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Meine Chancen sind die eines Sowieso-Gewinners
Am 8. März tritt Heinz Rudolf Kunze beim Vorentscheid zum Eurovision Song Contest gegen Girlgroup Monrose und Swingsänger Roger Cicero an. Der 50-jährige "Niedermacher" ist schon über die Hälfte seines Lebens eine feste Größe in der deutschen Musikszene. Als besonders fleißig bekannt hat er innerhalb kürzester Zeit ein musikalisches Hörbuch (Kommando Zuversicht) und sein 27. Album (Klare Verhältnisse) veröffentlicht. Außerdem fand er Zeit für ein NDR 2 Interview. Heinz Rudolf Kunze zu seinen Chancen beim Eurovision Song Contest, dem Umgang mit Kritik, zu Fußball und Fahnenmeer - hier ist das vollständige Gespräch:
Eines Ihrer Live-Alben heißt Deutsche singen bei der Arbeit (1987). Jetzt hat eine Studie ergeben, dass die Hälfte der Deutschen nur des Geldes wegen arbeitet. War das 1987 noch anders?
Nö, und ich hab’ den Titel auch nicht so ernst gemeint. Ich meinte es eigentlich eher augenzwinkernd, wie so viele meiner Behauptungen, und ich bezog es direkt auf unsere Band.
Wäre Ihre Arbeit nicht das Singen und Schreiben, welcher Job würde Sie reizen?
Es gibt eigentlich nur zwei Berufe, die mir je eingefallen sind, denen ich richtig was hätte abgewinnen können, das eine wäre Astronom gewesen, aber dafür habe ich leider viel zu wenig Ahnung von Physik. Aber sich mit den Planeten und den Sternen und dem All zu beschäftigen, ist schon sehr spannend, finde ich. Und der andere wäre Psychiater gewesen, Nervenarzt. Dazu hat’s auch nicht gereicht, weil ich nicht Medizin studieren wollte. So bin ich also nicht Psychiater geworden, sondern Opfer.
Und erfolgreicher Musiker! Wie kam’s denn zur Teilnahme am Vorentscheid zum Eurovision Song Contest?
Das weiß ich nicht so genau. Mein Plattenfirmen-Chef, mit dem ich mich sehr gut verstehe, hat mich gefragt, ob ich mir das vorstellen kann. Dann würde er sich dafür einsetzen. Und da ich mich auch privat sehr gut mit ihm verstehe, ist das ein Mann, dem ich sowieso nichts abschlage. Ich habe nur kurz nachdenken müssen, und dann gesagt, "okay, ich mach’s". Und er sagte: "Okay, dann bemühe ich mich drum, aber dann lass’ mich auch nicht hängen. Wenn ich dich da reinkriege, dann bist du verhaftet."
Wie schätzen Sie denn Ihre Chancen ein?
Also, meine Chancen sind die eines Sowieso-Gewinners. Ich bin einer von Dreien, ich kann mein Lied in einer riesigen Show einer großen Öffentlichkeit vorstellen, insofern ist das eine einzige Gewinnsituation und die Platzierung ist sekundär.
Wenn’s aber richtig gut läuft, dann vertreten Sie Deutschland in Helsinki. Was genau vertreten Sie denn dann?
Ja, mit diesem Lied jedenfalls habe ich ja versucht, eine deutsche Stimmung zu beschreiben, aufzugreifen, die "Juchu-Stimmung" im letzten Sommer, das "Sommermärchen", wie Wortmann es genannt hat. Darüber hinaus gibt’s noch ein paar Anmerkungen zur Gefühlslage der Großen Koalitionen; also, ich versuch’ schon, so ein Sittenbild, Stimmungsbild von Deutschland zu machen in dem Lied. Und natürlich ist die Überschrift Die Welt ist Pop auch nicht unbedingt eins zu eins ernst zu nehmen - wir alle wissen, die Welt ist durchaus nicht nur Pop, sondern manchmal auch ganz furchtbar. Aber man kann’s ja mal in den Raum schleudern, in der Hoffnung, dass es wahr wird.
Was Sie auch mal "in den Raum geschleudert" haben, ist, dass Sie sich selbst eher mit dem MSV Duisburg als mit dem 1. FC Bayern München vergleichen. Und dazu sagen, dass sie das auch ganz schön finden. Wie ist das gemeint?
Naja, ich kann zumindest irgendwo in der oberen Hälfte der Zweiten Liga noch mitspielen, und das ist schon relativ viel. Ich bin jetzt sehr lange dabei, und es gibt viele Kollegen, die aus dem Gesichtsfeld verschwunden sind, die nichts mehr machen, die keinen Plattenvertrag, keine Konzertagentur haben - was in einzelnen Fällen wirklich eine Schande für Deutschland ist, weil viele begabte Jungs und Mädels den Bach runter gegangen sind, mit denen ich Anfang der achtziger Jahre angefangen habe. Und man muss einfach dankbar sein, wenn man im 26. Jahr diesen Job macht, dass man noch mitspielen darf.
Sind Sie denn Fußball-Fan?
Bin ich.
Eines bestimmten Vereins?
SV Werder.
Sie haben mal einen Song geschrieben, Packt sie und zerhackt sie, der nach Fußball-Hymne klang. Gleichzeitig haben Sie aber extra darauf hingewiesen, diesen nicht als Hymne zu missbrauchen. Wissen Sie, ob es trotzdem dazu gekommen ist?
Nein. Es ist ja ein Lied, dass sich Gedanken macht über Hooligans, über sehr fanatische Fans, und insofern als Hymne wirklich gar nicht geeignet. Und es hätte makaber ausgehen können, wenn sich irgendein Fan-Club das zu Eigen gemacht hätte, aber trotzdem lasse ich mir nicht den Mund verbieten und singe eben manchmal auch problematische Dinge in die Welt hinaus - in der Hoffnung, dass die Menschen, die das hören, damit richtig umgehen.
Und so war es bisher auch?
Ich denke schon. Also, vor einzelnen Missverständnissen ist man nie gefeit. Wenn man so etwas in die Öffentlichkeit entlässt, weiß man nicht, wie das bei den Menschen ankommt und was sie daraus machen, aber ich halte meine Hörer für ziemlich ausgeschlafene Leute.
Im Zusammenhang mit Die Welt ist Pop haben Sie die "Juchu-Stimmung" angesprochen. Dazu gehört auch das schwarz-rot-goldene Fahnenmeer im Sommer 2006. Welche Emotionen kamen auf, als Sie das sahen?
Also, ich war nur Fernsehzuschauer, ich bin nicht so’n Stadiongänger, obwohl ich Fußball sehr mag. Mich hat diese Umgehensweise mit diesen kleinen Wimpelchen nicht gestört, also, ich hatte nicht diese Bauchschmerzen oder Skrupel manches deutschen Intellektuellen, der gleich wieder irgendein nationalistisches Gespenst auferstehen sah. Ich fand, das war ein sehr unverkrampfter Umgang mit diesen drei Farben - außerdem darf man ja auch nicht vergessen, dass die Nazis Schwarz-weiß-rot hissen, und nicht Schwarz-rot-gold, denn die haben ja diese Fahne, die demokratische Fahne, nie akzeptiert. Ich fand das sehr nett, und es ist ja auch im Ausland, wie man gehört hat, sehr gut angekommen, und sehr locker angekommen. Ein bisschen komisch wird mir nur, wenn ich jetzt immer noch vereinzelt Leute sehe, die dieses Fähnchen am Auto haben. Das finde ich dann doch ein wenig überspitzt, und ich denke nicht, dass wir Frankreich oder die USA im Nationalgefühl überholen sollten.
Aber vielleicht ist es ja jetzt wegen der Handball-WM so?
Dann wäre es legitim.
Sie zählen zu den deutschen Intellektuellen, gelten als Wortakrobat, Poet oder Sprachkünstler. Gibt es etwas, das Sie sprachlos macht?
Ja, gibt es bestimmt, und das ist dann sehr einfach bei mir auszumachen: Das sind die Dinge, über die ich nicht schreibe! (lacht) Also, es gibt nur wenige Themen, die ich für nicht machbar halte. Man kann, finde ich, die Rockmusik bezeichnen als eine sehr offene Form, das ist das Schöne daran. Man kann, in dieser Form, eine Menge machen - man muss sich nur trauen. Aber irgendwo gibt es sicherlich Grenzen. Und wo die genau sind, weiß ich auch nicht. Wie hat Wittgenstein so schön gesagt: "Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt." Über das, worüber ich nicht schreiben kann, kann ich wahrscheinlich auch nicht sprechen. Dafür hab’ ich einfach keine Worte.
Sie sind im letzten Jahr 50 geworden, machen seit über 25 Jahren Musik. Welche Eindrücke waren am prägnantesten?
Puh. Das ist eine lange Strecke, die da schon hinter mir liegt, und es hat natürlich in dieser Zeit viele Veränderungen gegeben, mit mir, mit der Musik, mit der Politik, mit der Gesellschaft. Ich habe angefangen in der Hochzeit der Neuen Deutschen Welle, dann kamen die sogenannten Deutschrocker - Niedeggen, Maffay, na, gut, der war schon länger dabei, Grönemeyer, Westernhagen, wie sie alle hießen, wo ich dann auch immer einsortiert wurde. Dann kam die Wende, die unser Land ja fundamental verändert hat. Dann kamen andere musikalische Bewegungen, die auch gesellschaftlicher Natur waren, wie Techno, HipHop, Rap. Also, ich hab’ schon Einiges mitmachen dürfen, und bin ganz froh, dass ich dabei meinen roten Faden nicht verloren habe.
Wenn Vergleiche zu anderen deutschsprachigen Musikern aufkommen, welchen lassen Sie am ehesten gelten?
Eigentlich gar keinen. Ich denke, dass wir alle unsere eigene Art haben, unser eigenes Profil, und ich vergleiche mich nicht automatisch mit Kollegen, die deutsch singen, mehr als mit Leuten, die englisch singen. Ich befinde mich ja in einer relativen Altersgruppe mit all diesen Kollegen, und insofern... Idole, die ich habe, sind Leute, die wesentlich älter sind als ich, also die mir noch Lebenserfahrung voraus haben. Und ich glaube, wir alle, die Genannten, beziehen uns in dem, was wir gelernt haben, eher auf anglo-amerikanische Vorbilder.
Ihr erster Auftritt fand 1980 beim Pop-Nachwuchs-Festival in Würzburg statt. Lässt sich das irgendwie mit den heutigen Casting-Shows vergleichen?
Nein. Das war eine seriöse Veranstaltung, wo Menschen nicht gedemütigt wurden.
Haben Sie einen Lieblingshit oder -künstler der Grandprix-Geschichte?
Ja, ganz klar, deswegen singe ich den ja auch beim Vorentscheid, wir müssen ja alle auch einen Fremdtitel singen. Und das war bei mir gar keine Frage, das muss "Merci, cherie" sein, denn das war ein Schlager mit wirklich großer Aura, mit Grandezza, und ich kenne Udo Jürgens persönlich und versteh’ mich gut mit ihm. Und da wollte ich auf jeden Fall eine Referenz erweisen. Und ich glaube auch, dass, wenn der Udo Balladen singt, er eine Stimmfarbe, eine mittlere Lage hat, die meiner recht ähnlich ist, und dass ich das auch einigermaßen hinkriegen werde.
Ihr neues Album Klare Verhältnisse ist seit einer Woche auf dem Markt. Nach eigener Aussage haben Sie dafür "Ihr ganzes Leben in die Waagschale" geworfen. War die Angst vor Kritik jetzt besonders groß?
Nein, ich habe nach 26 Jahren eigentlich keine Angst mehr vor Kritik, ich weiß, dass ich eine sehr große Spannweite von Rezensionen bekomme. Ich hab’ kaum jemals eine laue, unentschiedene bekommen. Also, entweder war’s extrem lobend oder extrem verfluchend. Und dass ich so polarisiere bei den Kritiken hat mich offenbar lange am Leben gehalten, weil irgendwie entzünden sich die Leute daran - entweder positiv oder negativ. Und man kann das, muss ich Ihnen ehrlich sagen, auf Dauer nicht aushalten, wenn man das alles ernst nehmen würde. Also, man muss sich irgendwann ein Fell zulegen, und das aus mittlerer Distanz auf sich wirken lassen. Wenn man all diesen Kritiken genau versuchte zu folgen, dann würde man einen Zickzack-Kurs machen, der nicht mehr heilbar wäre.
Gibt’s denn ein Lob, das Sie über die Jahre noch erinnern, und das Sie besonders mit Stolz erfüllt?
Ja! Es gab mal einen Kritiker in Stuttgart Anfang der neunziger Jahre, der nach einem Live-Konzert schrieb: "Wann merkt dieses Land endlich, dass der Mann der deutsche John Cale ist?" Nicht J.J. Cale - John Cale, der Düstere von Velvet Underground.
Ein Bonus-Titel Ihres aktuellen Albums Klare Verhältnisse heißt Der Tag wird kommen. Gemeint ist der Tag, an dem man für jeden Fehler bezahlen muss. Auf welchen Ihrer Fehler stünde die größte Strafe?
Also, da ich meinen Beruf sehr ernst nehme, glaube ich, wenn ich vor dem lieben Gott stehe, dann würde er mich nur dafür rügen, wenn ich meinen Job nicht gut genug gemacht habe. Nicht wahrhaftig genug oder nicht engagiert genug. Und deswegen gebe ich mir alle Mühe.
Bevor Sie den offiziellen Kirchentages-Song 2005 geschrieben haben, waren Sie als evangelischer Christ - Zitat - "Karteileiche". Bedeutet Ihnen Glaube jetzt mehr?
Glaube hat mir immer was bedeutet, ich bin nur kein konsequenter kirchlich engagierter Gläubiger. Ich bin zwar nie ausgetreten aus der evangelischen Kirche, aber verfolge das doch mit einer interessierten, kritischen, solidarischen Distanz. Also, ich hab’ meine Zweifel - gut, die hatte Martin Luther auch. Für richtige, geradlinige Frömmigkeit reicht’s nicht, aber ich bin im ständigen Gespräch mit dem lieben Gott.
Durch Textzeilen wie "Ich brauche nahe Menschen fern um mich herum" oder "Nehmt mich nicht andauernd in den Arm, reicht mir nur die Hand und mir ist warm" demonstrieren Sie den Wunsch nach Distanz sehr deutlich, richtig?
Ja, aber das, glaube ich, ist nichts Besonderes, das würde jeder Künstler - wenn er ehrlich ist - unterschreiben. Und manche trauen sich nicht, das zu sagen, und machen immer diese Pose, "ich liebe euch alle". Ich bin auch meinen Hörern sehr dankbar, aber ich denke, dass der richtige Umgang zwischen Menschen eben ein Wechselspiel ist von Nähe und einem gebotenen Restabstand. Ich bin nicht so besonders klebrig veranlagt, ich klebe auch selber, glaube ich, nicht sehr. Und zu viel Nähe kann auch erdrückend sein.
Was schätzen Sie denn besonders an Ihren Fans?
Es gibt unheimlich treue Leute, die seit Anfang der achtziger Jahre immer wiederkommen, und die man im Konzert auch gleich wiedererkennt, die einem auch nachreisen. Vielleicht nicht in diesen riesigen Scharen, wie es in Amerika bei den Grateful Dead üblich war, die quasi ihre Auditorien gleich mitnehmen konnten. Aber es gibt so Hartgesottene, die sich tatsächlich ihre Ferien so legen, dass sie meine Tour mitfahren können. Und das ist natürlich rührend.
Vielen Dank für das Gespräch!
Kirsa Kurz, NDR2, 31. Januar 2007
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