Heinz Rudolf Kunze & Jörg Sander live 2003 (Foto: Gerald Erdmann)

2003

Zwischen Lyrik und Pop zum Mitsingen: Heinz Rudolf Kunze im Theaterhaus

Von einem, der gern ein Pilzatom wäre

"Geile Band, Heinz", schallt es aus dem Publikum. "Ja, danke, ne", sagt der Heinz und greift in die Tasten seines Pianos. Auch die geile Band steigt beherzt in den Song ein.

Doch so sehr sie sich auch müht und ackert – bei einem Kunze-Konzert geht es vornehmlich um eins: um das gesprochene, gesungene Wort und damit um die Person Kunze selbst. Die Musik ist Trägermedium, ein Klangfutter unter dem Textmantel, der Geschenkkarton der Botschaft.

Höchstform erreichen der hornbebrillte Barde und seine Band Verstärkung im gut besuchten Theaterhaus immer dann, wenn Text und Ton aufeinander eingehen, die Gitarren nicht in wuchtiger Stadionrock-Manier brettern und die subtileren Textpassagen einfach überrollen. Zum Beispiel bei Manchmal, einem Song aus dem Jahre 1996, dessen bilderreicher Text zuweilen expressionistisch anmutet und Freiräume schafft für Assoziationen: "Das Leben ist ein Würfel / Und wahr wär nur die sieben / Manchmal wär ich gern ein Pilzatom / Im Märchenwald geblieben." Hier ist Kunze der Lyrik näher als dem Popsong für jedermann, wie es Rückenwind vom gleichnamigen aktuellen Album einer ist: beschaulich bis kitschig, ohne doppelten Boden.

Das ist ganz bezeichnend: Kunze wagt den Spagat zwischen purem Pop zum Mitklatschen, Mitfühlen, Mitsingen und seiner Gesellschaftskritik, vom mittlerweile obligatorischen, wenig erhellenden Seitenhieb auf die USA ("sehr blauäugig") bis hin zum Lamento über die wirtschaftlich "harten Zeiten". Mal schnallt sich der Altrocker seine Gitarre um und schrubbt Status-Quo-Akkorde, während die Lichtanlage pompös ins Auditorium powert, mal zitiert er in pastoralem Tonfall "meinen Kumpel Hermann Hesse". Dann wieder singt er "noch hab ich mich an nichts gewöhnt", aber das schematische Moment seiner Songs wird nur an wenigen Stellen aufgebrochen.

So recht entscheiden kann sich Kunze nicht. Ist dies nun eine treibende Rock-Show oder doch eine Art gehobene Infotainment-Veranstaltung? Vielleicht beides? Dafür verzahnen sich die Ebenen zu selten, stehen sich etwas ratlos gegenüber, statt aufeinander zuzugehen. Indes, das Publikum gibt Kunze Rückenwind. Der wird sich ohnehin nicht weiters grämen: "Man hat mich schon viel Schimpfliches genannt / Am besten passt / Prophet in niemands Land."

Jörg Scheller, Stuttgarter Nachrichten, 12. Mai 2003

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