Heinz Rudolf Kunze 2003

2003

Heute im Theaterhaus zu Gast: Heinz Rudolf Kunze

Das ganze pralle Leben

Von seinen Fans wird er verehrt, seine Kritiker bespötteln ihn gerne als Beamten-Rocker. Nun hat Heinz Rudolf Kunze gleichzeitig ein neues Buch (Vorschuß statt Lorbeeren) und ein neues Album (Rückenwind) verröffentlicht. Heute, 20 Uhr, gastiert Kunze im Theaterhaus auf der Prag. Der Buchtitel? "Ich denke, es trifft zurzeit die Stimmung vieler von wirtschaftlichen Sorgen geplagter Menschen in diesem Land", sagt Kunze – und ergänzt: "In erster Linie ist es natürlich ein Kalauer. Es ist ganz erstaunlich, was man auch als Künstler in der zweiten Reihe – und mehr bin ich ja nicht – dauerhaft alles erreichen kann, auch materiell. Wenn ich Englisch singen würde, wäre ich ziemlich reich."

Und warum singt Kunze nicht englisch? "Ich bin Übersetzer, und ich mache es nicht. Weil ich mir nicht zutraue, das glaubwürdig rüberzubringen. Wozu die eigenen Einfälle mit einer Fremdsprache maskieren? Das deutsche Selbstbewusstsein kränkelt seit dem Krieg. Das ist eine Mischung aus Angst, Selbstekel und einer großen Portion Gleichgültigkeit, der lange Schatten von Adolf. Der Führer hat in seinem letzten Befehl gesagt, wenn dieses Volk den Krieg verliert, soll es ausgerottet werden". Es gibt einige Grübler, gerade auf der Linken, die diesen Befehl kulturell vollziehen. Dinge, die in anderen Ländern ganz selbstverständlich sind, sind hier immer noch sehr kompliziert." So müsste man die Neue Deutsche Welle im Rückblick fast als Aufbäumen der deutschen Rockmusik sehen, etwas Eigenes zu schaffen. Oder? "Eine tragische Geschichte. Die Industrie hat durch ihren Übereifer alles kaputtgemacht. Man war von diesem Phänomen so begeistert, dass alles eingekauft wurde, was eine Gitarre halten konnte. Im Bereich des deutschen HipHop wird heute aber wieder oft auf interessante Weise mit der deutschen Sprache jongliert."

Und was kommt bei Kunze auf die Platte, was in ein Buch? "Meine Bücher sind wie ein Fischernetz, das auf den Schreibtisch gelegt wird. Es wird alles eingefangen, was sich in anderthalb, zwei Jahren angehäuft hat." Das können dann auch Gedichte mit aktuellem politischem Bezug sein. "In der Poesie hat gefälligst das ganze Leben vorzukommen", sagt Kunze, "natürlich gefiltert und gebrochen, in einem neuen Zusammenhang. Man kann ein schlechtes Gedicht nicht dadurch besser machen, dass es von wichtigen Dingen handelt. Ich bin allergisch gegen Leute, die weder singen noch spielen können, doof aussehen, ihr Publikum quälen und am Schluss sagen: Übrigens, Atomkraftwerke sind Scheiße". Das mit dem Aussehen nehme ich zurück, das gehört in die Bohlen-Abteilung."

Kunze über Kunze? "Ich habe einmal in Stuttgart eine Kritik bekommen, da schrieb einer: 'Wann merkt dieses Land endlich, dass dieser Typ unser John Cale ist?' Das hat mir gefallen."

Henning Dedekind, Stuttgarter Nachrichten, 10. Mai 2003

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