Heinz Rudolf Kunze beim Signieren (Foto von Christian Fehlandt)

Heinz Rudolf Kunze beim Signieren seines 2003 erschienenen Buches Vorschuss statt Lorbeeren in Schwerin. Foto: Christian Fehlandt

2004

"Ich glaube an die heilsame Wirkung des Rock'n Roll"

Im Gespräch mit dem Sänger, Komponisten und Schriftsteller Heinz Rudolf Kunze über Werte, Glauben und Kirche

Er gilt als einer der Barden deutschsprachiger Rock- und Popmusik. Heinz Rudolf Kunze, geboren 1956 in Osnabrück, studierte Germanistik und Philosophie. Bereits 1978 bekam er den Literaturförderpreis seiner Heimatstadt, nahm 1980 erfolgreich an der "Deutschen Pop-Talent-Show" teil und veröffentlichte 1981 sein erstes Album. Inzwischen liegen 23 LPs und CDs vor. Seit 1983 schreibt Kunze Musikessays für Funk und Zeitschriften und schrieb die deutschen Libretti für die Musicals Les Miserables, Miss Saigon und Joseph. Mit ihm sprach Christian Fehlandt.

KZ: Für welche Werte, Herr Kunze, lohnt es sich heute zu leben? Was sind Ihnen wichtige Werte?

HRK: Sie fragen mich das ja sicherlich nicht zufällig, weil Sie von einer bestimmten Zeitung kommen. Und ich kann Ihnen nach wie vor versichern: Ich bin immer noch Mitglied der evangelischen Kirche. Ich bin nicht ausgetreten.

Letzten Endes denkt man ja eigentlich immer mehr über solche Wertfragen nach, wenn man älter wird und eine Familie hat, wie ich – auch Kinder. Das ist ein hohes Wort: Werte! Ja, wofür lebt man? Dafür, dass man versucht, möglichst ein anständiger Mensch zu sein. Und das auch seinen Kindern halbwegs, so gut man kann, vorzuleben. Letzten Endes würde ich mir ein ganz anderes Zeitalter wünschen, ein Zeitalter, in dem die Mehrheit der Menschen begreift, dass es so nicht weitergehen kann – und dass man wieder zur Besinnung kommen muss. Das hat natürlich durchaus auch was mit christlichen Grundwerten zu tun. Und mit den Grundwerten anderer Religionen, solange sie keinen Weltbeherrschungs- und missionarischen Anspruch haben, andere Leute auf ihrem Weg zum Glück behindern oder sie sogar liquidieren, weil sie nicht dem gleichen Gott huldigen.

KZ: Gibt es Antiwerte, Hinwendungen, von denen man sich doch lieber lossagen sollte?

HRK: Ja, es gibt viel Wertlosigkeit in unserer Zeit, viel ungebührliches, unangemessenes, niederträchtiges Verhalten untereinander. Und es gibt eine ganz schlimme Verabredung in den Medien. Dass eben die Logik des Erfolgs und die Logik der Quote im Fernsehen beispielsweise zu immer tieferen Ebenen des Geschmacks führt, nur, um sich gegenseitig die Kunden abzuwerben. Marx hat das Profitlogik genannt. Ich weiß, dass das eine gefährliche Antwort ist. Aber ich denke mir manchmal wirklich: Geht das in einer Demokratie überhaupt noch in diesem Wechselspiel der Kräfte, wo immer gleich jemand abgewatscht wird, wenn er etwas vorschlägt, was zwar wehtut, aber dran ist ... und was dazu noch länger braucht als vier Jahre, um realisiert zu werden? Weil alle Politiker Angst haben, ans Eingemachte zu gehen, weil sie nicht bestraft werden wollen.

KZ: Welche Aufgabe kann und muss die Kirche heute übernehmen?

HRK: Ich hoffe, dass es allerhöchste Zeit ist, diese letzten Probleme zu überwinden, die zwischen der katholischen und der evangelischen Kirche bestehen, weil nur noch beide gemeinsam eine Chance haben, zumindest in diesen Breitengraden, in denen wir leben, weiter zu existieren. Es mag ja sein, dass in Lateinamerika und in Afrika die katholische Kirche noch eine riesige Basis hat, aber hier in unserem Teil der Welt ist das doch eine Sache, die kaum noch jemand beschäftigt. Und es ist allerhöchste Eisenbahn, dass die letzten dogmatischen Unterschiede begradigt werden. So dass man einen Weg findet, wo beide Kirchen an einem Strang ziehen.

KZ: Benennen Sie bitte konkrete Anhaltspunkte?

HRK: Ja, ich weiß, dass das alles hauptsächlich von der katholischen Kirche ausgeht, weil die sich ihrer Sache noch viel sicherer ist – und die müsste sich sicherlich mehr bewegen als die evangelische Kirche, das ist klar. – Die evangelische ist ja doch vergleichsweise eine sehr offene Veranstaltung, wo es sehr viele Meinungen gibt. Es gilt nicht das Wort eines Meinungsführers im Sinne eines Papstes. Der Appell muss sich eher an die Katholiken richten.

KZ: Was sollte Kirche bleiben lassen?

HRK: Pfarrer einzustellen, die keinen pädagogischen Eros haben. Die Aufgabe des Pfarrers ist fast noch schwieriger als die eines Lehrers. In beiden Berufen sollten nur Leute auftauchen, die es wirklich können und ihre Aufgabe lieben.

KZ: Von welchen Grundlagen aus sollte die Kirche heute ihre Meinung vertreten?

HRK: Die Kirchen sollten durchaus den Leuten auch etwas Magisches und Geheimnisvolles anbieten. Und nicht alles in Gesprächskultur auflösen. Kirche sollte dann auch, wenn das von den richtigen Leuten glaubhaft verkörpert wird, etwas Feierliches verkörpern. Den Menschen anbieten: Wir sind wirklich was anderes. Und nicht der Ersatz für Thomas Gottschalk.

KZ: Wo müsste sich unsere Kirche noch eindeutiger positionieren?

HRK: Kirchen sollten, glaube ich, noch mehr darauf achten, dass eigene Leute in wichtigen Erntscheidungsgremien mitarbeiten. Und sie müsste sich noch stärker um die Jugend kümmern. Also noch mehr Jugendbeauftragte beschäftigen, die bei den jungen Leuten dran sind, ihnen zuhören, ihre Probleme aufgreifen. Und die versuchen, so schwer das auch ist, eine Generation, die sich eigentlich gar nichts Heiliges mehr vorstellen kann, davon zu überzeugen, dass es bestimmte Rituale gibt, die tatsächlich gut tun. Die dem Menschen weiterhelfen.

Ein guter Schulfreund von mir, mit dem ich seit der 5. Klasse zusammen bin, ist Pastor. Der hat sich jetzt für das Ressort Weltanschauungsfragen beworben, um die verschiedenen Religionen noch besser beobachten zu können. Das ist schon mal eine gute Sache. Das tut Kirche gut. Aber vor allem müssten noch mehr kirchliche "Spione" an der Jugend dran sein.

KZ: Was möchten Sie mit Ihren Lieder verkündigen, meinetwegen auch als Christ?

HRK: Ich bin mir nicht bewusst, dass ich etwas zu verkündigen hätte. Ich habe keine Heilsbotschaft. Ich möchte einfach nur mitteilen, dass man aufmerksam durchs Leben gehen soll und dass man genau wahrnehmen muss. Vielleicht ist es möglich, mit Liedern die Welt ein bisschen schöner zu machen. Ich glaube nicht, dass Lieder die Welt retten – aber, wenn sie genau gemacht sind: das kann Menschen auf dem richtigen Fuß erwischen. Das ist meine Art von Verkündigung. Ich bin nun mal an der künstlerischen Front tätig und nicht an der Heilsfront. Ich möchte die Welt schöner machen.

KZ: Und trotzdem, gibt es etwas, von dem Sie möchten, dass genau dieses auch den Zuhörer erreicht?

HRK: Ich glaube an die heilsame Wirkung des Rock'n Roll. Gute Rockmusik ist einfach ein guter Weg. Er gibt Kraft und macht Mut.

KZ: Ist religiöse Bildung heute wichtig?

HRK: Ja, unbedingt! Weil es einfach keinen besseren Fundus an Geschichten und an Bildern gibt als im religiösem Bereich. Und egal, was man später daraus macht, wenn man nicht zumindest ein wenig bibelfest ist, hat man was verpasst, weil man bestimmte Grundgeschichten der Menschheit nicht kennt. – Und wenn selbst solche Zeitgenossen wie Bertolt Brecht bekannten, dass die Bibel ihr Lieblingsbuch gewesen ist, dann muss das ja irgendwas zu bedeuten haben.

KZ: Und wäre für die Wertebildung auch wichtig?

HRK: Ich habe jedenfalls bisher noch nichts Glaubwürdigeres gefunden. Also: es wäre vermessen, wenn ich über mich behaupten würde, ich wäre gläubig. Aber ich möchte unbedingt unterstellen dürfen, dass es dies gibt. Also: ich wäre froh, wenn diese Sache mit Gott nicht nur eine menschliche Erfindung wäre...

Christian Fehlandt, Mecklenburgische & Pommersche Kirchenzeitung, 25. Januar 2004

Copyright & Datenschutz Heinz Rudolf Kunze Top