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2002

"Die Jugend ist erbärmlich"

Heinz Rudolf Kunze tourt durch Deutschland und rechnet mit den Heranwachsenden ab.

Provokante Texte zu schreiben und zu singen, gehört zum persönlichen Stil Heinz Rudolf Kunzes. Bislang galten seine Verbal-Attacken vornehmlich dem Establishment und der älteren Generation, zu der sich der Rockmusiker inzwischen selber zählt. Doch jetzt schwirren seine Pfeile plötzlich in eine andere Richtung. Auf der neuen CD Wasser bis zum Hals steht mir rechnet er mit dem Stück Nichts ist so erbärmlich wie die Jugend von heute mit der Generation der Heranwachsenden ab.

ABENDBLATT: Auf Ihrer neuen CD provozieren Sie mit einer Attacke auf die heutige Jugend: "Eine dämliche Mischpoke von lauen Genießern, ein verrotteter Haufen von gepiercten Spießern", heißt es da. Meinen Sie das ernst oder ironisch?

KUNZE: Ich halte das Lied für wertkonservativ und insofern für fortschrittlich. Das Stück ist ein Diskussionsangebot, ich möchte mit der These nicht unbedingt Recht behalten. Und tatsächlich bekomme ich schon jetzt im Internet gereimte Antworten mit Gegenthesen und Rückbeleidigungen. So wird dies mein erster interaktiver Song.

ABENDBLATT: Dabei beinhaltet das Lied ja nicht nur Angriffe auf die Jugend, sondern darüber hinaus noch einen ordentlichen Schuss Selbstgerechtigkeit. Über sich und Ihresgleichen singen Sie: "Wir sind die ersten alten Leute, die im Recht sind, wenn sie sagen, wir waren besser, denn wir kommen aus viel besseren Tagen."

KUNZE: Das ist meine ehrliche Meinung. Ich habe das Glück gehabt, die große Zeit der Rockmusik mitzuerleben. Was muss sich die heutige Jugend dagegen für einen Mist anhören.

ABENDBLATT: Aber Popmusik ist doch nicht alles ...

KUNZE: Nein, nein, wir hatten aber im Gegensatz zu den heutigen Jugendlichen gewisse Vorstellungen, wie die Gesellschaft und das Zusammenleben darin aussehen sollte. Heute beklagen nicht nur Lehrer, dass die Jugend ein derart monumentales Desinteresse an praktisch allem offenbart, dass man sie gar nicht mehr erreicht. Die wehren sich nicht mal mehr gegen die Etablierten.

ABENDBLATT: Nun ist das Stöhnen über die Jugend von heute nicht gerade eine neue Erfindung.

KUNZE: Ich weiß, ich weiß, ich reihe mich ein in eine lange Schlange von Grantlern.

ABENDBLATT: Hat es Sie nicht geschreckt, eine derart antiquierte, abgeleierte Position einzunehmen und dasselbe Vokabular zu benutzen, das Ihnen als Jugendlicher sicherlich auch zum Halse herausgehangen hat?

KUNZE: Das hat mich nicht erschreckt, das hat mich belustigt. Es ist wohl ein unabdingbares Element des Älterwerdens, dass man sich in einer Kontinuität wiederfindet. Aber ich fordere die Adressaten ja auf, mich zu widerlegen, und insofern habe ich mir das einfach mal durchgehen lassen. Durch die ersten Reaktionen fühle ich mich bestätigt.

ABENDBLATT: Für wie bedrohlich halten Sie das rechtsradikale Potenzial der heutigen Jugend. Ist es so, wie es wirkt, oder ist darin ein starkes Element prinzipieller Opposition gegen die Generation der 68er enthalten?

KUNZE: Ich denke, da ist was dran. Überzeugte Nazis sind nur ganz wenige. Schätzungsweise 90 Prozent derer, die sich rechtsradikal gebärden, wissen vom Faschismus wenig bis gar nichts. Das meiste ist Trotz gegenüber Hippievätern und – müttern. Die meisten von denen halte ich demzufolge auch für rückholbar.

ABENDBLATT: Erreicht Heinz Rudolf Kunze diese Leute überhaupt noch mit seiner Musik, oder ist er nur sauer, dass die heutige Jugend seine Songs nicht mehr hören mag?

KUNZE: Ich habe immer nur Leute von 18 aufwärts erreicht. Kiddies standen nie auf Kunze, das war schon so, als ich mit 24 anfing.

ABENDBLATT: Welches war die beste Jugend, die Deutschland je hatte?

KUNZE: Puuh, eine gefährliche Frage. Mit jeder Festlegung würde ich mich auf eine wacklige Brücke begeben. Formulieren wir es salomonisch so: Jede heranwachsende Generation kann die beste sein. Wenn sie es nicht ist, kann sie unmöglich allein daran schuld sein. Die Älteren, also wir, müssen dafür sorgen, dass die Jugend Startbedingungen vorfindet, die ihr eine positive Entfaltung ermöglichen.

ABENDBLATT: Also fällt Ihre Attacke am Ende auf die Eltern zurück?

KUNZE: Zum Teil gewiss, aber nur zum Teil. Jeder trägt letztlich selbst die Verantwortung für sein Tun und Unterlassen.

Werner Langmaack, Hamburger Abendblatt, 18. Februar 2002

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