Heinz Rudolf Kunze

2005

Heinz Rudolf Kunze im Interview

Es tut sich was bei Heinz Rudolf Kunze: Nach 25 Jahren hat er die Plattenfirma gewechselt, Heiner Lürig ist wieder an Bord, der neue Bürochef spielt auch in der Live-band und dann hat er noch das offizielle Lied für den Kirchentag geschrieben. Prompt setzte es kritisches Gezischel von allen Seiten. Zudem gibt es eine neue Platte: Das Original verspricht Kunze pur - was immer das nach all der Zeit auch heißen mag.

Von Gerrit Pohl

Pohl: Deine seit 1981 bestehende Ehe mit Warner ist im letzten Jahr annulliert worden. Weshalb?

Kunze: Weil ich im Frühjahr 2004 nicht mehr mit den gleichen Leuten verheiratet war, mit denen ich den Ehevertrag 1981 geschlossen hatte. Ich habe insgesamt fünf Geschäftsführer erlebt und war de facto länger bei der WEA als jeder, der dort rum läuft. Natürlich wäre ich gerne geblieben, schließlich habe ich mein halbes Leben dort verbracht.

Pohl: Passte der Künstler Kunze nicht mehr in das Firmenprofil?

Kunze: Keine Ahnung. Wir haben über all die Jahre natürlich regelmäßig und viel diskutiert. Aber irgendwann fanden diese Gespräche unter einem gewissen Druck statt, der von außen rein getragen wurde – vermutlich aufgrund der geänderten Besitzverhältnisse. Das war kein gutes Klima mehr. Ich bin weiß Gott nicht beratungsresistent, aber ich lasse mich ungern fremdsteuern.

Pohl: Heiner, Du hast Dich ja schon 2002 zurückgezogen…

Lürig: Ich war in der damaligen Situation mit dem, was ich noch beitragen konnte, überhaupt nicht mehr zufrieden. Ich schreibe ja nicht nur Songs, sondern forme auch gerne, schmiede Pläne mit und bringe mich entsprechend ein. Dies war jedoch nicht mehr möglich, also bin ich lieber gegangen.

Pohl: Habt ihr euch auch selbst zuviel Druck gemacht? Jedes Jahr gab es das Paket aus neuer Platte und Tournee.

Kunze: Nein, überhaupt nicht. Ich könnte durchaus drei Alben pro Jahr machen, wenn man mich nur ließe. Muss mich nicht zu etwas peitschen, sondern eher gelegentlich bremsen.

Pohl: Das neue Album ist nach Deiner Aussage „keine Plastikkacke“. War die Zusammenarbeit mit Franz Plasa, der Rückenwind produziert hat, rückblickend ein Fehlgriff?

Kunze: Mit meiner Aussage wollte ich mich nicht von meiner eigenen Arbeit abheben. Ich bezog mich auf das, was im Radio zumeist so zu hören ist. Und Franz habe ich nichts vorzuwerfen.

Pohl: Trotzdem hat es nachfolgend keine weiteren Arbeiten mit Plasa mehr gegeben.

Kunze: Es war ein interessanter Versuch, aber eben nur ein Versuch. Das Beste an der Aktion waren die drei Hamburger Musiker, die er mir besorgt hat. Die habe ich dann auch gleich behalten. Franz fällt es schwer, mit jemandem zu arbeiten, der so viel Vergangenheit mitbringt. Seine Spezialität ist es ja eher, junge Leute zu finden, die er von der Pike auf nach seinen Vorstellungen formen kann. Es sind trotzdem einige gute Stücke entstanden, manches klingt aber auch etwas distanziert. Franz und ich denken schon ähnlich, aber eben doch nicht gleich.

Lürig: Wir sind dagegen ja sehr verschieden, können das Ergebnis unserer Arbeit aber immer gut vertreten.

Pohl: Dein neues Album heißt Das Original. Welche Wurzeln hast Du bemüht?

Kunze: Der Titel ist absolut ernst gemeint. Ich habe versucht, für mich sehr typische Stücke zu machen. Also keine Experimente, keine Mätzchen und Kinkerlitzchen, auch kein Rumgraben in irgendwelchen Randbereichen. Ich finde es im fortgeschrittenen Alter nicht verkehrt, sich auf das zu konzentrieren, was man am besten beherrscht. Ein genervter Kritiker, der jeden Tag mit Platten zugeschüttet wird, sieht das vermutlich anders, wenn er das 50. Dylan-Album bekommt. Aber ich freue mich noch immer sehr, wenn ich ein neues, typisches Dylan-Album bekomme.

Pohl: Du hast mit Mehr als dies auch ein Lied für den Kirchentag aufgenommen. Schon betiteln Dich die ersten als „Xavier Kunze“.

Kunze: Ich finde es obszön, wie Naidoo in diesem Land dafür beschimpft wird, dass er über Religion singt. Das ist lächerlich und verkrampft, da hat Deutschland noch sehr viele Lockerungsübungen zu leisten, bis das mal so akzeptiert wird wie bei U2, Johnny Cash oder Nick Cave. Das Thema Religion darf aus lauter Pathos-Angst nicht zum Tabu werden. Die evangelische Kirche, die ja beinahe panisch offen ist, hat uns übrigens absolut freie Hand bei dem Song gelassen.

Pohl: Du machst Dich darin unter anderem für die Geburt stark.

Kunze: Ich frage mich schon, weshalb manche Leute aus irgendwelchen verquasten Überlegungen heraus keine Kinder bekommen wollen. „Hach, wie kann man denn noch Kinder in diese schlimme Welt setzen“ – auf diese Menschen bin ich schon seit jeher allergisch. Zudem eine merkwürdige Strategie, der eigenen Zukunftsangst zu begegnen.

Pohl: Was ist Dein Verhältnis zur Kirche?

Kunze: Die Kirche ist eine sinnvolle und wichtige Einrichtung, aber sie führt einen verdammt schwierigen Kampf. Sie muss ihr spezielles Angebot einer Jahrmarktsgesellschaft anbieten, innerhalb derer die Reize grell und bunt miteinander konkurrieren. Es scheint ein Gesetz zu sein, dass die Kirche dort, wo Üppigkeit, Überfluss und Zerstreuungsvielfalt herrscht, einen schweren Stand hat. Wohlstand ist sinntötend.

Pohl: Apropos Wohlstand: Stört es Dich eigentlich, dass Westernhagen und Grönemeyer soviel erfolgreicher sind als Du?

Kunze: Mein Problem ist eher, dass ich nicht so viele Platten verkaufe wie Robbie Williams!

Pohl: Du hast keine Tätowierungen…

Kunze: …und ich zeige meinen Hintern zu selten. Aber im Ernst: Es hat keinen Sinn, da Vergleiche anzustellen. Musik und Kunst sind kein Leistungssport. Ich mute den Leuten natürlich inhaltlich sehr viel zu und mache es ihnen nicht sonderlich leicht. Wenn ich das versuchen würde, wäre das Ergebnis verbogen und verbeult und entspräche mir nicht.

Pohl: Andererseits veröffentlichst Du gerne federleichte Singles wie Mach auf.

Kunze: Speziell Mach auf sollte ein Gassenhauer werden. Das Problem war nur, dass das leider gar nicht funktioniert hat, den Song hat ja keine Sau gespielt. Das war schon ernüchternd.

Pohl: 25 Jahre HRK – welchen Status hast Du heute in Musik-Deutschland?

Kunze: Ich war nie Teil irgendeiner Bewegung, sondern immer einzelgängerisch unterwegs. Das ist auch so geblieben. Ich stelle aber fest, dass sich so langsam auch mal der eine oder andere Musiker zu mir bekennt, und mich als Einfluss anführt. Die eine oder andere Spur habe ich sicherlich hinterlassen.

Pohl: Wünschst Du Dir manchmal wieder die Unbeschwertheit der Anfangsjahre zurück?

Kunze: Ich habe die alten Zeiten als sehr schön in Erinnerung. Vor dem ersten Hit bin ich ziemlich naiv vorgegangen. Ich habe mich in einer Seifenblase aufgehalten, vor mich hingespielt und mir irgendwelche Sachen ausgedacht, ohne dabei in irgendeiner Weise zielgerichtet zu sein. Es war wirklich keine schlechte Zeit.

Pohl: In Zusammenarbeit mit dem 2001 verstorbenen Mick Franke hast Du Deine zum Teil besten Stücke hervorgebracht. Trotzdem habt ihr euch 1984 nach einem Konzert in Saarbrücken plötzlich getrennt.

Kunze: Die ersten zwei Jahre habe ich von Mick gelernt, anschließend er von mir. Gegen Ende des vierten Jahres fielen mir dann Stücke wie Vertriebener oder Dies ist Klaus ein – Lieder, von denen ich wusste, dass Mick sie nicht spielen konnte. Er verstand sich gut auf die Akustische, war aber nur ein Verlegenheits-E-Gitarrist. Ich brauchte aber jemanden, der den nötigen Druck in die neuen Stücke brachte. Auf der Tour im Herbst 1984 haben wir uns gemeinsam Gedanken darüber gemacht. Mick hat verständlicherweise empfindlich auf die Situation reagiert. Wäre er so souverän gewesen, seine Schwäche einzusehen und mit mir einen geeigneten Gitarristen zu suchen, wäre er vermutlich geblieben. Aber er sagte stattdessen, dass das Problem für ihn schlicht nicht existiere. Deswegen haben wir uns getrennt - die schwierigste Trennung meines Lebens. Für ihn kam es einem Genickbruch gleich, denn gleich nach seinem Weggang kam Heiner Lürig und kurz darauf auch der erste Hit. Schlimmer kann es einen nicht treffen.

Pohl: Wie seid ihr danach miteinander umgegangen?

Kunze: Wir haben sechs Jahre nicht miteinander gesprochen, dann hat er mich überraschend angerufen. 1991 haben wir uns wieder vertragen und in der Folgezeit regelmäßig telefoniert. Ich habe ihm dann irgendwann auch Heiner vorgestellt – die beiden sich sofort verstanden.

Pohl: Welche Pläne gibt es für die Zeit nach dem Original?

Kunze: Es wird dieses Jahr ein neues Buch geben – wie gehabt Kurzprosa, einen Roman schreibe ich wohl nicht mehr. Ansonsten hängt die weitere Entwicklung natürlich auch vom Schicksal der neuen Platte ab.

Lürig: Ich werde genau hinsehen, wie sich die Dinge entwickeln. Es ist nicht mehr alles wie früher; ich bin nicht zwingend für den Rest meines Lebens wieder Partner von Heinz, obgleich ich das natürlich gerne sein will. Jedes Jahr ein oder zwei neue Platten, dazu viel touren – das macht Heinz sehr gerne, aber bei mir ist das eben nicht so. (Ungläubiges, sybillinisches Grinsen seitens HRK)

Vielleicht komme ich auf die alten Tage ja doch noch zu meiner Zweit-Band.

Gerrit Pohl, Rolling Stone, März 2005

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