"Ich habe die Hölle auf Erden gesehen"
"Ein Kindergesicht, in die Jahre gekommen. Unerklärlich faltenarm, obwohl dieser Kopf ein Kummerkasten war, so lange er denken kann, die relative Glätte des Konterfeis eine Promenadenmischung aus Tapferkeit und Übergewicht". So jedenfalls sieht sich der Künstler Heinz Rudolf Kunze selbst. Detaillierte Auskunft über seine eigenwillige Gedankenwelt gibt der Niedersachse jetzt auf einer neuen Platte und in einem neuen Buch. Mit welchen Augen der Grübler Kunze die Welt im Jahr 2003 sieht, erfuhr Olaf Neumann von dem 46-Jährigen in Hamburg.
STZ: Sie bezeichnen Rückenwind als Ihr bisher gewagtestes Album. Schon der Spiegel hat festgestellt, Heinz Rudolf Kunze könnte noch erfolgreicher sein, wenn er nicht so viel experimentiert hätte. Sind Sie in Wirklichkeit gar kein Deutschrocker, sondern ein Neutöner?
Kunze: Ich sage wirklich mit breiter Brust: Es gibt Musiken auf der neuen Platte, die hätte auch Miles Davis Mitte der 70er Jahre gemacht haben können. Das kann heute niemand, der sich unter diesem fürchterlichen Etikett "Deutschrock" einsortieren lassen muss – außer mir mit dieser Band. Weisen Sie mir nach, dass irgend jemand anders so was zustande bringt. Dann knicke ich ein. Vorher nicht.
STZ: Wer mit Kreativität und Phantasie in diesem Geschäft arbeiten will, befindet sich Ihrer Meinung nach in einem permanenten Abwehrkampf. Gegen wen oder was müssen Sie kämpfen?
Kunze: Wenn ich manchen Kritikern glauben schenke, dann gegen die eigene Depression. Die finden, man sollte meinen Platten einen Revolver oder einen Strick beilegen. Deshalb wollte ich jetzt mit Rückenwind ganz bewusst eine positive Aufbruchstimmung signalisieren.
STZ: Die taz hat Ihren enormen Fleiß in Zusammenhang mit der Unzufriedenheit über den eigenen Erfolg in Zusammenhang gebracht. Was ist dran?
Kunze: Ich kann nicht anders, ich mache halt viel. Durch meine Schilddrüse bin ich ein extrem produzierender Mensch, mir fällt halt so viel ein. Andere Kollegen brauchen vier Jahre, um eine neue Platte zu schreiben, ich brauche dazu manchmal nur acht Wochen.
STZ: Sie stammen aus einer Epoche, wo sich die Menschen noch selbst erforscht haben. Dieses Thema hat sich Ihrer Meinung nach für die heutige Generation erledigt.
Kunze: Ich bin von einer Zeit geprägt, in der man sich psychoanalytisch zergrübelte. Heute bekomme ich manchmal den Eindruck, dass viele Probleme mit jungen Menschen nicht mehr kommunizierbar sind. Deshalb verstehe ich meine Texte als Flaschenpost, die hoffentlich auch von anderen Generationen empfangen wird. Für Rückfragen bin ich jedenfalls immer dankbar.
STZ: In dem Text "Musik" wettern Sie gegen die "unentwegte dröhnende Betäubung. Unsere Welt geht unter, wenn nicht gerade Musik auch mehr ist als ihr schlimmstes Vergehen". Wer soll sich angesprochen fühlen?
Kunze: Dieter Bohlen! Aber er wird diesen Text wohl niemals lesen, geschweige denn verstehen. Es ist sozusagen eine absurde Flaschenpost.
STZ: Sie haben auch festgestellt, dass Künstler, die sowohl großartig als auch erfolgreich sind, Mangelware sind. Gehören Sie zu dieser seltenen Spezi?
Kunze: Natürlich! Ich muss mich doch für sehr bedeutend halten, sonst könnte ich das alles gar nicht tun. Auf der anderen Seite hat es mich sehr erschüttert, als ich hörte, dass Pete Townshend Kindsmissbrauch vorgeworfen wird. Er war immer mein größter Held.
STZ: Musik kann gut gelingen, ein Bildnis auch. Sprache nicht. Sie haben nie wirklich ausdrücken können, was Sie sagen wollten.
Kunze : Und trotzdem ist dieses Scheitern, an dem ich mich immer wieder abarbeite, etwas sehr Wertvolles. Das Schlusswort in diesem Text heißt schließlich: "Sprache ist ein Scheitern, was sich lohnt". Deswegen liebe ich Autoren wie Thomas Bernhard: ein hysterischer, an Atemlosigkeit gestorbener Autor. Ein Genie. Es lohnt sich, auf diese Weise vor eine Wand zu rennen.
STZ: Naherholungsgebiet beschreibt den Zustand in unserem Land. Und klingt doch wieder nach dem deprimierten Kunze ...
Kunze: Das Lied ist aufgeladen von Wut und Enttäuschung über das, was hier derzeit abläuft. Ich bin niemals ein Fan der rot-grünen Regierung gewesen, für mich sind das alles ziemliche Dilettanten. Kürzlich schrieb die Welt, Gerhard Schröder ist nicht mehr tragbar für unser Land. Dem kann ich nur beipflichten.
STZ: Was ist daran falsch, sich nicht in einen Krieg hineinziehen zu lassen?
Kunze: Möglicherweise haben wir eine Situation, wo Krieg unter bestimmten Umständen gerechtfertig ist. Wobei man aber zuerst mit allen Mitteln versuchen muss, die Amerikaner von ihrem Sonderweg abzuhalten. Doch stattdessen verwechselt man Politik und Moral. Sogar ein Mann wie Paul Spiegel sagt, es gebe ernsthafte Gründe, den Amerikanern nicht so ohne Weiteres alles abzusprechen. Es geht vielleicht nicht nur um Öl. Ich bin da sehr unsicher und eiere genauso herum wie Angela Merkel. Auf jeden Fall halte ich die deutsche Außenpolitik für verhängnisvoll. Und ich fürchte mich davor, dass die Achtundsechziger, die jetzt regieren, einen Schaden anrichten werden, für den wir noch lange werden bezahlen müssen.
STZ: Es gab auch mal eine Zeit, da galt Heinz Rudolf Kunze mit seiner Forderung nach einen Quote für deutschsprachige Musik im Radio als Prügelknabe der Nation. Wie lange dauert es, bis man einen Ruf wie "Der Quotendeutsche" wieder los wird?
Kunze: Ein Leben lang. Das ist furchtbar und ich habe daraus eine Schlussfolgerung gezogen: niemals wieder für irgendetwas Gemeinsames engagieren! Ich war sehr verbittert darüber, wie alle anderen Kollegen abgesprungen sind, als es ernst wurde. Von der Musikpresse wurde ich zudem als schnauzbärtiger Hundehalter und halber Nazi bezeichnet – das war erbärmlich. Das tut weh, auch heute noch.
STZ: Als Abgeordneter der deutschen Rockmusik-Elite haben Sie auch bei der Vorbereitung des Benefizprojektes "Band für Afrika" im Tschad den Kopf hinhalten müssen. Wie haben Sie 1985 den Krieg erlebt?
Kunze: Ich habe die Hölle auf Erden gesehen. Der nackte Horror, das größte Grauen, was man sich vorstellen kann. Ich hätte mir nichts sehnlicher gewünscht, als Herbert Grönemeyer, Marius Müller Westernhagen, Udo Lindenberg, Peter Maffay, Nena und alle anderen dabei zu haben. Der Tschad war 1985 im Krieg gegen Libyen. Nur 100 Kilometer von meinem Aufenthaltsort entfernt verlief die Frontlinie, Gaddafis Bomben hatten eine Reichweite fast bis in unser Lager. Die Stammeshäuptlinge empfingen uns in ihren Lehmhütten und sagten: "Was wollt ihr hier? Lasst die Leute doch bitte sterben. Dann haben wir kein Problem mehr!" So wurden die Leute dann auch behandelt. Nur dieses eine Mal habe ich in meinem Leben konkrete Gewalt erlebt – aber ich werde es niemals vergessen. Wenn meine Eltern so etwas in der Nazizeit gesehen hätten, wäre ihnen vielleicht ein Licht aufgefangen. Mein Vater war ja Offizier bei der Waffen-SS. Ich glaube ihm, wenn er sagt, dass er damals nicht gesehen hat, wie die Juden abtransportiert wurden.
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