiß, was die moderne Medizin zustande bringen wird, so ist doch davon auszugehen, dass ich den größeren Teil meines Lebens gelebt habe – und dazu muss ich mich doch irgendwie verhalten. Und da gibt es einfach viel, was man erlebt hat, was man noch mal durchdenken möchte und was beim Liederschreiben einfach rauswill. Als Endbilanz sehe ich es indes nicht: Ich habe noch sehr viel vor.

Trotzdem schwingt in vielen neuen Liedern Melancholie mit.

Heinz Rudolf Kunze: Die ist aber nicht neu: Mit Themen wie Vergänglichkeit und Abschiednehmen habe ich mich immer schon beschäftigt. War es nicht Victor Hugo, der gesagt hat: Melancholie ist die Freude am Traurigsein – also, man kann auch dem etwas abgewinnen.

Wollen Sie nicht mehr kämpfen?

Heinz Rudolf Kunze: Ich bin nie bereit gewesen zu kämpfen – ein Held war ich nie.

Ein Dichter kann ja auch mit Worten kämpfen.

Heinz Rudolf Kunze: Mir sind Leute nicht geheuer, die mit Worten kämpfen wollen. Als Dichter erschafft man die Welt noch einmal, und natürlich kommt in dieser Welt auch Kampf vor – aber nicht nur. Deshalb hat Neil Young gerade auch sein schlechtestes Album gemacht mit „Living with War“: Zorn ist kein guter Ratgeber für ein ganzes Album. Für ein oder zwei Lieder kann das eine tolle Sache sein, aber wenn man eine ganze Platte lang nur anklagt und predigt, ist das platt.

Wird es in einer oberflächlichen Gesellschaft nicht schwieriger, Menschen mit komplizierten Themen zu erreichen?

Heinz Rudolf Kunze: Das ist sicher eine große Gefahr, denn die Verdummungsmaschinerie arbeitet auf Hochtouren und sehr effektiv. Zudem hat sich die Politik zu einer solch breiigen Gemengelage entwickelt, dass es für Künstler aller Sparten schwieriger geworden ist in den letzten Jahren, sich selber irgendwo zu verorten in der Gesellschaft. Denn die großen Parteien sind kaum noch unterscheidbar, und man weiß gar nicht mehr richtig, wer gut und wer böse ist – das war früher alles einfacher in Zeiten des Kalten Krieges.

Trifft Sie das als Poeten besonders, dass Publikum, das sich mit Texten auseinandersetzt, immer rarer wird?

Heinz Rudolf Kunze: Es reduziert sich auf den harten Kern derjenigen, die dafür schon immer erreichbar waren. Mein popmusikalischen größeren Erfolge beruhten ja auf Missverständnissen: Da haben Leute gedacht, dass ich immer so etwas schreibe wie Dein ist mein ganzes Herz – und dabei war das eine Ausnahme. Insofern war das lediglich eine Art Laufkundschaft, die man eben nur mit Pop klassischer Provenienz erreichen kann.

Eine Laufkundschaft, die Ihnen zum Teil auf dem Evangelischen Evangelischen Kirchentag 2005 wieder begegnet sein dürfte, für den Sie die inoffizielle Hymne schrieben. Wird Heinz Rudolf Kunze im Alter gläubig?

Heinz Rudolf Kunze: Nein, man wird im Alter nicht unbedingt religiöser, aber ich habe mich schon oft mit biblischen Formulierungen und Bildern beschäftigt. Ich sympathisiere mit Religion, ohne dass ich eine durchgängig vom Glauben angehauchte Linie fahren würde wie Xavier Naidoo. Insofern wäre es vermessen zu sagen, ich sei ein gläubiger Mensch – dafür habe ich dann doch zu viele Zweifel.

Sehen Sie denn eine Chance für eine Renaissance von Religion und Kirche?

Heinz Rudolf Kunze: Ja. Vielleicht gibt’s gar keinen anderen Weg. Wir befinden uns in einer geistigen Auseinandersetzung mit dem Islam, der zumindest in Teilen sehr aggressiv auftritt und in einigen Fraktionen bereit ist, mit Feuer und Schwert den Rest der Welt von seiner Meinung zu überzeugen. Da müssen wir uns stärker als bisher die Frage stellen: Wer sind wir und welche Antworten haben wir dem entgegenzusetzen? Und da bietet Religion und damit die Kirche nicht unbedingt die schlechtesten Antworten.

Christoph Forsthoff, Rheinischer Merkur, 01. März 2007

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