Cover des Albums "Wasser bis zum Hals steht mir"

2002

Kopf noch frei

Heinz Rudolf Kunze steht das Wasser bis zum Hals

Heinz Rudolf Kunze hat einen Sinn für preußische Ordnung. Wenn seine Lyrik halbwegs stubenrein ist, generiert er daraus Pop fürs gemeine Volk. Halt, sein letztes Album, war so ein Fall. Wenn sich die Gedanken jedoch am Klärwerk der politischen Korrektheit vorbeimogeln, packt er sie lieber auf eine Platte der anderen Art. Kunzes Sortierung ähnelt der Aufforderung zum Tanz. Wenn ein Mann eine Dame darum bittet, will er entweder wirklich tanzen oder aber gleich in ihr Bett. Kunzes neuem Album Wasser bis zum Hals steht mir gebricht es nicht an Eindeutigkeit. "Ich will nicht bei dir sein, sondern in dir. Ich möchte dir keine Komplimente machen, sondern Orgasmen." Das Lied heißt übrigens trotzdem Liebeserklärung.

Für viele Fans der ersten Stunde ist der andere Kunze der eigentliche Kunze. Wenn in Heinz Rudolf der poetische Kleinkunstpreisträger erwacht, spitzen sie die Ohren. Zwar jongliert er immerfort mit Sprache, selbst bei seinen Radiohits, aber dies sind nur verbale Aufwärmübungen gegen seine literarischen Programme. Bei denen verdichten sich die Worte zu tiefschürfenden Ergüssen, die wie Kaskaden über den Hörer kommen. Zwei Mal hat Kunze auf diese Weise die Sinne geflutet. 1991 erschien das Album Sternzeichen Sündenbock, drei Jahre später folgte Der Golem aus Lemgo.

Nun also Wasser bis zum Hals steht mir. Obwohl im Untertitel als drittes anderes Album rubriziert, variiert diese CD das literarische Konzept. Neu ist das Verhältnis zwischen Text und Musik. Bislang hatten sich Heiner Lürigs Kompositionen streng der Dichtung untergeordnet. Die Instrumentierung war sparsam, der Klang mehr Kulisse als Melodie. Diesmal steht der Ton stärker im eigenen Recht. Die Musik, die von der elektronischen Collage bis zum Dub-Reggae reicht, bestimmt manchmal den Takt des Sprachspiels.

Daß der Redeschwall dabei zu kurz kommt, muß indes niemand fürchten. Kunze arbeitet sich auf der ihm eigenen Richterskala durch den deutschen Zeitgeist: sarkastisch, bizarr, verstörend. Die chinesische Walterfolter etwa ist ein sechsminütiger Ritt durch die aberwitzige Fernsehquizlandschaft, wobei das Sprechtempo einem abmoderierenden Hitparaden-Heck nahe kommt. Noch größer ist der verbale Output bei Myopie: Zwei Monologe überlagern sich hier zur unkenntlichen Buchstabensuppe.

Unmissverständlich hingegen die Aussage des Hip-Hop-Stückes Nichts ist so erbärmlich wie die Jugend von heute. Da gibt Kunze den alten Sack und tritt der jungen Generation rappend in den Arsch. Sind doch alles taube Nüsse. Sympathische Idee, weil der Spieß umgedreht und die Abschottung so radikal formuliert ist wie sonst aus der Gegenrichtung.

Bleibt nur die Frage, weshalb ihm eigentlich das Wasser bis zum Hals steht. Ist aber nicht wirklich schlimm, solange der Kopf noch rausschaut. Und solange diese wundersamen Hirngespinste mit den Ohren paddeln können. Kunze ahoi.

Michael John, Thüringer Allgemeine, 12. März 2002

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