Heinz Rudolf Kunze 2003

2003

Rückendeckung für Martin Walser

Heinz Rudolf Kunze über schwierige Texte und deren privaten und politischen Gehalt

KN: Herr Kunze, für Rückenwind haben Sie sich von ihrer alten Band verabschiedet und mit Franz Plasa (u.a. Selig, Echt) auch einen neuen Produzenten gewonnen. Warum diese "Runderneuerung"?

Kunze: Die Frage könnte auch lauten: Warum nicht früher? Ich bin jetzt Mitte 40, da hat mich noch mal der Hafer gestochen, ob es auch anders als in den eingefahrenen Bahnen weitergehen könnte. Ich habe keine Kritik an meiner alten Band, sie war wunderbar. Aber ich wollte doch wissen, wie Leute, die wesentlich jünger sind als ich, auf meine Sachen reagieren, ob das für mich eine Art Verjüngungskur bedeutet. Franz Plasas Sound habe ich immer gemocht, insofern war es nach der Trennung von Heiner Lürig klar, dass ich auf ihn zugehe.

KN: Auch in den ersten Rezensionen zu Rückenwind wirft man Ihnen wieder vor, Ihre Texte seien zu kompliziert. Ist die Kulturtechnik, sich mit komplexen Texten auseinander zu setzen, verlorengegangen?

Kunze: Ich bekomme auch Rückmeldungen von Leuten, die mit den Texten sehr gut umgehen können. Dass die Art, wie ich spreche und Bilder verwende, nicht alle nachvollziehen können, damit muss ich leben. Aber ich fände es sehr schade, wenn der Eindruck entstünde, dass ich Leute absichtlich vor Rätsel stelle. Ich möchte schon verstanden werden. Nur ist unsere normale Alltagssprache nicht genau genug, da muss man schon etwas mit den Worten spielen. Und ich wundere mich manchmal gerade über Journalisten. Haben die nie Kurt Cobain oder Bob Dylan gelesen? Im Englischen habe ich viele handwerkliche Verwandte, ich bin nicht rätselhafter als die großen Amis oder Engländer.

KN: Einige Songs auf dem neuen Album sind sowohl politisch als auch recht resignativ. Schaut hier ein Ex-Linker enttäuscht auf die aktuelle Politik?

Kunze: Das ist so. Sie könnten auch Grönemeyer fragen, der würde ähnlich antworten. Ich finde mich heutzutage nicht mehr in den Parteien im Bundestag wieder. Ich habe ein gewisses Verständnis für die Politiker, die keine Wertorientierungen mehr vermitteln, denn das Leben ist sehr unübersichtlich geworden. Ich weiß auch nicht, wo der Hammer hängt, da bin ich nicht schlauer als der Kanzler. Und ich möchte auch nicht mit ihm tauschen müssen. Und politische Lieder ... na ja, kennen Sie einen, der das glaubwürdig macht? Ich nicht. Die Lieder sollen schon ein bisschen länger halten als eine Tagesschlagzeile.

KN: Im Lied Himmelfahrtskommando spielen Sie mit Begriffen wie "Shoah", "Schuld und Sühne", sehen Junge von den Eltern "unbescholten angeklagt". Geht das in eine ähnliche Richtung wie die Kritik Martin Walsers an dem Umgang mit der deutschen Vergangenheit?

Kunze: Dieses Lied ist eine Melange aus öffentlichen und privaten Anspielungen. Darin laufen Gedanken der Abrechnung mit der eigenen Familie parallel zu öffentlichen. Das ist ein sehr rätselhaftes Lied, und ich weiß auch nicht genau, was es zu bedeuten hat. Ich fand allerdings die Anregungen, die Walser gegeben hat, sehr sinnvoll, und ein großer Teil der Kritik, die er einstecken musste, war unberechtigt. Wenn man wie ich fast alles kennt, was der Mann geschrieben hat, kann man ihm nicht unterstellen, dass er mit Antisemitismus oder rechtem Nationalismus kokettiert. Aber er hat es mutig auf sich genommen, auf Dinge aufmerksam zu machen, die in Deutschland Jahrzehnte lang tabu waren, wahrscheinlich im vollen Bewusstsein, dass jeder, der so etwas anspricht, Ohrfeigen bekommt.

Jörg Meyer, Kieler Nachrichten, 10. April 2003

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