Heinz Rudolf Kunze live 2002 (Foto: Gerald Erdmann)

2002

Schaumbad bis zum Hals steht mir

Heinz Rudolf Kunze mit seiner "anderen" Show in der Nürnberger Tafelhalle

Erst beim gleitenden Zugabe-Teil, wenn Heinz Rudolf Kunze seine Konzept-CD und den Anspruch, "anders" zu sein, eindeutig aufgegeben hat, bricht Begeisterung aus in der Tafelhalle. Da springen die Zuschauer, soeben aus einer jener intellektuell relativierten Mitklatsch-Orgien aufgetaucht, die persiflierend tun und dabei voll ausgekostet werden dürfen, von den Plaste-Sitzen der (keinesfalls ausverkauften) Tafelhalle. Alles ist gut! Auch die Tatsache, daß der Deutsch-Rocker, der sich süffisant als "Mann des vorigen Jahrhunderts" einführte und dabei "Absonderlichkeiten" versprach, lieber in Sichtnähe seines eingeführten Profils geblieben war. Wasser bis zum Hals steht mir, das "Dritte andere Album", ist in der kleinen Bühnenshow kein Gegenbild des freilaufenden Poeten, sondern einfach die handlichere Variante der gespreizten Kunze-Kunst, die großformatig zuletzt erst im Oktober zu sehen war.

Als "Promenadenmischung aus Tapferkeit und Übergewicht" ist der Barde mit dem allzeit schmeichelnden Echohall hinter der Stimme auf der selbstironischen, sicheren Seite. Seine Geschichten, die er überraschend sparsam zwischen den Songs plaziert, outen ihn als Skurilitäter, der mit viel Formulierungsakrobatik auf dem Seil tanzt und bei jedem der gelegentlichen Abstürze in die Banalität sicher sein kann, daß sein Sympathie-Netzwerk gut federt. Also darf er beruhigt "nicht in die Augen schauen, sondern in den Slip", die Stammtische verteidigen und damit beleidigen sowie beim Volksgruß Hallo Deutschland Jahreszahlen von Weltkriegen und Wiedervereinigungen zum Spalier zusammentreiben, damit die Zuschauer "soviel wie möglich an Gewißheit einbüßen".

Tun sie aber nicht, denn dieser Kunze (mit zwei Musikern und einem Klampfenboten auf der Bühne) schließt Irritationen aus. Nicht mal das minimale Restrisiko eines provokativen Mißverständnisses mag er eingehen, wenn er den alten Grantler (der Nichts ist so erbärmlich wie die Jugend von heute! lamentiert) gewunden als Rollenspiel ankündigt und interaktiven Gegenwind über "erbärmliche Rebellen von gestern" gleich einbaut. Sehr korrekt, Herr Kunze!

Am Rande von Kitsch, gerne diesseits, tänzelt der Softrocker mit allergrößter Gelassenheit. Da kann er unbekümmert auch plündern und Imagine (deutsch betextet) in "Yesterday" (wortlos) münden lassen, weil sowas automatisch zur Hommage gerinnt. Das Wasser bis zum Hals ("Ich winke, ich ertrinke nicht") bleibt weit weg von der Gefahrenstelle Unterlippe – es könnte auch ein Schaumbad gewesen sein.

Dieter Stoll, Abendzeitung (Red. Nürnberg), 9. März 2002

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