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2002

Bestürzte Altbauten

Mit Wasser bis zum Hals steht mir hat das Deutschrock-Urgestein Heinz Rudolf Kunze seine dritte "andere" Platte zwischen überkandidelter Lyrik und Sound-Experimenten vorgelegt. TIP-Autor Patrick Großmann ließ sie sich erklären.

(Café Einstein, innen. Während Kunzes persönlicher Betreuer noch über die Vorzüge Lissabons als Wohnort schwadroniert, wirft sich sein Schützling für die Fotos eine schwarze Lederjoppe über ...)

TIP: Heinz, deine neue Platte trägt einen echt verwirrenden Titel. Zunächst dachte ich, daß sei ein Druckfehler. Aber du als Germanist solltest so was ...

HRK: ... besser wissen, stimmt. Man muss die Betonung auf das Wort "steht" legen: "Wasser bis zum Hals steht mir ... äh ... gut, meine ich. Anders ausgedrückt: Mit dem Rücken zur Wand macht man die beste Musik.

TIP: Ist der Autor Kunze identisch mit der Privatperson?

HRK: Nur manchmal. Ich glaube, mit so 'ner Haltung könnte ich nicht lange überwintern. Es ist sicher auch Koketterie dabei – man spielt mit dem Untergang. Und solange man noch im Stande ist, so was zu artikulieren, geht's einem nicht wirklich dreckig.

TIP: Wenn du das Universum Kunze als visuelles Kunstwerk beschreiben müsstest – wie sähe das wohl aus?

HRK: Wie eine unglaublich tolle Enzyklopädie in Schweinsleder-Einbänden. Oder alternativ wie ein Müllplatz, der gut riecht. (Fotograf ab) Ähhh ... kann ich mich jetzt wieder ausziehen ...?

TIP: Wie geht's dir persönlich zur Zeit? Ganz privat als soziales Wesen ...

HRK: (lacht leicht verwirrt) Ähm ... ich war schon immer Pessimist. Das ist mein Credo. Mein Lebensmotto lautet: Rechne immer mit dem Schlimmsten und freue dich, falls du dich irrst. Sonst ist alles stabil. Auch meine Familie gibt's noch.

TIP: Beim Hören von So Lala könnte man eher auf das Gegenteil schließen. Der Text wirkt, als hätte sich einer längst selbst aufgegeben ...

HRK: Jedenfalls fühlt man sich, nachdem man das im Studio gebrüllt hat, ganz toll. Ist so'ne Art Urschrei-Therapie. Du fühlst dich befreit danach. Der Mann ist krank, weil er nichts gelten läßt. Der hat ein Problem. Ich kenne ihn flüchtig. (lacht)

TIP: Noch drastischer wird's in Liebeserklärung. Was will uns damit einer sagen, der von sich behauptet:"Wir sind nicht die einstürzenden Neubauten, aber die bestürzenden Altbauten"?

HRK: Ich wollte einfach mal aufräumen mit dieser verlogenen Schlagersprache, die das alles immer nur umschreibt, anstatt Tacheles zu reden. Eigentlich geht's da doch nur ums Ficken.

TIP: Hältst du dich insgesamt für sexy?

HRK: Für atemberaubend sexy! (blüht auf) Zumindest bin ich sehr sexbedürftig.

TIP: Kann man nach alledem nicht vielleicht auch den etwas verkrampften Versuch sehen, sich von dem dir gerne nachgesagten Oberlehrer-Image zu lösen?

HRK: (leicht empört) Das hab ich nicht nötig, weil es nie gestimmt hat! Ich finde den Vorwurf manchmal ermüdend und immer unpassend: Es gibt so viele Leute, die den Zeigefinger beim Texten häufiger erheben als ich. Die neiden mir einfach eine gewisse Wortwahl. Ich will niemanden überreden. Das wäre Pädagogik!

TIP: Mit Hallo Deutschland beginnt das Album programmatisch. Haben wir Deutschen unsere Identität verloren?

HRK: Allerdings. Und noch lange nicht wiedergefunden. Das passiert erst, wenn keiner mehr lebt, der damals dabei war. Das Vergessen hat in puncto Geschichte seine schlechten, aber definitiv auch seine positiven Seiten.

TIP: Gutes Stichwort. Nach 20 Jahren hast du ja schon so ziemlich alle Höhen und Tiefen durch ...

HRK: ...vor allem Tiefen! Nee, ich darf mich nicht beklagen, aber natürlich hat man da auch genügend Misserfolge eingeheimst. Die Leute verstehen einen oft einfach falsch.

TIP: Du spielst auf deinen Aufruf zu einer Deutschrock-Quote im Radio an, der in der Presse ziemlich zerissen wurde, stimmt's?

HRK: Unter anderem. Ich wirkte immer schon polarisierend auf die Medien. Wenn ich nur wüßte, warum eigentlich? Alle, die mich näher kennen, würden dir bestätigen, daß ich ein überaus konfliktscheuer und harmoniebedürftiger Mensch bin. Ich gelte als geradezu sanftmütig. Ich wollte nie provozieren oder so.

TIP: Na ja. Daß ein solcher Vorstoß manch einem sauer aufstoßen würde, konnte man sich doch an drei Fingern abzählen ...

HRK: Es war aber nicht mein Vorstoß! Ich war nur das Sprachrohr für ganz viele – die mich dann hängen ließen, als es ärgerlich wurde. Die mit Abstand traurigste Erfahrung, die ich in Sachen Kollegenschaft hierzulande machen mußte. Am Schluß blieben von 80 Unterzeichnern bloß Wolfgang Niedecken, Udo Jürgens und Ich übrig. Der Rest wollte plötzlich nichts mehr damit zu tun haben.

TIP: Inwiefern hat sich deine Person verändert in den letzten 20 Jahren seit Reine Nervensache – bist du gelassener geworden?

HRK: Nö. Nur ratloser. Die Auswege, die ich früher glaubte gefunden zu haben, erwiesen sich sämtlich als Sackgassen. Als junger Ehrgeizling bist du dir in vielem zu sicher. Später bemerkt man dann, daß die Welt so einfach leider nicht gestrickt ist.

TIP: Und der Musiker Kunze? Hin zur Vielfalt? Zum anything goes – von Dub über HipHop und Funk bis hin zur Geräuschkunst?

HRK: Kann man sagen, ja. Ich bin ein Chamäleon. Ich wollte immer schon möglichst viele Musikstile umarmen, weil ich glaube, dass meine Texte dazu taugen. Nur haben sich nach 21 Alben die Möglichkeiten vervielfacht. Man lernt dazu.

TIP: Dann gibt es da noch den gesellschafts- und medienkritischen Kunze: Die chinesische Wasserfolter etwa wirkt wie das leicht hysterische musikalische Pendant zu Houellebecqs "Elementarteilchen" ...

HRK: (verwirrt) Ähh ... wie bitte?!

TIP: Michel Houellebecq. Immerhin eine der literarischen Entdeckungen der letzten Jahre. Aus Frankreich ...

HRK: ...ach so, der. Hab ich nicht gelesen. Diese ganzen neuen Quizsendungen zum Beispiel, die finde ich schlicht bestürzend. Bei Kuhlenkampff konntest du damals nicht ankreuzen oder auswählen – du musstest das wissen!

TIP: Okay, aber das alles ist doch nun wirklich schon 100.000 Mal durchgekaut. Muß man das wirklich noch mal sagen?

HRK: Ja. Mir ist das halt erst jetzt eingefallen.

TIP: Manches an deinen Sprachspielen und Wortkaskaden wirkt in seinem Bombast ziemlich verschwurbelt ...

HRK: ... sagen wir lieber: opak. Das klingt positiver. Ich bin ein großer Verehrer des Wortverdrehers Wolfgang Neuss!

TIP: Fein. Greifst du da auch manchmal auf gewisse Rauchwaren zurück, um die Gedanken anzukurbeln?

HRK: Nö, so was brauche ich nicht. Ich bin selbst 'ne Droge.

Patrick Großmann, TIP, 14. März 2002

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