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Heinz Rudolf Kunze: Reine Nervensache
Ich weiß, Kunze ist heute der Ritter der Deutschquote, Gast beim Quiz im Dritten Fernsehprogramm des NDR und gut befreundet mit Dieter Thomas Heck. Es brach mir das Herz, als das anfing mit Kunze, 1985, als er seinen Ko-Komponisten Mick Franke gegen Heiner Lürig getauscht hatte und Dein ist mein ganzes Herz ein Hit wurde. Damals hatte er beschlossen, kein Liedermacher mehr zu sein und Rockmusik zu machen, wo nicht Pop. Und eine Weile ging das auch sehr gut, bestimmt bis zu dem Album Brille.
Schon damals aber vermisste ich den alten Heinz, wie wir paar Fans am humanistischen Gymnasium ihn von dem modernen Hitparaden-Heinz differenzierten. Hatten uns eh nur geoutet, weil im Musikunterricht ein Vortrag zu halten war; ich sprach über Peter Gabriel, doch zwei Jungs überraschten mit Kunze. Nun spätestens begann eine Obsession, die ich mittlerweile als ein lebenslanges Studium des Kunzeschen Schaffens bezeichnen darf; viele Jahre vernachlässigt, auf Spott reduziert, aus der Ferne gegrollt, einmal mit ihm gesprochen (im Vertrauen auf die gemeinsame Liebe zu Randy Newmans Liedern) und einige Jahre später noch einmal (dem Zigarillo rauchenden Lederanzugträger und seinem Gitarristen im Hotel Hyatt in Hamburg gegenübersitzend), eine einzige, leichtfertige und alberne Rezension schreibend (zur Anthologie "Nonstop"). Der Kollege Benjamin von Stuckrad-Barre unterhielt ein ähnlich ambivalentes Verhältnis zu Kunze, auch er konnte verseweise auswendig rezitieren. Wir wollten mal ein Buch über "Deutschrock" schreiben und in der Thalia-Buchhandlung unter der Rolltreppe vorstellen. Es kam anders.
Meine liebste Platte des Vielschreibers Kunze, dem beinahe jedes Jahr ein Album gelingt, ist seine erste geblieben, daneben Der schwere Mut von 1983. Das ist natürlich ein wenig traurig, wenn man überlegt, was Kunze seit seinen Anfängen alles gelernt und erfahren haben muss. Er selbst schrieb freilich in seinem luziden Essay über Newman, dass ihm dessen Debüt-Album von 1968 noch immer das gelungenste zu sein scheint. Andererseits: Für seine erste LP hatte Kunze ja 25 Jahre der Vorbereitung. War ja schon Lehrer.
Reine Nervensache muss damals eine Sensation gewesen sein. Das Genöle Lindenbergs, die schmalzigen Anfänge Grönemeyers, die prolligen Provokations-Posen Westernhagens, die Primitvismen von Punk und Neuer deutscher Welle, "Monarchie und Alltag" von Fehlfarben als trister Hymnus aufs deutsche Grauen 1980 ff. Kunze hielt seinen Abstinenzler dagegen: "Ich mache gar nichts, rein gar nichts, was für’n Kick." Und dann die ersten Kadenzen von Bestandsaufnahme, ein bisschen "Jealous Guy", ein wenig Elton John, Degenhardt und Newman: "Es gab mal Zeiten, wo die Brüste unsrer Mädchen/ noch kein Geheimnis waren, kein Privatbesitz/ (...) Wir sind jetzt mündig und wir haben nichts zu sagen/ Wir haben keinen Grund, uns wirklich zu beklagen/ Wir kommen langsam in das glatzenwunde Alter/ Wir sehen Tote und wir stellen uns die Frage/ Wieviel Frist uns zum Gewinnen noch bleibt..." Das war die Variation von Rilkes defätistischem "Wer spricht von Siegen/ Überstehn ist alles".
Reine Nervensache ist voll meisterlicher Lieder: der schwungvolle, leichtsinnige Boogie Wir leben alle im Erdgeschoss mit Herb Gellers Saxofon, der Zynismus von Für nichts und wieder nichts, der ätzende Hohn in Mit meinem leeren Glas, schließlich das trügerisch linde Balkonfrühstück im "Gewerbegebiet Nürnberg-Süd": "Und die Autos rauschen zum Kaffee fast wie das Meer".
Der Traum der siebziger Jahre war aus, das Chaos aufgebraucht, und es war womöglich noch nicht einmal die beste Zeit. Heinz Rudolf Kunze hatte seiner ersten Platte einen Satz von E.M. Cioran vorangestellt: "Man kann jede Wahrheit ertragen, sei sie noch so zerstörerisch, sofern sie für alles steht und soviel Vitalität in sich trägt wie die Hoffnung, die sie ersetzt hat." Kunzes Musik hatte soviel Vitalität.
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