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Heinz Rudolf Kunze, Jahrgang 1956, studierte Germanistik und Philosophie an den Universitäten Münster und Osnabrück. Seit 1981 hat er über 20 Alben veröffentlicht, zuletzt 2003 Rückenwind und das Live-Doppelalbum Dabei sein ist alles. Darüber hinaus schrieb er Songs für Milva und Herman van Veen und die deutschen Libretti für die Musicals Les Misérables, Miss Saigon, Joseph und Rent. Er hat sechs Bücher veröffentlicht, zuletzt Vorschuss statt Lorbeeren (Ch. Links Verlag, Berlin). Heinz Rudolf Kunze lebt mit seiner Familie in Hannover.
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Ich bin noch zornig
Der Musiker Heinz Rudolf Kunze kann sich vorstellen, Popmusik zu verbieten, er hat Sympathien für den niedersächsischen CDU-Ministerpräsidenten Christian Wulff, und ihn nervt das wehleidige Deutschland
Magazin: Herr Kunze, Sie schmähen in Ihren Texten das Konsumentenpublikum als »gähnmanipulierte Hornochsen«, wettern gegen Babyklappen und gegen einen Manipulationsdrill, der Kinder und Jugendliche zu »fickbarer Verfügungsmasse« machen will. Geht das Abendland unter?
Kunze: Ich mache mir Sorgen, und das lasse ich auch raus. Summa summarum bemühe ich mich dabei aber um Humor und Überleben. Ich möchte mich nicht in Wut, Ohnmacht und Haß erschöpfen. Es gibt immer auch noch etwas zu lachen, zumindest zu grinsen, wenn der Humor dabei auch manchmal tiefst-schwarz wird. Wenn ich nur noch depressiv und verzweifelt wäre, würde ich mich den Leuten ersparen.
Magazin: Ganz Deutschland ist momentan verzweifelt.
Kunze: Dieses Gejammer stört mich schon etwas. Ich mag dieses Land – sonst würde ich mir nicht so viele Gedanken darüber machen –, aber diese Wehleidigkeit und diese ungute Mischung aus Grübelei und Selbstmitleid nerven.
Magazin: Die Krise ist eine Fiktion?
Kunze: Die Dinge werden, glaube ich, schlechter geredet, als sie objektiv sind. Sie sind nicht gerade sehr erfreulich im Moment, aber eine andere Grundhaltung zur derzeitigen wirtschaftlichen und sozialen Lage in diesem Lande wäre schon sehr erbaulich. Ich weiß nicht genau, wie ich als Musiker dazu beitragen kann, aber da stört mich einiges.
Ich finde im übrigen das deutsche Grübeln an sich nicht verkehrt. Es hat in den vergangenen Jahrhunderten zu bemerkenswerten Ergebnissen geführt, sei es bei Luther, sei es bei Kant, Hegel, Schelling, Marx, Hölderlin. Aber wenn diese Grübelei sich mit Wehleidigkeit und Selbstmitleid vermengt, dann wird sie zum Problem. Da könnten wir Deutschen uns von einigen europäischen Nachbarn, die manche Dinge gelassener sehen, etwas abgucken.
Manchmal kann man in dieser Hinsicht sogar etwas von den Amerikanern lernen, mit ihrer Ärmel aufkrempelnden, brachialen, pioniermäßigen Art. Zum Beispiel, einfach zu sagen: Wir kriegen das irgendwie hin. Das geht diesem Land seit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg ein bißchen ab. Das ist verlorengegangen.
Magazin: Sie reiben sich an vielem, nicht nur am deutschen Selbstmitleid. Sind Sie in den letzten Jahren noch wütender geworden?
Kunze: Es freut mich, wenn Sie das sagen! Es gibt einige Kollegen, die der Meinung sind, ich sei immer unverbindlicher, immer flacher, freundlicher und seichter geworden.
Magazin: Sie wollen mittlerweile sogar Popmusik verbieten, damit sie wieder etwas wert wird.
Kunze: Vor einigen Jahren hat mich ein Aufsatz von Hans Magnus Enzensberger sehr beeindruckt, in dem er schrieb, man solle deutsche Literatur aus dem Deutschunterricht an Schulen herausnehmen, um sie zu einem Geheimnis zu machen, um bei Schülern Neugier auf unsere Literatur zu wecken. Wenn Literatur im Unterricht tabuisiert wird, ist sie vielleicht wieder von Interesse – das fand ich einen guten Ansatz und habe den Gedanken auf Popmusik übertragen.
Magazin: Ist Popmusik so plattgetreten, daß man nichts mehr mit ihr anfangen kann?
Kunze: Die Gefahr, daß Popmusik belanglos wird, ist groß. Diese völlige Vereinnahmung in der Werbung und im Alltag ist beklemmend. Wenn ich »My Generation« von den Who in einem Werbespot für Kaugummi oder was auch immer höre, bin ich betreten. Alle wollen Geld verdienen, das kann ich in gewisser Weise nachvollziehen. Aber es schmerzt einen schon, so etwas mitansehen zu müssen.
Magazin: In den 90er Jahren haben Sie die Einführung einer Quote für deutsche Künstler im Radio gefordert, den »musikalischen Austritt aus der Nato«
Kunze: ... Ich habe das so nie gesagt.
Magazin: So hat Sie seinerzeit der Spiegel zitiert.
Kunze: Das hat mir damals ein Redakteur in den Mund gelegt. Es klingt zwar nach mir, aber es war nicht von mir! (lacht)
Magazin: Sie hatten in jedem Fall das große Bedürfnis zu sagen: Leute, wir brauchen einen Mechanismus, um die eigene Musik im eigenen Land populärer zu machen! Als die Kugel auf der Bahn war, standen Sie allerdings plötzlich sehr alleine da.
Kunze: Das fand ich auch sehr traurig! Denn auch wenn ich es inzwischen etwas müßig finde, sage ich es gerne noch mal: Ich habe nur etwas vertreten sollen, was achtzig Kollegen in einem Aufruf gemeinsam unterschrieben hatten. Auf einmal aber wollte es keiner mehr wahrhaben.
Ich bin mehrfach in meinem Musikerleben in diese Klassensprecherrolle geraten, wurde vorgeschickt, um irgendwelche Prügel abzukriegen, die eigentlich alle hätten aushalten müssen. Im Fall der »Band für Afrika« Mitte der 80er Jahre war das okay. Damals reiste ich in den Tschad und in den Sudan, was eine sehr ehrenvolle Aufgabe war, die ich gerne übernommen habe. Im Falle der Quotendiskussion war das nicht so ehrenwert, weil ich von einigen Seiten mit Schmutz beworfen wurde. Das hat mich sehr getroffen, zum Teil wirklich gekränkt. Da wurden teilweise infame Vorwürfe aufgetischt, die ehrverletzend waren. Das hatte mit meiner Arbeit und mit meiner Person nichts mehr zu tun. Was mir da hinterhergeworfen wurde, war nur noch unfaßbar. Aber gut, das gehört offenbar dazu. Da muß man durch.
Magazin: Das Problem scheint ungelöst: Wie kann man deutsche Popmusik populärer machen?
Kunze: Deutsche Popmusik ist nach wie vor im Nachteil. Sie hat nicht ähnlich wohlwollende Chancen, wie sie etwa der deutsche Film inzwischen hat. Ich hoffe aber – und ich glaube auch –, daß die Prügel, die ich seinerzeit bezogen habe, nicht ganz umsonst waren. Inzwischen ist die Diskussion ja sogar im Bundestag angekommen. Mein ehemaliger Plattenboß und Freund Gerd Gebhardt, der heute als Chef der deutschen Phonoverbände, als Cheflobbyist der deutschen Musikbranche sozusagen, die Möglichkeit hat, im Bundestag mit allen Parteien darüber zu sprechen, hat dieses Thema auf eine neue Ebene gehoben. Was meine Person angeht: Ich selbst bin ja auf ganz komischen Wegen in die Enquete-Kommission »Kultur in Deutschland« des Bundestages geraten und kann dort auch etwas einbringen. Einige Kollegen, die mich zum Teil überhaupt nicht ausstehen können, werden also damit leben müssen, daß ich wieder mal etwas für sie tue. (lacht)
Magazin: Wenn Sie jetzt schon im Bundestag sind: Sie haben, als Sie noch in Osnabrück gelebt haben, für die dortige SPD im Bürgermeisterwahlkampf mitgemischt, Sie haben bei Dieter Dehms SPD-Parteisong »Das weiche Wasser bricht den Stein« mitgesungen. Würden Sie auch heute noch Werbung für die SPD machen?
Kunze: Ich bin vor einigen Jahren aus der SPD ausgetreten. Ich möchte, soweit ich mein Leben jetzt überschauen kann, auch nicht mehr in eine andere Partei eintreten oder Werbung für irgendeine Partei machen. Ich gebe gerne zu, daß ich eine große Sympathie für Christian Wulff empfinde. Das hat aber eher mit menschlichen Dingen zu tun, weil ich Wulff schon jahrelang kenne. Abgesehen davon, hat er bisher für mich nichts vertreten, was ich für unverantwortbar hielte. Ich kann ihm sehr weit folgen in dem, was er bislang getan hat. Ich halte Wulff für einen sehr honorigen Politiker und kann nur hoffen, daß er seinen Weg so ehrenwert weitergehen kann, ohne sich irgendwelchen Schmutz einzuhandeln, den er dann wahrscheinlich nicht einmal selber zu verantworten hätte.
Magazin: Heinz Rudolf Kunze – ein ex-sozialdemokratischer Renegat mit einem Hang zur CDU?
Kunze: Ich finde, daß Wulff eine neue Generation innerhalb der CDU repräsentiert, eine neue Sichtweise und eine neue Art von Lockerheit. Als ich jung war, mußte man natürlich für Willy Brandt sein, das war ganz klar. Da hätte ich nicht für Rainer Barzel oder für Franz Josef Strauß sein können. Ich stehe zu meiner Freundschaft zu Wulff. Ich schätze ihn sehr.
Ich bin allerdings auch mit Guido Westerwelle bekannt, ebenso mit Gregor Gysi, und ich habe nach wie vor ein gutes Verhältnis zu Björn Eng-holm. Insofern habe ich mir, glaube ich, wenig vorzuwerfen. Ich suche mir meine Wahrheiten dort, wo ich sie punktuell finde, und möchte sie nicht mehr an ein Partei- oder an ein ideologisches Etikett anbinden.
Magazin: Sind Sie mit den Jahren konservativer geworden?
Kunze: Auf jeden Fall, ja.
Magazin: Kein zorniger junger Mann mehr?
Kunze: Ich werde heute auf andere Weise zornig. Ich finde es zum Beispiel inzwischen sehr viel interessanter, in meinem Alter das kreative Sprengpotential eines Ernst Jünger zu entdecken als das eines Günter Grass, denn das habe ich längst entdeckt.
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