Konzertfoto (Bild von Gerald Erdmann)

2002

Das Herz ist nicht gespalten

Heinz Rudolf Kunze über Literatur, Musik und Beleidigungen, die keine sind

Heinz Rudolf Kunze, kurz HRK, gehört seit 20 Jahren zu den festen Größen der deutschen Popmusik. Er hat 22 Platten herausgebracht, Texte geschrieben für andere Künstler von Mario Adorf über Milva bis zu den "Hooters", und alle paar Jahre kommt er mit einem musikalisch-literarischen Programm auf Tour. So auch jetzt: Am Donnerstag, 18. April, stellt Kunze seine wenige Wochen alte CD Wasser bis zum Hals steht mir im Hildesheimer Vier Linden vor. Ralf Neite fragte den Künstler aus der Wedemark, wo sein Herz schlägt.

Neite: Erst Liedermacher, dann Pop mit anspruchsvollen Text, nun ein halb-literarisches Programm: Fällt es Ihnen schwer, sich zwischen Musik und Literatur zu entscheiden?

Kunze: Nö. Das passt wunderbar zusammen und bietet verschiedene Variationsmöglichkeiten an. Man kann den Schwerpunkt mal mehr auf das eine, mal mehr auf das andere verlagern und sich so tänzelnd hin und her bewegen. Da ich halt sehr verschiedenartige Texte geschrieben habe über all die Jahre, hat es immer einen Haufen Texte gegeben, die nicht so richtig in die konventionelle Pop-Rock-Struktur eines Songs passten. Diese Sachen einmal umzusetzen und auch mit Klängen zu verbinden, hat mich in Fünf- oder Sechs-Jahres-Abständen immer wieder gereizt.

Neite: Ist das Herz genau in der Mitte gespalten, oder gibt es eine Vorliebe?

Kunze: Es ist gar nicht gespalten. Das ist eine typische Journalistenfrage: Mögen Sie dieses lieber als jenes? Ich mag beides gleich gerne, nur eben mit verschiedenen Präferenzen.

Neite: Wenn nicht wir Journalisten die dummen Fragen stellen, wer soll es dann tun?

Kunze: Ich mache Ihnen das gar nicht zum Vorwurf. Ich würde das an Ihrer Stelle wahrscheinlich auch fragen, ob ich da irgendeine Präferenz habe, aber das muss ich verneinen. Es ist eigentlich beides gleich wichtig, und ich denke, summa summarum kommt auch beides gleichermaßen zum Zug.

Neite: Ist das im Live-Programm auch so?

Kunze: Ich denke schon, denn wir spielen ja nicht nur große Teile des "Wasser"-Albums, sondern es ist ein zweieinhalbstündiger Abend. Das zieht logischerweise nach sich, dass man auch musikalische Beiträge von früher in anderem Gewand bringt. Und dabei ist natürlich mein großes Bestreiben, Sachen rauszusuchen, die wir ganz lange nicht mehr live gespielt haben oder zum Teil auch noch nie.

Neite: Wird das vom Publikum honoriert? Ich habe in Konzerten oft das Gefühl, dass die Leute immer nur dasselbe hören wollen.

Kunze: Ich habe nicht das Gefühl, daß bei unserer jetzigen Tour, die nun schon zum größten Teil vorbei ist, ein einziges Mal jemand Dein ist mein ganzes Herz gerufen hat. Es hat mal jemand Lola gerufen, aber ich glaube, das war mehr ein Spaß. Der kicherte gleich hinterher.

Neite: Mitte der 80er Jahre waren Sie ein sehr politischer Musiker, etwa in der "Band für Afrika" oder bei "Rock gegen Atom". Hätten solche Projekte heute noch Zweck?

Kunze: Es hatte auch damals keinen Zweck, aber es war eine nette Aktion. Politisch ist so etwas immer sehr fragwürdig, aber es war nett, einmal die ganzen Kumpels zu treffen. Bei "Rock gegen Rechts" war ich ja auch dabei, aber ich mache das immer mit großem Vorbehalt, weil ich weiß, wie gerne das in der Öffentlichkeit missverstanden wird als völlig überflüssiger Profilierungsversuch. Und zur "Band für Afrika": Ich glaube nicht, dass diese Aktion irgendetwas politisch gelöst hat. Es war ein menschlich ganz nettes, hippiehaftes Zeichen von Sympathie und Einfühlsamkeit. Probleme löst so etwas nicht. Das habe ich spätestens erkannt, als ich als Delegierter der "Band für Afrika" tatsächlich mit der Welthungerhilfe an die sudanesische Grenze gefahren bin.

Neite: Also ist es kein Problem des Zeitgeistes, dass solche Musiker-Initiativen selten geworden ist. Die Vermutung hätte sich ja angeboten, wo Sie doch auf Ihrer neuen CD die heutige Jugend als "erbärmlich" bezeichnen.

Kunze: Viele Leute neigen dazu, solche provokanten Texte automatisch mir in meine höchstpersönlichen Schuhe zu schieben und zu glauben, das sei meine Privatmeinung. Das ist es nicht, aber ich spiele gerne mit Haltungen, die ich zur Diskussion stelle und in den Ring werfe.

Neite: In dem Stück heißt es auch: "Widersprecht mir!" Hat es Reaktionen gegeben?

Kunze: Hat es, und die baue ich live auch ein. Ich habe zu meinem Vergnügen und zu meiner Freude auch gehiphopte Antworten zurück bekommen, und eine brauchbare aus Berlin habe ich mir ausgesucht und eingebaut und beleidige mich selber zurück – wenn man mir schon mal unterstellt, daß das meine Meinung wäre.

Ralf Neite, Hildesheimer Allgemeinen Zeitung, 17. April 2002

Copyright & Datenschutz Heinz Rudolf Kunze Top